Seite - 52 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Podlaha-Prokesch, Band 23
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Pol
in seiner natürlichen Einfachheit doch
nicht nachzuahmendes Gedicht. Vincenz
P o l, der jährlich die Karpathen besuchte
lauschte den Gesängen auf Triften, in
Thälern und auf Bergen, er erfaßte mit
dem Gedächtniß ihren Ton, ihren ge!st!
gen Duft und Gehalt, daß ihm keine
Nuance entging, und prägte sie mit
jenem artistischen, nur dem Genius cinge
bornen Sinn zu seinem ausschließlichen
Eigenthum. Und diese Lieder hüllte ec
in das einfachste VerSmaß, das dennoch
so süß und melodisch wie Musik dahin-
fließt. Durch dieses innige Verweben der
Form mit dem Gehalte ist ein scheinbar
so einfaches, schlichtes Gedicht entstanden,
daß Jeder versucht wird, etwas Aehn-
licheS hervorzubringen, und dennoch
scheitert gerade an dieser täuschenden
Leichtigkeit jede Nachahmung. Wer immer
es nur wagte, in Vincenz Pol's Fuß»
tapfen zu treten, hat gründlich Fiasco
gemacht. Das Erscheinen des bukolischen
altpolnischen Volksliedes Vincenz Pol 's
war ein langersehntes Bedürfniß, dem
gerade in dem günstigsten Momente ab>
geholfen ward. Zu jener Zeit grassirte
nämlich eine wahre Manie, Mickie»
wicz nachzuahmen, und indem man
einen noch höheren Aufschwung als der
Meister selbst nehmen und noch in iie«
fere Tiefen als sein Geist herabsteigen
wollte, verfiel man in eine manierirte
Ertase, wodurch man
sich jeder Ursprung-
lichkeit entäußerte. Es war kein Mangel
an echt poetischer Begeisterung, aber man
erlahmte und erlag, indem man seinen
Geist,in sklavische Fesseln legte. Wladis.
lauS Ws2yk und Roman Zmorski
übertrafen alle in dieser NachahmungZ.
sucht. Unwissende, denen die Natur jeden
Begriff wahrer Poesie versagt hatte, hat-
ten ihre Freude daran und die Journale
ausposaunten fie als Messiase einer > neuen poetischen Epoche, Messiase, die
heute bereits vergessen sind. Weniger
wcihnirunken geberdeten sich
Richard B er-
wioski , G. Ehrenberg, Cd. Was>.
lewski, sahen aber in Byron's Dich.
tungen und Mickiewicz's „Oüiaäv«
das Ziel aller Dichtung, Obschon man
ihnen, namentlich aber Wasi lewski,
Kraft °es Gedankens und des Ge>
fühls und Schwunges nickt abspre»
chen kann, vermochten sie dennoch eine
gewisse Grenze, über die sie hinaus
wollten, nicht zu überschreiten, denn sie
blieben fortwährend Sklaven der Form
und deS Gehalts, die vom Meister vor»
gezeichnet und angewandt waren. Jene
Richtung der Poesie brachte eine Classe
von Kritikern hervor, welche darin ein
Ausarten der Poesie erblickten und diesen
sind theilweise jene endlosen Ausfälle auf
Mickiowicz als dem Begründer dieser
Schule in den Zeitschriften zuzuschreiben,
in die sich die Schüler mit aller Gewalt
drängten, als wenn ihn eine Schuld
träfe, daß Jeder,Mickiewicz und Nie<
mand er selbst fein wollte. Die Entnatw>
nalisirung, der Byronismus und das
Germanisirm, das ihm zur Last gelegt
wurde, hat nicht cr, soüdern haben seine
Nachahmer verschuldet, welche in ihm
nur die eben angeführten Auüschreituii>
gen erblickten und, indem sie der Mackt
seines nationalen Geistes nicht inne wu»
den, sich bald mit ersterem schmückten,
bald mit letzterem, als einem schämn -
Gewände, sich bekleideten. Um dio ganze
Bedeutung Vincenz Pol 's und seiner
Rückkehr zur reinen, ewig wahren Natur
vollkommen zu würdigen, waren diese
Bemerkungen nothwendig. Nach dem
Lied von unserem Lande" veröffent»
lichte Vincenz Pol 1846: „Lebens-und
Reisebilder", von unvergleichlicher Schön«
heit, welche eiue wahre Reaction auf dem
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Podlaha-Prokesch, Band 23
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Podlaha-Prokesch
- Band
- 23
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1872
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon