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Nach 1918
Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Seite - 78 -
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78 Die Gesetzgebung der Monarchie niedrig zu halten, schließlich wurde ein Kompromiss gefunden und ein Gesetz erlassen, das die komplizierte Verordnung von 1915 gänzlich aufhob.84 Abgesehen von der deutlichen Erhöhung der nun in „Zuwendungen“ umbenannten staatlichen Unterstützungen war die entscheidendste Neuerung gegenüber der Regelung von 1915 zweifellos die Aufweichung der Definition des Begriffes der Bedürftigkeit. Bedürftigkeit blieb formal zwar nach wie vor als Voraussetzung für die Gewährung der staatlichen Zuwendungen bestehen, für einen Kriegsbeschädigten galt sie nun aber ohne weitere Prüfung als erwiesen, wenn seine Angehörigen Unterhaltsbeiträge im Sinne des Gesetzes von 1917 bezogen.85 Da das Unterhaltsbeitragsgesetz von 1917 aber festgelegt hatte, dass Personen, die gemäß ABGB alimentationsberechtigt sind, automatisch auch berechtigt seien, die Unterhaltsbeiträge weiter zu beziehen, wurde die neu normierte Zuwendung bei einer sehr großen Gruppe von Kriegsbeschädigten de facto von einer Fürsorgeleistung zu einem Anspruch umdefiniert. Bezeichnenderweise verwendete der Berichterstatter, der dem Abgeordnetenhaus die im Ausschuss ausgearbeitete Geset- zesvorlage vorstellte  – es war neuerlich Otto Glöckel  –, in seiner Rede mehrmals den Begriff der Rente anstatt des im Gesetz vorgesehenen Begriffes der Zuwendung.86 Für alle anderen Anspruchswerber (Soldaten ohne eigene Familie) galt die Bedürf- tigkeit dann als gegeben, „wenn der Lebensunterhalt ohne die Zuwendung gefährdet wäre“, wobei der Begriff des Lebensunterhalts noch präzisiert wurde : Neben Nahrung, Wohnung, Kleidung „und dergleichen unabweisliche Lebensbedürfnisse“ seien auch Heil- und Pflegekosten sowie bei Kindern die Kosten der Erziehung zu berücksichti- gen.87 Auch das stellte eine Weiterentwicklung gegenüber der völligen Unbestimmt- heit des Begriffes der Bedürftigkeit in der Verordnung von 1915 dar. Angehörige hatten auf die Zuwendungen allerdings weiterhin nur dann Anspruch, wenn sie die Unterhaltsbeiträge nicht weiterbezogen.88 Die Debatte vor der Beschlussfassung des Gesetzes im Abgeordnetenhaus beweist in sehr anschaulicher Weise, wie tief die oben beschriebene Selbstverpflichtung des 84 RGBl 1918/119. Ein Ergebnis des Kompromisses war, dass die bisherige Einstufung der Invalidität (20–50 %, 50–100 %, völlige Arbeitsunfähigkeit) durch folgende Abstufung ersetzt wurde : 20–39 %, 40– 59 %, 60–100 %, völlige Arbeitsunfähigkeit ; Sten. Prot. AH RR, XXII. Session, 1918, Beilage Nr.  993, S.  3. 85 Im Gesetz selbst ist noch uneingeschränkt davon die Rede, dass die Bedürftigkeit nachgewiesen werden müsse (RGBl 1918/119, § 1), erst in der DVO (RGBl 1918/120) wird festgelegt, das diese Bedürftigkeit für Kriegsbeschädigte dann als nachgewiesen gilt, wenn ihre Angehörigen Unterhaltsbeiträge gemäß RGBl 1917/313, § 4 Abs 3 (= Weiterbezug der Unterhaltsbeiträge wegen Invalidität des Heimkehren- den bzw. wegen dessen Tod, AdA) beziehen. 86 Sten. Prot. AH RR, XXII. Session, 67. Sitzung v. 1.3.1918, S.  3403–3406. 87 RGBl 1918/120, § 2 Ziff. 2. 88 RGBl 1918/119, § 1 Abs 2.
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Die Wundes des Staates Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Die Wundes des Staates
Untertitel
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Autoren
Verena Pawlowsky
Harald Wendelin
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2015
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-79598-8
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
586
Kategorien
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