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Inhalt und Gliederung 35
Aber die Urwahrheit, dass die Gegensätze eigentlich nicht Gegensätze sind, sondern einander
zugeordneten Hälften, das ist es ja, was die Denkart der Juden so bestimmt. Das Sowohl-als-
auch. Was mir daher so gut gefällt an Ihrem Opus, ist das Leitmotiv, das wie ein roter Faden
Ihre Bücher durchläuft: nämlich das demütige Bewusstsein, ein Körnchen Wahrheit hier, ein
anderes Körnchen dort ergattert zu haben und das zum Gesamtwissen der Menschheit hinzu-
fügen zu wollen.
Auf die inklusive Art der jüdischen Denkweise ist es zurückzuführen, dass Frankl
aus der Perspektive der Logotherapie keinen Gegensatz in der Gewissenswahrneh-
mung des religiösen und des nichtreligiösen Menschen erkennen kann. Der religiöse
Mensch geht vereinfacht formuliert in seiner Wahrnehmung nur einen Schritt weiter
und sieht hinter der Stimme seines Gewissens eine weitere Instanz – er überschreitet
die Grenze zur Dimension des Theologischen. Es hat religionspsychologische Qua-
lität und kann von der Theologie als positive Herausforderung aufgegriffen werden,
zugleich nicht „abzuheben“, und das heißt: immer geerdet zu bleiben, wenn Frankl
sich wie folgt äußert:
Weil nämlich die religiöse Welt die säkulare, wenn ich so sagen darf, in sich einbegreift. Es
kann da keinen Widerspruch geben. Deshalb spreche ich von Dimensionen, weil dadurch die-
se wesentliche Differenz und gleichzeitig die Zusammengehörigkeit, Inklusivität, betont wird.
Es hängt einerseits mit der Position Frankls – für die Logotherapie sei die Religion
immer nur ein Gegenstand, und nie ein Standort – zusammen, dass er den erkenntnis-
theoretisch bestimmten, auf der Ebene der klassischen Logik real gegebenen Gegensatz
zwischen Theisten und Atheisten in diesem Kontext nicht in den Blick nimmt. Aller-
dings muss man andererseits vor Augen führen, dass Frankl sich zu der von Natur
aus religiösen Seele des Menschen (anima naturaliter religiosa) bekennt, wenn er zum
Ausdruck bringt, dass
der Mensch im Grunde von Haus aus religiös ist, dass der Mensch durch die Geschichte hin-
durch religiös geblieben ist und erst in den letzten Jahrzehnten, Jahrhunderten die Religiosität
zwar eigentlich gar nicht verschwunden, aber verwässert worden ist.
Angesichts dieser Entwicklung scheint Frankl sowohl die Theologie als Glaubens-
wissenschaft als auch die Naturwissenschaft in die Pflicht zu nehmen, wenn er
schreibt:
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Viktor E. Frankl
Gesammlte Werke
Psychotherapie, Psychiatrie und Religion. Über das Grenzgebiet zwischen Seelenheilkunde und Glauben
- Titel
- Viktor E. Frankl
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Autoren
- Alexander Batthyany
- János Vik
- Karlheinz Biller
- Eugenio Fizzotti
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20574-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 318
- Schlagwörter
- Psychotherapie, Psychologie, Psychiatrie, Religion, Logotherapie, Existenzanalyse, Viktor Frankl
- Kategorie
- Geisteswissenschaften