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zend — wenn auch in anderer Weise —
wie seinerZeit Liszt, stieg Paganin i ,
ein Meteor, am Musikhimmel von Paris
auf. Damals der blühende, von seinen
Phantasien in beseligende Begeisterung
versetzte Knabe; jetzt der mysteriöse, von
Sagen und Märchen noch unheimlicher,
als die Erscheinung an sich war, aus«
staffirle Paganini . Ganz Paris war
wieder auf den Beinen, um den italieni»
schen Maestro zu hören und auch Liszt
fand sich ein, und die Liebe für das völlig
vernachlässigte, über ein Jahr unberührt
gebliebene Piano, erwachte in dem Jüng-
ling von Neuem und dießmal um so mach-
tiger , da es sozusagen einen Wettkampf
galt: des Meisters mit dem Meister, nur
daß die Instrumente, mit denen beide
einen wunderbaren Zauber auf das Ge<
müth des Zuhörers übten, verschieden
waren. — Mitten in diese künstlerischen
Studien und übrigen Neigungen, die bei
seiner Jugend wechselten, und wenn sie
auch keine Vertiefung seines Geistes zu-
ließen, so doch seinen Gesichtskreis mächtig
erweiterten, trat das Jahr 1830, dessen
Revolution die gesellschaftlichen Verhalt»
niffe in Paris in ihrem Wesen veränderte.
Eine neue Erscheinung, aber dießmal
nicbt im Bereiche der Kunst, sondern in
jenem des Glaubens, nahm die Aufmerk«
samkeit der Pariser in Anspruch. Der
Sa in tS imon iSmus warb um An«
Hänger für seine Lehre und fand täglich
mehr und mehr begeisterte Jünger für
dieselbe. Auch Liszt. der schon vielleicht
von seiner ursprünglichen Anlage, gewiß
aber durch eine die strengste Befolgung
der religiösen Uebungen überwachende
Erziehung seines Vaters, immer zur
religiösen Schwärmerei hinneigte, auch
er fand sich von der neuen Zehre, die in
ihren ursprünglichen Elementen für das
gläubige Gemüth eines gewissen Reizes nicht entbehrte, wenn noch nicht befrie«
digt, so doch gewaltig angezogen. Und
so waren es denn drei Momente, das des
gesellschaftlichen Lebens, der Kunst und
der Religion, die den zweiundzwanzig,
jährigen Jüngling ungewöhnlich beweg-
ten und in seinen Gedankenkreis bestim-
mend eingriffen, oder deutlicher ausge«
drückt: die Revolut ion von 1830, die
er mitgelebt, deren Umschwung in den
öffentlichen Dingen, in den bürgerlichen
und socialen Verhaltnissen vor seinen
Augen unmittelbar sich vollzog; Paga<
nin i , der, wie aus einem anläßlich
seines Todes von Liszt selbst verfaßten
Aufsatz zu entnehmen, einen tiefen Ein«
fluß auf ihn, als den Künstler, geübt, und
der Sa int S imon ismus , der in
seiner Glaubenswelt reformirend eingriff.
So überwiegende — an gewöhnlichen
Menschen spurlos vorübergehende —
Einflüsse, mußten auch auf eine künst.
lerische Individualität, wie jene Liszt's,
bestimmend wirken. Liszt bewegte sich in
den Kreisender höchsten Stände und der
Intelligenz, jetzt aber weniger als aus»
übender Künstler imDienste musikmachen«
der Industrie, denn als unabhängiger
Mann, den die Gesellschaft selbst anzog,
an deren Treiben er sich selbst gern be«
theiligte. Wenn er sich jetzt zum Piano
setzte, so war es nicht der Künstler und
Virtuose, der die eingelernten Meister»
werke der Tondichtung mit mustergiltiger
Fertigkeit und zum Entzücken seiner Zil»
Hörer wiedergab, sondern der Dichter,
dem der Flügel nur dazu diente, seine
eigenen Gedanken und Ideen in Tönen
auszuhauchen. I n jene Zeit schon fällt
der Beginn von Liszt's freiem Phanta»
siren am Piano, entweder über ein von
ihm selbst erfundenes oder ihm plötzlich
in'S Gedächtniß gekommenes, ihn mächtig
berührendes Thema, dem er jedoch meist
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Leon-Lomeni, Band 15
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Leon-Lomeni
- Band
- 15
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 499
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon