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Inhalt und Gliederung 21
2.3. Ärztliche unD prieSterliche SeelSorge (1952)
Bewusst zieht Viktor Frankl die heute real gegebene Gefahr der gegenseitigen
Grenzüberschreitung zwischen ärztlicher und priesterlicher Seelsorge in Betracht.
Gleichzeitig plädiert er mit Recht dafür, dass es weder eine völlig wertfreie noch
eine konfessionell bestimmte wissenschaftliche Psychotherapie geben kann. Durch
das Anwenden der Logotherapie und Existenzanalyse als der „Psychotherapie vom
Geistigen her“ (Frankl 2011a, 334) kann der Seelenarzt allerdings dem Ringen um
einen konkreten Daseinssinn, oder um den Sinn des Weltganzen, das von einem
Patienten an ihn herangetragen wird, gerecht werden, ohne dabei das primäre Ziel
seines Wirkens – nämlich die seelische Heilung des Patienten – aus den Augen zu
verlieren.
Angesichts der zunehmenden Abwanderung des homo patiens vom Seelsorger zum
Psychiater, richtet Frankl in diesem kurzen Text, der 1952 im Weihnachtsheft von
Austria International erschienen ist, seinen Blick auf das folgende Faktum:
Als Nervenarzt hat man sogar die Möglichkeit, gegen die Tatsache dieses Abwanderns an-
zukämpfen, indem man Patienten, die sichtlich eher zum Seelsorger gehören, auch an den
Seelsorger verweist. Nun zeigt aber die Erfahrung der fachärztlichen Praxis immer wieder,
dass sich Menschen, die sich nicht wegen einer Krankheit im engeren Wortsinn, sondern aus
einer geistigen Not heraus an uns Nervenärzte wenden, gar nicht vom Neurologen an den
Theologen verweisen lassen.
Es ist nur verständlich, dass die Frage, warum diese Abwanderung überhaupt statt-
findet, für Frankl als Arzt auch im Kontext der Logotherapie nicht im Vordergrund
steht. Aber es kann hier behauptet werden, dass die Logotherapie und Existenzana-
lyse Viktor Frankls als „eine ‚spirituell offene‘ Humanwissenschaft“ (Lukas 2003,
188) eine Brückenrolle in diesem theologisch-seelsorglichen Prozess erfüllen kann
(Vik 2008, 299–310; Vik 2011, 138–151). Denn, wie Batthyány anmerkt: das „Wissen
um den Sinn des Weltganzen mag zwar der Sinnorientierung des Menschen eine tie-
fere metaphysische Verankerung geben, aber das Anerkennen oder Nichtanerkennen
einer solchen Verankerung entbindet den religiösen Menschen ebensowenig wie den
irreligiösen Menschen“ (Batthyány 2005b, 42), der Aufgabe der konkreten Sinnver-
wirklichung im Alltag gerecht zu werden.
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Viktor E. Frankl
Gesammlte Werke
Psychotherapie, Psychiatrie und Religion. Über das Grenzgebiet zwischen Seelenheilkunde und Glauben
- Titel
- Viktor E. Frankl
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Autoren
- Alexander Batthyany
- János Vik
- Karlheinz Biller
- Eugenio Fizzotti
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20574-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 318
- Schlagwörter
- Psychotherapie, Psychologie, Psychiatrie, Religion, Logotherapie, Existenzanalyse, Viktor Frankl
- Kategorie
- Geisteswissenschaften