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Tommaseo, Nicolo 99 Tommaseo, Nicolo
sondern auch zu den gelehrtesten und
talentvollsten Schriftstellern des jüngeren
Italien, trotzdem daß er mehr ins Breite
als in die Tiefe arbeitete. Sein warmer
Patriotismus, seine tüchtige Gesinnung
und sein unbeugsamer Unabhängigkeits»
sinn erwarben ihm die Anerkennung aller
Parteien. Mit der entschiedenen Ver-
tretung des Katholicismus, der sich in
allen seinen Schriften abspiegelt, verband
er einen freilich ungezügelten, offenes und
heimliches Verschwören nicht verschmä«
henden Liberalismus in des Wortes
bestem Sinne. Jedoch die deutsche Nation z
hat nicht eben Ursache, sein Loblied zu ^
singen, denn in seinem Bestreben, Italien !
hochzustellen, dasselbe Italien,, das ge-,
wesen und wieder etwas werden soll, aber!
im Augenblick nur wenig oder gar nichts !
ist, beging er nicht selten schreiende Un» !
gerechtigkeit gegen Deutschland, das sich!
ja doch in Allem mit jenem messen darf,
und setzte in unwürdiger Weise die
edelsten Deutschen, wie, um nur Einen
zu nennen, Niebuhr herab. Unter!
Tommaseo's Werken sind es die poe» ^
tischen Ergüsse, mit denen er am wenigsten !
Glück gemacht, ausgenommen nur seinen !
auch durch deutsche Uebersetzung bekannt!
gewordenen ^Ouca. «I'^tcne^, dessen Er- ^
folg indeß mehr in der classischen Sprache
als in den Vorzügen einer poetischen
Schöpfung überhaupt zu suchen ist. Seine
übrigen Werke sind Arbeiten aus allen
Disciplinen der Wissenschaft. Ein eifriger
Pamphletist, ließ er, sobald sich ein An-
laß in der Politik bot, seine Flugschrift
in die Welt flattern, er war thätig auf
den Gebieten der Geschichte, der Philo-
sophie, der Theologie, der Erziehung
und des Unterrichts, der Aesthetik und
der Literaturgeschichte. Seine „stuäj
Kiosokoi" und seine „8tuä^ oritici"
nehmen in der italienischen Literatur einen hohen Rang ein. Sein „
liHrw äsi Zinoninii" und sein ^vixin-
nai-io eststioo" sind Musterwerke der
Linguistik und Kritik. I n letzterer ist er als
sehr parteiisch geschmäht worden, und es
mag etwas an diesem Vorwurf sein, denn
sein politisch weit vorgerücktes Glaubens'
bekenntniß mochte auch seinen kritischen
Blick Autoren gegenüber, die nicht in
seine Fanfare stießen, getrübt haben-.
Aber wo dies nicht der Fall war, wo er
unbefangen sein Urtheil aussprach, da
lautet es gediegen und zeigt von großen
Kenntnissen und seltenem Scharfblick.
Daß ihm die Jugend mit Begeisterung
huldigte, erklärt sich leicht, denn alle
Jugend ist revolutionär, und T o m-
maseo war zeitlebens die verkörperte
Revolution. Was seine eigentliche poli-
tische Ansicht war, ist schwer anzugeben.
Seinen Schriften nach wird er von
Einigen für einen Republicaner, von An<
deren für einen Anhanger unbedingter
Priesterherrschaft gehalten, und beide
Parteien können ihre Meinung durch
Stellen aus seinen eigenen Schriften
beweisen. Außer den oben bereits hervor»
gehobenen Werken gedenken wir nun
noch seiner Sammlung toscanischer, cor»
sischer, dalmatinischer und griechischer
Volkslieder, welche einen wahren Schatz
inniger und sinniger Dichtung enthalten,
dann seiner verschiedenen Erziehungs»
schriften, für Pädagogen eine unerschöpf«
liche Quelle scharfsinniger Beobachtungen
eines praktischen Pädagogen, und seiner
Erklärung des Dante, die besonders
interessant und wichtig ist durch seine
Zurückweisung auf die Bibel und die
Kirchenväter, sowie durch die präcise und
klare Fassung seiner Erläuterung. Wir
lassen nun das reiche Verzeichniß der
Werke und sonstigen literarischen Arbeiten
Tommaseo's nach den Wissenschaft.
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Toffoli-Traubenburg, Band 46
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Toffoli-Traubenburg
- Band
- 46
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1882
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 330
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon