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in der Tat schäme, es zu erzählen, weil ich fürchten muß, man wird meinen
Worten nicht glauben. Und meine Befürchtung ist um so berechtigter, je mehr
ich mir bewußt bin, wie schwer man mich selbst dazu hätte bringen können,
es einem anderen zu glauben, wenn ich es nicht persönlich erlebt hätte. Es
kann ja gar nicht anders sein, als daß etwas um so weniger Glauben findet, je
mehr es von den Bräuchen der Zuhörer abweicht. Da freilich auch die übrigen
Einrichtungen der Utopier so wesentlich anders als die unsrigen sind, wird
sich ein kluger Beurteiler der Dinge vielleicht weniger wundern, wenn sie
auch Gold und Silber auf eine Weise benutzen, die mehr ihrem eigenen als
unserem Brauche entspricht. Da die Utopier nämlich selber kein Geld
verwenden, sondern es nur für einen Fall aufsparen, der ebensogut eintreten
wie nicht eintreten kann, so schätzt niemand von ihnen Gold und Silber,
woraus das Geld gemacht wird, höher, als es ihrem natürlichen Werte
angemessen ist. Wer sieht da nicht, wie weit dort Gold und Silber unter dem
Eisen stehen! Und in der Tat ist Eisen für die Menschheit ebenso
lebensnotwendig wie Wasser und Feuer, während weder Gold noch Silber von
Natur einen Vorzug besitzt, den wir nicht mit Leichtigkeit entbehren könnten;
nur halten es die Menschen in ihrer Torheit wegen seines seltenen
Vorkommens für so besonders wertvoll. Und dabei hat doch im Gegenteil die
Natur, wie eine überaus gütige Mutter, uns gerade ihre besten Gaben offen
und frei vor Augen gestellt, wie die Luft, das Wasser und die Erde selbst, das
Nichtige und Unnütze dagegen sehr weit entrückt. Würde nun Gold und
Silber bei den Utopiern in irgendeinem Turme versteckt, so könnte der
törichte Argwohn der großen Masse den Bürgermeister und den Senat
verdächtigen, sie wollten das Volk auf hinterlistige Weise betrügen, um selber
irgendwelchen Vorteil daraus zu ziehen. Wenn sie ferner Schalen und andere
derartige Schmiedearbeiten aus Gold und Silber herstellen ließen, so könnte
einmal der Fall eintreten, daß man sie wieder einschmelzen und zur
Soldzahlung an die Truppen verwenden müßte, und natürlich würden dann
die Besitzer der Gegenstände, das sehen sie ein, sich nur ungern wieder
entreißen lassen, woran sie allmählich Freude gefunden haben. Um es zu
alledem nicht kommen zu lassen, haben sich die Utopier ein Mittel
ausgedacht, das mit ihren übrigen Einrichtungen ebenso übereinstimmt, wie
es von den unsrigen stark abweicht, da ja bei uns Gold so hoch geschätzt und
so sorgfältig aufbewahrt wird, und das deshalb nur denen, die es aus
Erfahrung kennen, glaubhaft erscheint. Während sie nämlich zum Essen und
Trinken nur Gefäße aus Ton und Glas benutzen, die zwar sehr hübsch
aussehen, aber trotzdem billig sind, fertigen sie aus Gold und Silber nicht
bloß für die Gemeinschaftshallen, sondern auch für die Privathäuser
allenthalben Nachtgeschirre und sonstige zu ganz gewöhnlichem Gebrauch
bestimmte Gefäße an. Außerdem stellen sie aus denselben Metallen Ketten
und starke Fußfesseln zur Bestrafung der Sklaven her, und schließlich hängen
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik