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45Kriegsinvalide
– Kriegsbeschädigte
– Kriegsopfer : Benennungen und Definitionen
bliebene, also für bestimmte Überlebende des Krieges, durchsetzte. Diese doppelte
Bedeutung war letztlich imstande, dem Opferstatus einen Rest von Sinn zu verleihen
–
selbst wenn das, wofür das Opfer gebracht wurde, verschwunden war, wenn also das
Vaterland, dem man seine Gesundheit geopfert hatte, in der ursprünglichen Form gar
nicht mehr existierte. Aber gerade weil dieser Begriff beides, das passive Opfer-Sein
und das aktive Opfer-Bringen, anklingen lässt, weil er von Anfang an höchst aufgela-
den und mehrdeutig war, wurde er mit zunehmendem Abstand vom Krieg zum höchst
willkommenen Terminus.
Nach dem Krieg konnte sich jeder in diesen Begriff mit eingeschlossen fühlen, denn
jeder war auf die eine oder andere Weise Opfer des Krieges geworden. Jene, die ver-
stümmelt oder krank aus dem Krieg zurück kehrten und mit einer gesundheitlichen
Beeinträchtigung leben mussten, waren als Kriegsopfer daher viel eher Teil der – die
Normalität wieder suchenden – Friedensgesellschaft, als sie es als Kriegsbeschädigte
sein konnten – mit einer Bezeichnung, die noch dazu so deutlich auf die körperliche
Versehrtheit, also die Anomalie verwies.
Der neue Terminus Kriegsopfer war also vielseitig und flexibel. Einmal meinte
er nur die Toten, ein anderes Mal nur die Überlebenden eines Krieges, einmal um-
fasste er nur die körperlich Beschädigten des Krieges, ein anderes Mal schloss er ganz
undifferenziert alle mit ein, die durch einen Krieg zu Schaden gekommen sind. Als
Bezeichnung für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene gewann er letztlich ge-
genüber den differenzierenden Begriffen die Oberhand. An der beachtlichen Breite
und integrativen Kraft des Opferbegriffes und seiner Eignung, äußerst Heterogenes
zusammenzubringen, dürfte auch gelegen haben, dass er genau 30 Jahre nach Veröf-
fentlichung des Invalidenentschädigungsgesetzes auch für das österreichische Kriegs-
opferversorgungsgesetz (KOVG) von 1949113 namensgebend wurde. Nun, da sich ein
ganzes Land der These verschrieb, Opfer (der NS-Aggression) gewesen zu sein, war es
nur folgerichtig, dass von Anfang an große Teile der Bevölkerung114 in diesen Opfer-
begriff miteinbezogen wurden.
Nicht nur in der Gesetzgebung, auch in der einschlägigen Forschung sollte sich der
Begriff Kriegsopfer durchsetzen. In der neueren deutschsprachigen Forschung wird –
wie Karin Hausen nachweist
– sprachlich zwischen den beiden Gruppen
– den Kriegs-
beschädigten und den Kriegshinterbliebenen – nicht mehr unterschieden.115
113 BGBl 1949/197 ; der Begriff „Kriegsopfer“ wurde auch schon in jenem Gesetz verwendet, dass die
Entschädigung der Kriegsopfer vorläufig regelte ; StGBl 1945/36.
114 Holocaustopfer und viele andere Gruppen von Opfern des NS-Regimes waren hier nicht mitgemeint.
115 Hausen, Die Sorge der Nation für ihre „Kriegsopfer“, S. 725f. Hausen nennt Robert W. Whalen und
Michael Geyer.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918