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von den Ohren derer, die durch irgendein Verbrechen ihre Ehre verloren
haben, goldene Ringe herab; man steckt ihnen goldene Ringe an die Finger,
hängt ihnen eine goldene Halskette um und legt einen goldenen Reif um ihren
Kopf. So sorgen die Utopier mit allen Mitteln dafür, daß Gold und Silber bei
ihnen in Verruf kommt, und so erklärt es sich auch, daß in Utopien bei einer
sich etwa nötig machenden Ablieferung alles Goldes und Silbers, dessen
gewaltsame Wegnahme den anderen Völkern fast ebensolche Schmerzen
bereitet, als wenn man ihnen die Eingeweide auseinanderrisse, niemand
glauben würde, auch nur einen Heller einzubüßen.
Außerdem sammeln die Utopier an den Küsten Perlen, in gewissen Felsen
sogar Diamanten und Karfunkel. Doch suchen sie nicht danach, sondern nur,
was sie zufällig finden, schleifen sie. Damit putzen sie ihre kleinen Kinder. In
ihren ersten Lebensjahren prahlen diese gern mit solchem Schmuck und sind
stolz darauf; sobald sie aber ein wenig älter werden und merken, daß sich nur
Kinder mit derartigem Tand abgeben, legen sie diesen Schmuck ab, und zwar
ohne besondere Ermahnung von seiten ihrer Eltern, sondern einfach, weil sie
sich seiner schämen, genau so wie bei uns die Kinder, wenn sie erst größer
werden, von ihren Nüssen, Knöpfen und Puppen nichts mehr wissen wollen.
Wie stark aber diese Lebensgewohnheiten der Utopier, die von denen der
übrigen Völker so sehr abweichen, ihr ganzes Empfinden verändern, ist mir
niemals so klar zum Bewußtsein gekommen wie bei einer Gesandtschaft der
Anemolier. Diese kam nach Amaurotum, als ich gerade dort war, und da
wichtige Fragen zur Verhandlung standen, waren schon vor ihr jene früher
erwähnten drei Abgeordneten aus jeder Stadt eingetroffen. Nun waren allen
Gesandten der Nachbarvölker, die schon früher dorthin gekommen waren, die
Sitten der Utopier bekannt. Sie wußten, daß prunkvolle Kleidung dort
durchaus nicht angesehen war, daß man Seide geradezu verachtete und daß
Goldschmuck sogar in üblen Ruf brachte. Deshalb hatten sie sich daran
gewöhnt, in möglichst bescheidener Kleidung zu erscheinen. Die Anemolier
aber wohnten weiter entfernt von den Utopiern und hatten deshalb weniger
Verkehr mit ihnen unterhalten. Als sie nun hörten, die Utopier trügen alle die
gleiche grobe Tracht, waren sie überzeugt, sie trieben deshalb keinen
Aufwand, weil es ihnen an den nötigen Mitteln dazu fehle, und beschlossen
daher, mehr eitel als klug, prächtig wie Götter herausgeputzt aufzutreten und
die Augen der armseligen Utopier durch den Glanz ihrer prunkvollen
Kleidung zu blenden. So zogen denn die drei Gesandten an der Spitze eines
Gefolges von dreihundert Mann in die Stadt ein, alle in bunter, die meisten in
seidener Kleidung, die Gesandten selbst – sie gehörten nämlich daheim zum
Adel – in golddurchwirkten Gewändern, mit großen Halsketten und
Ohrringen aus Gold, an den Fingern goldene Ringe, die Filzkappen mit
Bändern geschmückt, die von Perlen und Edelsteinen funkelten, kurz, mit all
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik