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Rügebrauch#

Im Fränkischen Recht gab es Rügeverfahren. Gerichtsverfahren, an deren Einleitung der Gerichtsherr interessiert war, wurden auf halboffizielle Weise eröffnet. Vereidigte vertrauenswürdige Männer hatten die Pflicht, bestimmte Tatbestände anzuzeigen. Teilweise wurden die Beschuldigten nicht bei der Herrschaft angeklagt, sondern in einer Art Volksgerichtbarkeit gerügt bzw. verspottet und bei öffentlichen Kundgebungen dem Gelächter ausgesetzt. Meist handelte es sich um einen Normverstoß gegen "Herkommen und Sitte". Besonders in Österreich und Bayern galt das Rügeprinzip, u.a. gegen "landschändliche Leute" (nocivi terrae) wie Vagabunden, geflohene Leibeigene oder Angeklagte. Im 12. Jahrhundert setzte sich die Auffassung durch, dass ein Strafverfahren weniger dem Interesse des Opfers als der Allgemeinheit zu dienen habe. Abschreckung sollte vor Kriminalität schützen. Für die außergerichtliche Konfliktaustragung waren bestimmte Tage im Jahr vorgesehen, wie die Nacht vor dem 1. Mai, die so genannte Walpurgisnacht. Die Bezeichnung "Philippeln" erinnert an den ursprünglichen Feiertag der Apostel Philipp und Jakob am 1 Mai. Im Fasching bot die Vorstellung der "verkehrten Welt" Möglichkeiten zu Rügebräuchen wie Verspotten oder Blochziehen. Auch die Katzenmusik zählt zu den Rügebräuchen.

In späteren Zeiten führten männliche Jugendgruppen das Rügen in brauchtümlicher Form durch. Sie veranstalteten Katzenmusiken (Charivari, Lärmen mit Ratschen, Topfdeckeln etc.) oder verrückten Gegenstände, die nicht ordentlich verwahrt wurden ("Philippeln" im Salzburger Flachgau und Tennengau). "Angeklagte" wurden zunehmend Frauen, die in beiderlei Richtung die Normgrenzen überschritten hatten, ledige Mütter ebenso wie unverheiratete ältere Frauen. 

Bevorzugte Materialien zur öffentlichen Verächtlichmachung waren Abfallstoffe wie Stroh, Häcksel oder Sägespäne. Die schwangere Braut musste bei der Hochzeit einen Strohkranz tragen. Strohseile und "Allerheiligenstriezel" aus Stroh fanden sich vor den Häusern missbilligter Personen. Im Weinviertel hat der Maistrich (in der Nacht vor dem 1. Mai) wieder Beliebtheit erlangt. Üblich war, zwischen den Häusern unverheirateter Paare Kalkspuren zu ziehen, um geheim gehaltene Beziehungen sichtbar zu machen. Neu ist nicht nur die Länge, über die Bundesstraßen in weiter entfernte Dörfer, sondern auch die Beimischung von Öl. So überdauern die Spuren viele Regenfälle und erschweren bis verunmöglichen den jungen Frauen ihre "Pflicht", sie zu beseitigen. In Tirol ist das Raiter-Malen Brauch in Pfunds (Bezirk Landeck). Einem Ex-Freund wird das Zeichen an oder vor das Haus gemalt, wenn die frühere Partnerin heiratet. Das Zeichen soll dabei möglichst lange gesehen werden, die ältesten Raitern sind ca. 50 Jahre alt.

Hat es ein Ehepaar "nur" zu einer Tochter gebracht, so muss es in manchen Salzburger Dörfern damit rechnen, vor seinem Haus ein Schild mit der verächtlich machenden Aufschrift "Büchsenmacher" zu finden.

Neue Rügebräuche

Im Oktober 2014 erfuhren Anrainer in der Nussdorfer Straße, Wien 9, dass an Stelle eines Blumenmarktes ein Drogenzentrum eingerichtet werden sollte. Sie waren in die Entscheidung nicht eingebunden, sammelten Unterschriften und starteten eine Solidaritäts- und Protestaktion, indem sie Kleidungsstücke aus den Wohnungsfenstern hängten. Zahlreiche Bewohner der Nussdorfer Straße und ihrer Nebengassen folgten dem Aufruf. Der Standort befindet sich in der Nähe von Schulen, Kindergärten und der Gedenkstätte Schubert-Geburtshaus. Die Anrainer-Aktion blieb erfolglos.

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In vielen Teilen Deutschlands ist das in Bremen entstandene "Treppenfegen" üblich geworden. Dabei muss ein lediger Mann an seinem 30. Geburtstag eine öffentliche Treppe fegen. Das Pendant für Frauen ist das "Klinkenputzen". Das Ereignis wird meist von Freunden geplant und vor den Betroffenen geheim gehalten. Dann holen sie diese ab, verkleiden sie auffällig und nötigen sie, mehrere Kilogramm ausgestreute Kronkorken von der Treppe zu kehren. Für den Frauenbrauch gibt es eigene Türen mit präparierten Schnallen, die sie von Zahncreme etc. reinigen müssen. Der Rügebrauch geht unter großem Hallo und Alkoholgenuss vor sich. Die Requisiten kann man im Internet bestellen (Türen auch über e-bay). Ein Onlineshop in Osnabrück liefert "Fegeboxen", mit allem Zubehör ebenso wie "Schachtelkränze". Das Opfer wird durch erst den Kuss einer "Jungfrau" oder eines Junggesellen erlöst, der "Spaß" endet im Gasthaus Einen "Schachtelkranz" (aus leeren Zigarettenpackungen) muss in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eine Frau tragen, die mit 25 Jahren noch nicht verlobt oder verheiratet ist. Für Jungesellen in diesem Alter gibt es einen Socken- oder Flaschenkranz ("Kümmerlingkranz"). In Schaltjahren werden die Attribute getauscht.


Quellen: 
Rudolf Hoke: Österreichische und deutsche Rechtsgeschichte. Wien 1992. S. 12, 121
Wikipedia: Rügegericht (Stand 3.3.2024)
Neue Rügebräuche in Deutschland

Bilder:
Anrainerprotest gegen ein Drogenzentrum in Wien 9, Fotos: Doris Wolf, 2014


Siehe auch:
Rügebräuche in: Verschwundene BräucheDas Buch der untergegangenen RitualeHelga Maria WolfBrandstätter VerlagWien2015jetzt im Buch blättern