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des Staates gibt: die Einführung der Gleichheit des Besitzes. Diese ist aber
wohl niemals dort möglich, wo die einzelnen ihr Hab und Gut noch als
Privateigentum besitzen. Denn, wo jeder auf Grund gewisser
Rechtsansprüche an sich bringt, soviel er nur kann, teilen nur einige wenige
die gesamte Menge der Güter unter sich, mag sie auch noch so groß sein, und
lassen den anderen nur Mangel und Not übrig. Und in der Regel ist es so, daß
die einen in höchstem Grade das Los der anderen verdienen; denn die
Reichen sind habgierige, betrügerische und nichtsnutzige Menschen, die
Armen dagegen bescheidene und schlichte Männer, die durch ihre tägliche
Arbeit dem Gemeinwesen mehr als sich selbst nützen. Ich bin daher der festen
Überzeugung, das einzige Mittel, auf irgendeine gleichmäßige und gerechte
Weise den Besitz zu verteilen und die Sterblichen glücklich zu machen, ist die
gänzliche Aufhebung des Privateigentums. Solange es das noch gibt, wird der
weitaus größte und beste Teil der Menschheit die beängstigende und
unvermeidliche Last der Armut und der Kümmernisse dauernd weiterzutragen
haben. Sie kann wohl ein wenig erleichtert werden, das gebe ich zu; aber sie
völlig zu beseitigen, das ist, so behaupte ich, unmöglich. Man könnte ja für
den Besitz des einzelnen an Grund und Boden ein bestimmtes Höchstmaß
festsetzen und ebenso eine bestimmte Grenze für das Barvermögen; man
könnte auch durch Gesetze einer zu großen Macht des Fürsten und einer zu
großen Anmaßung des Volkes vorbeugen. Ferner könnte man die Erlangung
von Ämtern durch allerlei Schliche oder durch Bestechung und die Forderung
von Aufwand während der Amtstätigkeit unterbinden. Andernfalls nämlich
bietet sich Gelegenheit, sich das verausgabte Geld durch Betrug und Raub
wieder zu verschaffen, und man sieht sich gezwungen, reichen
Leuten die Ämter zu geben, die man lieber Fähigen hätte geben sollen. Durch
solche Gesetze kann man die erwähnten Übelstände wohl mildern und
abschwächen, ebenso wie man kranke Körper in hoffnungslosem Zustande
durch unablässige warme Umschläge zu stärken pflegt. Aber auf eine
vollständige Behebung der Übelstände und auf den Eintritt eines erfreulichen
Zustandes darf man ganz und gar nicht hoffen, solange jeder noch
Privateigentum besitzt. Ja, während man an der einen Stelle zu heilen sucht,
verschlimmert man die Wunde an anderen Stellen. So entsteht abwechselnd
aus der Heilung des einen die Krankheit des anderen; denn niemandem kann
man etwas zulegen, was man einem anderen nicht erst weggenommen hat.«
»Aber ich bin gerade der entgegengesetzten Meinung«, erwiderte ich, »daß
man sich nämlich niemals dort wohl fühlen kann, wo Gütergemeinschaft
herrscht. Denn wie könnte die Menge der Güter ausreichen, wenn jeder sich
um die Arbeit drückt, weil ihn ja keine Rücksicht auf Erwerb zur Arbeit
anspornt und weil ihn die Möglichkeit, sich auf den Fleiß anderer zu
verlassen, träge werden läßt? Aber wenn auch die Not die Menschen zur
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik