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Edelmann oder Goldschmied oder Wucherer oder schließlich irgendein
anderer von denen, die entweder überhaupt nichts tun oder deren Tätigkeit für
den Staat nicht dringend notwendig ist, ein prächtiges und glänzendes Leben
führen darf auf Grund eines Verdienstes, den ihm sein Nichtstun oder seine
überflüssige Tätigkeit einbringt, während zu gleicher Zeit der Tagelöhner, der
Fuhrmann, der Schmied und der Bauer mit seiner harten und
ununterbrochenen Arbeit, wie sie kaum ein Zugtier aushalten würde, die aber
so unentbehrlich ist, daß ohne sie kein Gemeinwesen auch nicht ein Jahr bloß
auskommen könnte, einen nur so geringen Lebensunterhalt verdient und ein
so elendes Leben führt, daß einem die Lage der Zugochsen weit besser
vorkommen könnte, weil sie nicht so dauernd arbeiten müssen, weil ihre
Nahrung nicht viel schlechter ist und ihnen sogar besser schmeckt und weil
sie bei alledem wegen der Zukunft keine Angst zu haben brauchen? Aber
diese Menschen quält eine erfolglose und undankbare Arbeit in der
Gegenwart, auch peinigt sie der Gedanke an ein hilfloses Alter. Denn wenn
ihr täglicher Verdienst zu kärglich ist, um auch nur für denselben Tag
auszureichen, kann auf keinen Fall etwas herausspringen und übrigbleiben,
um täglich für die Verwendung im Alter zurückgelegt zu werden. Ist das nicht
eine ungerechte und undankbare Gemeinschaft, die den sogenannten
Edelleuten, den Goldschmieden und den übrigen Leuten dieser Art, die weiter
nichts als Müßiggänger oder Schmarotzer sind und nur unnütze Luxusdinge
herstellen, in so verschwenderischer Weise ihre Gunst bezeugt, die dagegen
für die Bauern, Köhler, Tagelöhner, Fuhrleute und Schmiede, ohne die
überhaupt kein Staat bestehen könnte, in keinerlei Weise sorgt? Sie nutzt die
Arbeitskraft ihrer besten Lebensjahre aus und vergilt ihnen dann, wenn sie
schließlich, von Alter und Krankheit beschwert, an allem Mangel leiden, auf
höchst undankbare Weise, indem sie sie, uneingedenk so vieler Nächte, die sie
durchwacht, und so vieler und wichtiger Dienste, die sie geleistet haben, auf
ganz elende Weise sterben läßt. Was soll man gar noch dazu sagen, daß die
Reichen Tag für Tag von dem täglichen Verdienst der Armen nicht nur durch
privaten Betrug, sondern sogar auf Grund staatlicher Gesetze etwas
abzwacken? So haben diese Menschen das, was früher als ungerecht galt: die
höchsten Verdienste um den Staat mit dem schnödesten Undank zu lohnen, in
seiner Geltung entstellt und sogar noch in Gerechtigkeit verwandelt, indem
sie es durch Gesetze sanktionierten. Wenn ich daher alle unsere Staaten, die
heute irgendwo in Blüte stehen, im Geiste betrachte und über sie nachdenke,
so stoße ich, so wahr mir Gott helfe, einzig und allein auf eine Art
Verschwörung der Reichen, die unter Mißbrauch des Namens- und
Rechtstitels eines Staates nur auf ihre persönlichen Interessen bedacht sind.
Sie ersinnen und denken sich alle möglichen Mittel und Ränke aus, zunächst,
um ihren unrechtmäßig erworbenen Besitz zu behalten, ohne fürchten zu
müssen, ihn zu verlieren, und sodann, um sich die angestrengte Arbeit aller
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik