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Volkes vorgegaukelt werden, der fromme Fürst habe offenbar aus Mitleid kein
Menschenblut vergießen wollen. Ein dritter ruft ihm gewisse alte, von Motten
angefressene und längst nicht mehr angewendete Gesetze ins Gedächtnis,
nach denen sich kein Mensch mehr richte, weil sich niemand besinnen könne,
daß sie überhaupt jemals erlassen worden seien, und er fordert ihn auf,
Strafgelder für diese Nichtbefolgung einzuziehen: kein Ertrag sei ergiebiger
und zugleich ehrenhafter, da er ja die Maske der Gerechtigkeit zur Schau
trage. Ein vierter wieder fordert den König auf, unter Androhung hoher
Geldstrafen eine Menge Verbote zu erlassen, zumeist von Handlungen, die
nicht den Interessen des Volkes dienen, gegen Geld aber Leuten Dispens zu
erteilen, deren Privatinteressen ein Verbot im Wege steht. Auf diese Weise
ernte er den Dank des Volkes und habe doppelten Gewinn, einmal aus der
Bestrafung der Leute, die ihre Erwerbsgier ins Netz lockt, und sodann aus
dem Verkauf der Vorrechte an andere, für um so mehr Geld natürlich, je
gewissenhafter der Fürst ist; denn ein guter Herrscher begünstigt nur ungern
einen Privatmann zum Nachteile seines Volkes und deshalb nur für viel Geld.
Wieder ein anderer sucht den König zu überreden, Richter anzustellen, die in
jeder beliebigen Sache zu seinen Gunsten entscheiden; außerdem solle er sie
einladen, in seinem Palaste und in seiner Gegenwart über seine
Angelegenheiten zu verhandeln; dann werde keiner seiner Prozesse so
offensichtlich faul sein, daß nicht einer der Richter, sei es aus Lust am
Widerspruch oder aus Scheu vor Wiederholung von schon Gesagtem oder im
Haschen nach der königlichen Gunst irgendeinen Ritz entdecken würde, in
den man eine Rechtsverdrehung einklemmen könne. Wenn dann erst einmal
bei Meinungsverschiedenheit der Richter über die an sich völlig klare Sache
debattiert und die Wahrheit in Frage gestellt werde, so biete sich dem König
die günstige Gelegenheit, das Recht zu seinem eigenen Vorteil auszulegen,
und die anderen würden sich aus Hochachtung oder aus Furcht seiner
Meinung anschließen. Und in diesem Sinne fällt dann später der Gerichtshof
unbedenklich das Urteil; denn es kann ja niemandem an einem Vorwand
fehlen, sich zugunsten des Fürsten zu entscheiden. Genügt es ihm doch, daß
entweder die Billigkeit für ihn spricht oder der Wortlaut des Gesetzes oder die
gewaltsam verdrehte Auslegung des Sinnes eines Schriftstückes oder, was
gewissenhaften Richtern schließlich mehr gilt als alle Gesetze, des Fürsten
unbestreitbares Recht der obersten Entscheidung. Kurz, alle Ratgeber sind der
gleichen Ansicht und wirken zusammen im Sinne jenes Wortes des Crassus,
keine Menge Gold sei groß genug für einen Fürsten, der ein Heer unterhalten
müsse. Außerdem kann nach ihrer Meinung ein König gar kein Unrecht tun,
mag er es auch noch so sehr wünschen; denn der gesamte Besitz aller seiner
Untertanen wie auch diese selbst sind, so glauben sie, sein Eigentum, und
jedem einzelnen gehört nur so viel, wie ihm seines Königs Gnade noch läßt.
Der aber muß großen Wert darauf legen, daß dieser Rest möglichst gering ist;
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik