Innerhofer, Franz #
* 2. 5. 1944, Krimml, Salzburg
† um den 19. 1. 2002, Graz
Schriftsteller
Franz Innerhofer wurde am 2. Mai 1944 als unehelicher Sohn einer Landarbeiterin und eines Bauern in Krimml, Salzburg, geboren. Ab seinem sechsten Lebensjahr lebte er als Hilfsknecht auf dem Bauernhof seines Vaters, dann absolvierte er eine Schmiedelehre. Ab 1966 besuchte er ein Gymnasium für Berufstätige und studierte anschließend einige Semester Germanistik und Anglistik in Salzburg.
Von 1973 bis 1980 lebte er als freier Schriftsteller in der Schweiz und in Italien, später arbeitete er als Buchhändler in Graz.
Bekannt wurde Innerhofer in den 70er Jahren mit seiner Romantrilogie "Schöne Tage", "Schattseite" und "Die großen Wörter". Seine Romane waren „ autobiografisch geprägte Überlebensliteratur“ in der damals neuen realistischen Erzähltradition, die den verlogenen idyllischen Heimatklischees den Spiegel der bedrückenden Wirklichkeit entgegen hielt.
In "Schöne Tage" - von Fritz Lehner 1985 fürs Fernsehen verfilmt - schafft es ein Bergbauernkind unter schwierigsten Verhältnissen (als "Leibeigener") sich seiner selbst bewusst zu werden. Es rettet sich in die Sprache aus einer Welt, die ganz archaisch Unmündigkeit zu zementieren versucht.
Innerhofers Werk war - wie vergleichsweise das von Josef Winkler oder Gernot Wolfgruber - gespeist aus der traumatischen Erfahrung der selbst erlebten beengenden "Herrschaftsverhältnisse". Der Sprung in die Literatur war Befreiungsschlag und ein Mittel, jene schrecklichen Geister der Vergangenheit noch einmal zu bannen und fast psychoanalytisch aufzuarbeiten. Literatur, bei der ein Tabubruch zur Befreiung wird: Man schreibt über eine Welt, in der die meisten keine eigene Sprache finden.
Dann war es wieder still geworden um Innerhofer, fast schien es, als ob ihm jene Themen ausgegangen wären, aus denen sich seine Literatur speiste. Er zog sich für viele Jahre in die italienische "Emigration" zurück, kehrte in den 80er Jahren nach Österreich zurück und führte eine Buchhandlung in Graz.
1993 erschien sein letzter Roman "Um die Wette leben", 1999 versuchte er mit der Sozialstudie "Das rechte Murufer", das im Grazer Rotlichtmilieu angesiedelt ist, ein nur mäßig erfolgreiches Comeback. An seine frühen Erfolge konnte er nicht mehr anschließen.
1992 wurde sein Theaterstück "Schreibtruhe" im Grazer Schauspielhaus uraufgeführt, in dem eine österreichische Bäuerin, die in der Nähe des KZ Mauthausen gelebt hat, im Zentrum steht.
Der 58jährige Franz Innerhofer hat sich wahrscheinlich am 19. 1. 2002 selbst das Leben genommen
Auszeichnungen, Preise (Auswahl)#
- 1973 Staatsstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur
- 1974 Sandoz-Preis für Literatur des Sandoz-Forschungsinstituts Wien
- 1975 Literaturpreis der freien Hansestadt Bremen
- 1975 Rauriser Literturpreis des Landes Salzburg
- 1982 Buchprämie des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst
- 1993 Literaturpreis des Landes Steiermark
- 1993 Literaturpreis der Salzburger Wirtschaft
Leseprobe#
aus Franz Innerhofer - "Schöne Tage. Schattseite. Die großen Wörter."
Der Pflege einer kinderlosen Frau entrissen, sah Holl sich plötzlich in eine fremde Welt gestellt. Es waren da große Räume und viele Menschen, die keine Zeit hatten für Kinder, denn sich mußten sich heftig bewegen. Die Felder waren verwahrlost und die Menschen hungrig. Gleich zu Beginn stifteten die Vorgänge um Holl eine große Verwirrung in ihm. Die Gegenstände, die auf einmal so groß und so neu auf ihn wirkten, wagte er nicht anzufassen. Von den vielen neuen Gesichtern kannte er zwei ganz flüchtig, aber er verstand nichts. Am Nachmittag und am Abend wurde er in eine große Kammer gelegt. Wenn er aufwachte, schrie er, bis jemand kam und ihn herausholte. Dann fürchtete er sich vor den Strümpfen, die man ihm auf einer Bank, während er sich wehrte, rasch über die Beine zog. Die Strümpfe waren rauh. Er zog sie sich aus, und die anderen zogen sie ihm wieder an. Er wand sich und fiel von der Bank, ohne daß er es begriff. Zwei Hände packten ihn und setzten ihn auf die Bank zurück, wo er weinte, weg wollte und wieder hinunterfiel, so daß es den Frauen, die seinetwegen von der Arbeit weg mußten, oft zuviel wurde, sie ihn packten und schlugen. Diese Vorgänge wiederholten sich oft, denn die Erwachsenen konnten sich nicht vorstellen, daß das Kind erst angefangen hatte, eine neue Welt zu begreifen. Aus einer kleinen Welt in eine Welt von Stößen und Schlägen, meistens irgendwo in eine Ecke verbannt, schaute Holl den Frauen zu, die unentwegt kamen und gingen. Eine mußte er Mutter nennen und eine Großmutter. Von früh bis spät wurde dem Kind gesagt, was es nicht tun dürfe und was es tun müsse, was es sonst noch hörte, war ihm unverständlich, waren fremde Worte, an fremde Menschen gerichtet. Es war eine große Welt, in die Holl, bald da- bald dorthin gesetzt, sich hineinzutappen versuchte. Kein Mensch, der sich mit ihm befaßte, zu viele Gegenstände, als daß er sich mit einem hätte befassen können, nur die Großmutter war da und arbeitete den ganzen Tag. Die Mutter arbeitete draußen. Zwei Jahre hatte Holl Zeit, um sich zwischen Gegenständen und Menschen ein wenig zurechtzufinden, aber es verging kein Tag, wo er sich nich an ihnen stieß oder von ihnen gestoßen wurde.
Im Sommer waren die Mutter und der Stiefvater auf der Alm. Im Herbst, Winter und Frühjahr kamen sie mit den anderen Knechten und Mägden werktags zweimal schnell ins Haus, würgten das Essen hinunter, blieben einige Minuten schweigend um den Tisch sitzen, dann kam die Großmutter in die Stube, hielt die Tür auf und schickte alle hinaus. Die einen verschwanden in den Stall oder in die Scheune, die anderen gingen schweigend hinaus auf eines der Felder oder hinauf in den Wald.
© 2002, Residenz Verlag, Salzburg.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
LITERATURHAUS
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von
Gerald Jatzek
Von der "Wiener Zeitung" freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Am 22.1.2002 wurde der österreichische Autor Franz Innerhofer tot in seiner Grazer Wohnung aufgefunden. Laut Polizei dürfte sich der 58-Jährige schon vor einigen Tagen das Leben genommen haben.
Innerhofer wurde in den Siebzigern mit seiner Romantrilogie "Schöne Tage", "Schattseite" und "Die großen Wörter" bekannt, in denen er seine Erfahrungen mit der alltäglichen Brutalität der bäuerlichen Welt verarbeitete. Obwohl er vom deutschen Feuilleton hoch gelobt und mit dem Prädikat "Antiheimatdichtung" bedacht wurde, blieben seine kritischen Beobachtungen nicht auf das Landleben beschränkt. In seiner präzisen Beschreibungsprosa verarbeitete er die Abhängigkeiten des industriellen Arbeiters ebenso wie die hohlen Phrasen vorgeblicher Intellektueller, so wie er schon zuvor die Schule als Ort des Schreckens beschrieben hatte:
In der Schule regierte der Stock. Der Direktor trank. Der Pfarrer trank. Da die Lehrer keine Ahnung hatten oder bewusst übersahen, aus welchen Zuständen viele Kinder in der Früh in die Schule torkelten, fassten die meisten dieser Kinder die Schule ohnehin bald als Witz auf oder als Raststätte. ("Schöne Tage")
Als sich das Feuilleton dem Zeitgeist anschloss, der wiederum dem Prinzip der Gewinnmaximierung huldigt, und seine Libido von den 68ern auf die Spaßgesellschaft lenkte, wollten die Literaturredakteure von einem, der (sich) immer wieder erinnert, nichts mehr wissen:
Außerhalb des Dorfes sprachen einander alle mit du an, im Dorf selber, auf der Straße und in den Geschäften fingen junge Unternehmerfrauen an, sich mit Sie und Frau anzureden. Ich hörte mir das an, nicht ohne Befremden, denn in meiner Erinnerung existierten einige von ihnen als eingeschüchterte Verkäuferinnen weiter. Ich sah sie nach wie vor stumm und stramm hinter einem Ladentisch stehen, aufmerksam auf den Mund der Kundschaft schauen, verstohlen sich nach der Chefin oder dem Chef umblicken, in das Magazin huschen, mit Säcken Dosen Kartons Besen herauskommen. ("Schattseite")
Innerhofer, der unter anderem mit dem Bremer und dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet, war uninteressant geworden. Daran konnten weder die Stücke "Orvieto" (UA 1990) und "Scheibtruhe" (UA 1992) noch der Roman "Um die Wette leben" (1992) etwas ändern. 1993 wurde der seit langem in Graz ansässige Autor für sein Gesamtwerk mit dem Steirischen Literaturpreis ausgezeichnet.
Wiener Zeitung, 22. Jänner 2002
Werke (Auswahl)#
Bücher
- Schöne Tage. Roman, 1974
- Schattseite. Roman, 1975
- Innenansichten eines beginnenden Arbeitstages, 1976
- Die großen Wörter. Roman, 1977
- Der Emporkömmling. Erzählung, 1982
- Orvieto. Das Stück und seine Produktionsgeschichte, 1990
- Scheibtruhe. Die Geschichte der Hanni R. Heft 8 des Schauspielhauses Graz, 1992
- Um die Wette leben. Roman, 1993
Stücke
- Orvieto. Wien: Theater Gruppe 80, 1980
- Scheibtruhe. Die Geschichte der Hanni R. Graz: Schauspielhaus, 1992
Hörspiel
- Das Haus am Stadtrand. ORF Steiermark, 1981
Film
- Schöne Tage. Fernsehfilm. Regie: Fritz Lehner. ORF/SFS/SFB, 1981
Literatur#
- J. Birgfeld, F. Innerhofer als Erzähler, 2002
Quellen#
- AEIOU
- Literaturhaus
- Wiener Zeitung