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die dasselbe wagen wollten, in Zukunft davon abhält. Das sind die Ziele, die
sie sich für ihr Vorhaben stecken und die sie rasch zu erreichen suchen, aber
so, daß sie mehr darauf bedacht sind, die Gefahr zu vermeiden, als Lob und
Ruhm zu ernten. Deshalb lassen sie sogleich nach der Kriegserklärung
heimlich und zu gleicher Zeit an den Punkten des feindlichen Landes, die am
besten zu sehen sind, Proklamationen, die das Siegel ihres Staates tragen, in
großer Zahl anschlagen. In ihnen versprechen sie dem, der den gegnerischen
Fürsten umbringt, riesige Belohnungen; sodann setzen sie geringere, aber
gleichwohl noch recht ansehnliche Preise auf die Köpfe einzelner Personen,
die sie in denselben Anschlägen namentlich anführen. Das sind die Männer,
die sie nächst dem Fürsten selber für die Urheber des Planes halten, den man
gegen sie geschmiedet hat. Welchen Betrag sie aber auch für den Mörder
aussetzen, sie zahlen ihn in doppelter Höhe dem, der ihnen einen von den
Geächteten lebend bringt, und ebenso suchen sie die Geächteten selbst durch
die gleichen Belohnungen und außerdem durch die Zusicherung von
Straflosigkeiten gegen ihre Genossen aufzuhetzen. So kommt es schnell
dahin, daß jene auch die anderen Menschen mit Argwohn betrachten, sich
einander selbst kein rechtes Vertrauen mehr schenken und auch keine rechte
Treue mehr halten und daher in größter Furcht und nicht geringerer Gefahr
leben. Denn, wie bekannt, ist es schon mehr als einmal vorgekommen, daß
die Geächteten zu einem großen Teil und vor allem der Fürst selber von denen
verraten wurden, auf die sie die größte Hoffnung setzten. So leicht verleiten
Belohnungen zu jedem beliebigen Verbrechen. Für diese Prämien setzen die
Utopier auch keine bestimmte Höhe fest. Indem sie vielmehr die Größe der
Gefahr bedenken, zu der sie verleiten, bemühen sie sich, sie durch die Höhe
der Belohnungen aufzuwiegen, und aus diesem Grunde stellen sie nicht nur
eine unermeßliche Menge Gold in Aussicht, sondern auch recht ertragreiche
Landgüter an ganz sicheren Orten in den Ländern ihrer Freunde, und zwar als
dauernden Besitz, und halten ihr Versprechen mit gewissenhafter Treue.
Dieser Brauch, den Feind gegen Gebot zu kaufen, den andere Völker als
Beweis einer entarteten Gesinnung und als grausame Untat verwerfen, ist in
den Augen der Utopier ein hohes Lob. Ja, sie dünken sich auch klug, weil sie
auf diese Weise die größten Kriege ohne jeden Kampf völlig zu Ende bringen,
und sogar human und mitleidsvoll, weil sie mit dem Tode einiger weniger
Schuldiger das Leben zahlreicher Unschuldiger erkaufen, die sonst im
Kampfe gefallen wären, teils aus den Reihen der Ihrigen, teils aus denen der
Feinde, deren Menge und Masse sie fast ebenso bedauern wie ihre eigenen
Landsleute; wissen sie doch recht wohl, daß jene einen Krieg nicht aus freien
Stücken anfangen, sondern weil die blinde Leidenschaft ihrer Fürsten sie dazu
treibt. Kommen sie auf diese Weise nicht weiter, so säen und nähren sie
Zwietracht, indem sie dem Bruder des Fürsten oder sonst einem aus dem Adel
Hoffnung auf den Thron machen. Wenn die Parteien im Inneren versagen, so
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik