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die Natur einen jeden anspornen, die gleiche Wohltat auch sich selber zuteil
werden zu lassen? Denn entweder ist ein angenehmes, das heißt dem
Vergnügen gewidmetes Leben verwerflich, dann darfst du nicht bloß
niemandem zu einem Vergnügen verhelfen, sondern mußt es sogar von allen
nach Möglichkeit fernhalten, da es ihnen ja schädlich ist und den Tod bringt.
Oder aber, wenn du anderen ein Vergnügen als etwas Gutes nicht bloß
verschaffen darfst, sondern sogar verschaffen sollst, warum dann nicht vor
allem dir selbst, dem du doch nicht weniger als anderen gewogen sein
solltest? Denn wenn die Natur dich zur Güte gegen andere mahnt, verlangt sie
doch nicht gleichzeitig von dir schonungslose Strenge gegen dich selbst.
Ein angenehmes Leben also, das heißt eben das Vergnügen, sagen die
Utopier, stellt uns die Natur selbst gleichsam als Ziel aller unserer
Handlungen hin, und ein Leben nach ihrer Vorschrift ist in ihren Augen
Tugend. Die Natur aber ruft auch die Menschen auf, sich gegenseitig zu
einem Leben in größter Fröhlichkeit zu verhelfen. Und das tut sie sicherlich
mit Fug und Recht; denn keiner ist so erhaben über das allgemeine
Menschenschicksal, daß die Natur für ihn allein sorgen müßte, sie, die alle,
die sie durch die Gleichheit der Gestalt zu einer Gemeinschaft zusammenfaßt,
in gleicher Weise hegt und pflegt. Und eben darum heißt sie dich auch immer
wieder darauf achten, auf deinen eigenen Vorteil nicht so bedacht zu sein, daß
du anderen dabei schadest.
Deshalb dürfen auch nach Ansicht der Utopier nicht bloß die Verträge
zwischen Privatpersonen nicht verletzt werden, sondern auch die öffentlichen
Bestimmungen über die Teilung der Lebensgüter, das heißt der materiellen
Grundlage des Vergnügens, Bestimmungen, die entweder ein guter Fürst auf
gesetzlichem Wege erlassen oder die ein Volk auf Grund einer allgemeinen
Übereinkunft getroffen hat, ohne durch Tyrannei in seiner Willensäußerung
beschränkt oder durch Betrug umgarnt zu sein. Ohne Verletzung dieser
Gesetze für dein persönliches Wohlergehen zu sorgen, erfordert die Klugheit,
außerdem das allgemeine Wohl im Auge zu haben, das Pflichtgefühl; aber
darauf auszugehen, einem anderen sein Vergnügen zu rauben, wofern man nur
sein eigenes erjagt, das ist in der Tat Unrecht. Sich selber dagegen etwas zu
nehmen, um es anderen zu dem, was sie haben, noch dazuzugeben, das eben
ist eine Pflicht der Menschlichkeit und Güte und bringt einem stets mehr
Glück wieder ein, als es einem nimmt. Denn die Wohltaten anderer vergelten
als Gegenleistung das gute Werk, und das bloße Bewußtsein, etwas Gutes
getan zu haben, sowie die Erinnerung an die wohlwollende Liebe derer, denen
man Gutes getan hat, bereiten dem Herzen eine Freude, die größer ist, als es
jenes Vergnügen des Körpers gewesen wäre, auf das man verzichtet hat. Und
endlich vergilt Gott, wovon sich ein gläubiges Gemüt mit Leichtigkeit aus der
Religion überzeugt, ein kurzes und geringes Vergnügen dereinst mit
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik