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auf und spornt sie dazu an, indem man sie lobt. Die Frauen, die mitausrücken,
stellt man an der Front mit ihren Männern in eine Reihe; außerdem hat ein
jeder Kämpfer seine Kinder, Verwandten und Angehörigen um sich, damit
sich diejenigen einander aus nächster Nähe beistehen können, die die Natur
am stärksten zu gegenseitiger Hilfe anspornt. Die höchste Schmach ist es für
einen Gatten, ohne den anderen heimzukommen, oder für einen Sohn, seinen
Vater zu überleben. Infolgedessen kämpft man, wenn es zum Handgemenge
kommt und die Feinde standhalten, in einem langen und unheilvollen Ringen
bis zur Vernichtung. Zwar suchen die Utopier mit allen Mitteln zu verhüten,
in eigener Person kämpfen zu müssen, wofern sie nur den Krieg mit Hilfe
einer Schar gemieteter Stellvertreter zu Ende bringen können; wenn es sich
jedoch nicht vermeiden läßt, daß sie selber mitkämpfen, so nehmen sie den
Kampf ebenso unerschrocken auf, wie sie sich vorher klug zurückgehalten
haben, solange es möglich war. Und beim ersten Angriff gehen sie nicht mit
wildem Ungestüm vor; vielmehr wächst ihre Stärke langsam und allmählich
und je länger der Kampf dauert. Dabei sind sie so unbeugsamen Sinnes, daß
sie sich eher niedermetzeln als in die Flucht schlagen lassen; denn das
beruhigende Bewußtsein, daß ein jeder daheim zu leben hat, sowie die
Befreiung von der quälenden Sorge um das Los ihrer Nachkommen – eine
Besorgnis, die sonst überall einen tapferen Sinn lähmt, – machen die Kämpfer
hochgemut, so daß sie den Gedanken, sich besiegen zu lassen, als unwürdig
von sich weisen. Außerdem flößt ihnen ihre militärische Erfahrung Zuversicht
ein, und schließlich spornt sie die gute Erziehung, die sie in der Schule und
durch die trefflichen Einrichtungen ihres Staates von Kind auf genossen
haben, noch mehr zur Tapferkeit an. Infolgedessen ist in ihren Augen das
Leben weder so wertlos, daß sie es blindlings vergeuden, noch so übertrieben
wertvoll, daß sie damit geizen und sich in schimpflicher Weise daran
klammern, wenn die Ehre dazu rät, es hinzugeben. Wenn der Kampf
allerorten am wildesten tobt, nehmen sich die auserlesensten Jünglinge, die
sich dazu verschworen und geweiht haben, den feindlichen Führer zum
Gegner; auf ihn dringen sie offen ein, ihn greifen sie aus dem Hinterhalt an,
und aus der Ferne wie aus der Nähe gehen sie auf ihn los, und in einem
langen und lückenlosen Keil – denn die wegen Ermüdung ausfallenden
Kämpfer werden beständig durch frische ersetzt – stürmen sie gegen ihn an.
Nur selten kommt es vor, daß er nicht niedergestochen wird oder daß er nicht
lebendig in die Gewalt seiner Feinde gerät, es sei denn, daß er sich durch die
Flucht rettet.
Ist der Sieg auf seiten der Utopier, so metzeln sie nicht wild darauf los; statt
die Geschlagenen umzubringen, nehmen sie sie lieber gefangen. Auch
verfolgen sie die Fliehenden niemals so blindlings, daß sie bei alledem nicht
wenigstens noch eine geordnete und kampfbereite Schar zurückbehielten.
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik