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Armen so billig wie möglich zu erkaufen und zu ihrem Vorteil zu
mißbrauchen. Sobald nun die Reichen erst einmal im Namen des Staates, also
auch im Namen der Armen, beschlossen haben, diese Machenschaften
durchzuführen, erhalten sie sofort Gesetzeskraft. Aber selbst wenn diese so
schlechten Menschen alle diese Güter, die für alle gereicht hätten, in
unersättlicher Habgier untereinander aufteilen, wieviel fehlt ihnen trotzdem
noch an dem Glück des utopischen Staates! Hier ist mit dem Gebrauch des
Geldes selbst zugleich jede Geldgier aus der Welt geschafft. Welch schwere
Last von Verdrießlichkeiten ist dadurch abgewälzt, welch reiche Saat von
Verbrechen mitsamt der Wurzel ausgerissen! Wer weiß nämlich nicht, daß
Betrug, Diebstahl, Raub, Streit, Unruhe, Zank, Aufstand, Mord, Verrat und
Giftmischerei, die jetzt durch tägliche Bestrafungen mehr geahndet als
eingeschränkt werden, mit der Beseitigung des Geldes absterben müssen und
daß außerdem Furcht, Unruhe, Sorgen, Anstrengungen und durchwachte
Nächte in demselben Augenblick wie das Geld verschwinden werden? Ja, die
Armut selbst, der einzige Zustand, wie es scheint, in dem Geld gebraucht
wird, würde augenblicklich abnehmen, wenn man das Geld überall völlig
abschaffte. Wenn du dir das noch deutlicher machen willst, mußt du dir
einmal ein dürres und unfruchtbares Jahr vorstellen, in dem der Hunger viele
Tausende von Menschen dahingerafft hat. Nun behaupte ich ganz bestimmt:
hätte man am Ende dieser Hungersnot die Speicher der Reichen durchsucht,
so wäre so viel Getreide zu finden gewesen, daß überhaupt niemand jene
Ungunst des Wetters und jenen geringen Ertrag des Bodens hätte zu spüren
brauchen, wenn man die Vorräte unter die verteilt hätte, die in der Tat Opfer
der Abmagerung und Auszehrung geworden sind. So leicht könnte man
beschaffen, was man zum Leben braucht, wenn nicht jenes herrliche Geld,
ganz offenbar dazu erfunden, den Zugang zum Lebensunterhalt zu
erschließen, allein es wäre, das ihn uns verschließt. Das merken ohne Zweifel
auch die Reichen, und sie wissen ganz genau, wieviel besser jener Zustand
wäre, nichts Notwendiges zu entbehren als an vielerlei Überflüssigem
Überfluß zu haben, und wieviel besser es wäre, von so zahlreichen Übeln
befreit als von so großem Reichtum beschwert zu sein. Ich mag auch gar nicht
daran zweifeln, daß die Sorge für das persönliche Wohl jedes einzelnen oder
die Autorität Christi, unseres Heilands, der bei seiner so großen Weisheit
wissen mußte, was das Beste sei, und bei seiner so großen Güte nur zu dem
raten konnte, was er als das Beste erkannt hatte, die ganze Welt ohne Mühe
schon längst für die Gesetze des utopischen Staates gewonnen hätte, wenn
nicht eine einzige Bestie, das Haupt und der Ursprung alles Unheils, die
Hoffart, dagegen ankämpfte. Sie mißt ihr Glück nicht am eigenen Nutzen,
sondern am fremden Unglück. Sie möchte nicht einmal Göttin werden, wenn
dann keine Unglücklichen mehr übrigblieben, über die sie herrschen und die
sie verhöhnen könnte, im Vergleich zu deren Elend ihr eigenes Glück in
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik