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Abschied die Hand reicht, dann liegt in ihrem Auge jene übermenschliche
Gewalt der Güte und Liebe, welche uns Tränen entlockt, bei der wir alle
Leiden des Daseins vergessen und alle Schrecken des Todes.
Ich lese ihr die Manon l’Escault. Sie fühlt die Beziehung, sie spricht zwar
kein Wort, aber sie lächelt von Zeit zu Zeit, und endlich klappt sie das kleine
Buch zu.
»Wollen Sie nicht weiterlesen, gnädige Frau?«
»Heute nicht. Heute spielen wir selbst Manon l’Escault. Ich habe ein
Rendezvous in den Cascinen und Sie, mein lieber Chevalier, werden mich zu
demselben begleiten; ich weiß, Sie tun es, nicht?«
»Sie befehlen.«
»Ich befehle nicht, ich bitte Sie darum«, spricht sie mit unwiderstehlichem
Liebreiz, dann steht sie auf, legt die Hände auf meine Schultern und sieht
mich an. »Diese Augen!« ruft sie aus, »ich liebe dich so, Severin, du weißt
nicht, wie ich dich liebe.«
»Ja«, entgegne ich bitter, »so sehr, daß Sie einem anderen ein Rendezvous
geben.«
»Das tue ich ja nur, um dich zu reizen«, antwortet sie lebhaft, »ich muß
Anbeter haben, damit ich dich nicht verliere, ich will dich nie verlieren,
niemals, hörst du, denn ich liebe nur dich, dich allein.«
Sie hing leidenschaftlich an meinen Lippen.
»Oh! könnte ich dir, wie ich möchte, meine ganze Seele im Kusse hingeben
– so – nun aber komme.«
Sie schlüpfte in einen einfachen, schwarzen Samtpaletot und umhüllte ihr
Haupt mit einem dunklen Baschlik. Dann ging sie rasch durch die Galerie und
stieg in den Wagen.
»Gregor wird mich fahren«, rief sie dem Kutscher zu, der sich befremdet
zurückzog.
Ich stieg auf den Bock und peitschte zornig in die Pferde.
In den Cascinen, dort, wo die Hauptallee zu einem dichten Laubgang wird,
stieg Wanda aus. Es war Nacht, nur einzelne Sterne blickten durch die grauen
Wolken, welche über den Himmel zogen. Am Arno stand ein Mann in einem
dunklen Mantel und einem Räuberhut und blickte in die gelben Wellen.
Wanda schritt rasch durch das Gebüsch zur Seite und schlug ihn auf die
Achsel. Ich sah noch, wie er sich zu ihr wendete, ihre Hand faßte – dann
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Venus im Pelz
- Titel
- Venus im Pelz
- Autor
- Leopold Von Sacher-Masoch
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Novelle, Liebe
- Kategorien
- Weiteres Belletristik