Seite - 130 - in Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938
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Wenn es auch das ausdrückliche Ziel der Thunschen Studienreformwar, das
Rechtsstudiumwiedermehrzuverwissenschaftlichen,wardochdieVorbereitung
derStudentenaufdiepraktischen juristischenBerufeweiterhindasHauptzieldes
Studiums.DerProblematik,beidenAnsprüchengleichermaßenzugenügen,waren
sichdieVerfechterder verschiedenstenReformendes juristischenStudienwesens
stets bewusst. So fasste der StaatsrechtlerMax Layer in einem 1914 gedruckten
Gutachten zumakademischenUnterricht imVerwaltungsrecht für den 32.Deut-
schenJuristentagdieZieleeiner juristischenAusbildungwie folgtzusammen:
»Eine vollendete juristischeAusbildung,welche persönlicheBegabung vor-
ausgesetzt, eineBeherrschungdesFachesbedeutet, setzt dreierlei voraus:
1. Eine theoretisch-wissenschaftlicheAusbildung.Die Jurisprudenz ist nicht eine
SummevonpositivenKenntnissen,sonderneineWissenschaft,dieWissenschaft
einer großen einheitlichenGedankenwelt, die einkompliziertes Systembildet.
Nurdiesystematisch-wissenschaftlicheErkenntnisvermagdenungeheurenund
dochnicht lückenlosen Stoff der zahllosenRechtsnormenund rechtlich gere-
gelten Lebensverhältnisse zu meistern und jenes tiefere Verständnis des
Rechtslebenszuvermitteln,welchesdengebildetenJuristenausmacht.
2. Das zweiteMoment der juristischenBildung ist dieKenntnis des positiven
Rechtes. Die Jurisprudenz hat zwar ihre rein theoretischen Fächer, welche
sichnichtaufeinbestimmtespositivesRechtbeziehen,undihrWert fürdie
allgemeine juristischeBildung ist nicht gering anzuschlagen, aber in ihrem
Kern ist sie eine praktischeWissenschaft, eine Kunst, zur Anwendung im
praktischenLebenbestimmt,unddie Jurisprudenzbesteht gerade in ihrem
größtenTeileinderlogischenundsystematischenErfassungundGliederung
des positiven Rechtsstoffes, in der Entfaltung und Entwicklung seines In-
haltes nach seinen Zwecken und den typischen Formen undMitteln ihrer
Erfüllung. Es ist klar, daß ohne Kenntnis der wesentlichen Rechtsnormen
aucheine solchewissenschaftlicheBehandlungnichtmöglich ist.
3. Endlich gehört auch noch ein Drittes zur Jurisprudenz als Kunst der An-
wendung des Rechtes auf die Lebensverhältnisse: Erfahrung, Gewandtheit
undRoutine,wiemanesnennenwill.«6
b. Die rechts- undstaatswissenschaftlicheStudienordnungvon1893
Die Studienordnung von 18937 unterschied in §1 drei verschiedene Studien-
ziele:EinerseitsdieErlangungderQualifikationfürdenöffentlichenDienst,was
durch die erfolgreiche Bestehung von drei Staatsprüfungen erreicht wurde,
6 Layer,AkademischerUnterricht6 f.
7 G20.4. 1893RGBl68/1893betreffenddie rechts-undstaatswissenschaftlichenStudienund
Staatsprüfungen.
DasStudiumderRechtswissenschaften130
Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938
- Titel
- Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938
- Autoren
- Thomas Olechowski
- Tamara Ehs
- Kamila Staudigl-Ciechowicz
- Verlag
- V&R unipress GmbH
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-89971-985-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 838
- Kategorie
- Recht und Politik