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vermute, eigneten sie sich die Kenntnis der griechischen Sprache auch wegen
ihrer teilweisen Verwandtschaft mit der Landessprache leichter an. Ich nehme
nämlich an, die Utopier stammen von den Griechen ab; denn in ihrer fast
persisch klingenden Sprache haben sich noch in den Orts- und Amtsnamen
Spuren des Griechischen erhalten.
Im Begriff, meine vierte Seereise nach Utopien anzutreten, nahm ich an
Stelle von Waren einen ziemlich großen Packen Bücher mit an Bord, weil ich
fest entschlossen war, lieber gar nicht statt nach kurzer Zeit schon
heimzukehren. So besitzen denn die Utopier folgendes von mir: die meisten
Werke Platos, mehrere Schriften des Aristoteles, sodann Theophrasts Buch
über die Pflanzen, das aber leider an mehreren Stellen lückenhaft ist.
Während der Seefahrt hatte ich nämlich auf das Buch weniger Obacht
gegeben, und so hatte sich eine Meerkatze seiner bemächtigt und, ausgelassen
und spielig, hier und da ein paar Blätter herausgerissen und zerfetzt. Von den
Grammatikern haben sie nur den Lascaris; den Theodorus habe ich nämlich
gar nicht mitgenommen, ebenso kein Wörterbuch, außer Hesych und
Dioscorides. Plutarchs kleine Schriften haben sie sehr gern, und auch Lucians
Witz und Anmut fesseln sie. Von den Dichtern besitzen sie Aristophanes,
Homer und Euripides, ferner Sophocles in den kleinen Typen des Aldus, von
den Historikern Thucydides, Herodot sowie Herodian. Sogar aus dem Gebiet
der Medizin hatte mein Reisegefährte Tricius Apinatus etwas mitgebracht,
nämlich einige kleine Schriften des Hippocrates und die Mikrotechne Galens.
Gerade auf diese beiden Bücher legen die Utopier großen Wert; denn wenn
sie die Heilkunde auch wohl weniger als alle anderen Völker brauchen, so
steht sie doch nirgends in größerer Achtung, und zwar schon deshalb, weil
man in Utopien ihre Kenntnis zu den schönsten und nützlichsten Teilen der
Philosophie rechnet. Mit ihrer Hilfe erforscht man nämlich die Geheimnisse
der Natur, und man glaubt, nicht bloß einen wunderbaren Genuß davon zu
haben, sondern auch die höchste Gunst des Schöpfers und Werkmeisters der
Natur zu gewinnen. Man ist ja der Meinung, er habe nach Art der übrigen
Künstler den sehenswerten Mechanismus dieser Welt für den Menschen zur
Betrachtung ausgestellt und ihn allein in seinem Inneren für eine so gewaltige
Schöpfung aufnahmefähig gemacht, und deshalb sei ihm ein wißbegieriger
und achtsamer Betrachter und Bewunderer seines Werkes lieber als einer, der
ein so erhabenes und wundervolles Schauspiel stumpf und unerschüttert nicht
beachtet.
So sind denn die Utopier infolge ihrer wissenschaftlichen Ausbildung
erstaunlich begabt für technische Erfindungen, die etwas dazu beitragen, das
Leben angenehm und bequem zu machen. Zwei Erfindungen jedoch
verdanken sie uns, die Buchdruckerkunst und die Herstellung des Papiers,
aber doch nicht uns allein, sondern zu einem guten Teile auch sich selber. Als
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik