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unermeßlicher und ewig währender Freude. So sind denn die Utopier nach
sorgfältiger Untersuchung und genauer Erwägung der Sache zu der Ansicht
gekommen, daß alle unsere Handlungen, und darunter auch die tugendhaften
selbst, letzten Endes auf das Vergnügen und damit auf die Glückseligkeit
abzielen.
Vergnügen nennen die Utopier jede Bewegung und jeden Zustand des
Körpers und des Geistes, worin wir unter Anleitung der Natur mit Behagen
verweilen. Nicht ohne Grund fügen sie hinzu, daß die Natur es so haben will.
Denn von Natur bereitet alles das Wohlbehagen, was man nicht auf dem Wege
des Unrechts begehrt oder wodurch nichts anderes Angenehmeres
verlorengeht oder was keine Mühe und Arbeit im Gefolge hat; und danach
verlangt nicht bloß das sinnliche Begehren, sondern auch die gesunde
Vernunft. Anderseits aber gibt es Dinge, die die Menschen gegen die Ordnung
der Natur fälschlich als angenehm bezeichnen, und zwar auf Grund eines
ganz törichten Sprachgebrauchs, gerade als ob wir es in der Hand hätten, mit
den Worten auch die Dinge zu ändern. Alle diese Dinge sind nach Ansicht der
Utopier wertlos für die Glückseligkeit, ja sogar ihr im höchsten Grade
hinderlich, und zwar deshalb, weil sie die ganze Seele des Menschen, in der
sie sich einmal festgesetzt haben, mit einer verkehrten Meinung über das
Vergnügen im voraus erfüllen, um für wahre und reine Freuden nirgends Platz
zu lassen. Es gibt nämlich sehr viele Dinge, die zwar ihrer eigentlichen Natur
nach durchaus nicht anziehend, sondern im Gegenteil sogar meist recht
unangenehm sind, die aber trotzdem infolge der törichten Lockung ruchloser
Begierden nicht bloß für die höchsten Genüsse gehalten, sondern auch sogar
zu den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens gerechnet werden.
Zu denen, die den falschen Vergnügen dieser Art nachgehen, zählen die
Utopier diejenigen, die sich selber, wie früher erwähnt, um so besser dünken,
je besser sie angezogen sind; dabei irren sie sich in diesem einen Punkte
zweifach. Denn sie sind nicht weniger im Irrtum, wenn sie ihren Anzug, als
wenn sie sich selbst für etwas Besseres halten. Warum sollte nämlich im
Hinblick auf die Brauchbarkeit der Kleidung ein Tuch aus feinerem Gewebe
besser sein als eins aus gröberem? Und doch ist jenen Leuten der Kamm
geschwollen, als ob sie von Natur und nicht durch einen bloßen Irrtum etwas
Besseres wären, und sie meinen, sie gewännen auch dadurch etwas an Wert.
Deshalb beanspruchen sie auch, gleich als sei das ihr gutes Recht, für ihren
eleganteren Anzug eine Ehrenbezeigung, auf die sie in einfacherer Kleidung
gar nicht wagen würden zu hoffen, und sind unwillig, wenn sie beim
Vorübergehen nicht weiter beachtet werden. Aber ist nicht gerade auch dieses
Verlangen nach eitlen und nutzlosen Ehrenbezeigungen ebenso unvernünftig?
Denn wie kann wohl der entblößte Scheitel oder das gebeugte Knie eines
anderen ein natürliches und wahres Vergnügen bereiten? Wird das vielleicht
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik