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Schubert) Franz Schubers Franz
Schöpfungen Schubert'S beschäftigt,
und kaum sind Mozart und Haydn —
Beethoven vielleicht ausgenommen —
so scharfsinnig und eingehend charakterifirt
worden, wie Schubert, der in August
Reißmann. Ambros, Schumann
und Hanslick Kritiker gefunden, die
seine Bedeutung in der Tonwelt in geist-
vollster Weise erklart haben. Im Folgen»
genden kann nur im Allgemeinen der
Ausspruch der Kunstkritik über den Mei»
ster. so weit derselbe zum Verständniß
seineS WesenS und seiner eigenthümlichen
Stellung im weiten Bereiche der Ton«
kunst nöthig ist, gegeben werden. Schu-
bert war ganz besonders befähigt, in
der Vocalmusik und vorzüglich im Liede,
Außergewöhnliches zu leisten. Bahn zu
brechen und dem Liede eine neue Stelle
anzuweisen. Zu einem solchen Schlüsse
berechtigen sogar seine Instrumental-
Kompositionen, die sich ganz besonders
durch Originalität und Mclodienreich»
thum auszeichnen, weniger durch einen
planmäßigen, architektonischen Bau. Diese
Eigenthümlichkeit Schubert's, mehr zu
erfinden, als zu thematisiren, Gedanken
an Gedanken zu reihen, macht ihn zum
Liebling der Spiritualisten in der Musik,
zum Liebling Derer, denen es vor allen
Dingen um einen faßlichen Inhalt zu
thun ist. Darin begründet sich aber auch
unsere eben ausgesprochene Behauptung,
daß Schubert vorzugsweise zur Vocal«
Composition befähigt war. Hier be«
stimmte ihn das Wort. immer nur Ge-
danken ohne Vermittlung zu entfalten;
er konnte in dieser Gattung der Compo»
sition seinem Naturell mehr folgen, als
in einer andern. Am meisten aber be«
währt sich dasselbe in der Lieder'Compo»
sition. Der Geist der Kunst, wie er über-
Haupt in diesem Jahrhunderte hervor»
getreten, hat sich auch in den Liedern Schubert's abgespiegelt. Das Streben,
die Liedform zu erweitern, in dem Liede
mehr zu geben, als es das Gedicht er.
heischt, wurzelt wesentlich in dem Zeit-
geiste. In dem ausgeführten Liede sucht
der Componist den Inhalt des Gedichtes
durch musikalischen Ausdruck zu erhöhen,
oft sogar zu überspannen. Einerseits ge-
sckieht dieß, indem er subjectiven Gedan-
ken die Zügel schießen läßt und für eine
einfache und im Gedichte nur einmal
gegebene Empfindung eine Fülle von
musikalischen Wendungen auffindet, an«
dererseits, indem er das Gedicht musika»
lisch portratirt, d.h. jeder Strophe, jedem
Worte einen Ausdruck verleiht. Dadurch
hat das Lied eine ganz schiefe Stellung
genommen. Daher diese Fluth von über«
reizten und langweiligen Lied'Compo«
sitionen. Es sind dieß einseitige Aus»
drucksweisen. hervorgegangen aus er«
künftelter Auffassung des Gedichtes und
aus einer Verwechslung deS wahren
Verhältnisses der Musik zur Poesie. Wenn
die Zeit es überhaupt vermochte, sich aus
solcher Einseitigkeit zu erheben, die ertre«
men Richtungen zu vermitteln, so konnte
es nur geschehen in einer Weise, wie wir
sie bei Franz Schubert antreffen. Er
steigert das Gefühl zur Situation, er
macht aus dem Gefühle eine Handlung,
er entwirft in uns mit dem empfindenden
Menschen zugleich ein Bild. So ist er
gezwungen, an der Realität die Melodie
festzuhalten und eine Erweiterung der
Liedform nur in so weit sich zu erlauben,
als der Dichter sie unabweislich verlangt.
I n der Ballade z. B. wird es sehr oft
der Fall sein müssen, weil in ihr das
momentane Gefühl fast immer in einem'
bestimmten Kreise von Situationen agirt.
Es kann aber auch die Liedform in ihrer
Strenge festgehalten werden, wenn das
einzelne Gedicht selber nur ein Moment
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Schrötter-Schwicker, Band 32
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Schrötter-Schwicker
- Band
- 32
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1876
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 406
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon