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Bettauer, Hugo Maximilian#

eigentlich Hugo Betthauer


* 18. 8. 1872, Baden bei Wien

† 10. 3. 1925, Wien


Journalist, Schriftsteller


Hugo Maximilian Bettauer
Hugo Maximilian Bettauer. Foto
© Bildarchiv d. ÖNB, Wien, für AEIOU

Hugo Betthauer wurde am 18. August 1872 als Sohn eines jüdischen Börsenmaklers in Baden bei Wien geboren, wo er auch aufwuchs und seine Schulzeit verbrachte. Das Gymnasium besuchte er in Wien gemeinsam mit Karl Kraus bis 1888.

1890 - mit 18 Jahren - konvertierte er zum evangelischen Glauben, änderte seinen Namen in Bettauer und ging als Einjährig-Freiwilliger zu den Kaiserjägern. Nach fünf Monaten schied er wegen Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten wieder aus. Gemeinsam mit seiner Mutter zog er nach Zürich und trat 1896 das beachtliche Erbe seines Vaters an.

In Zürich heiratete er seine Jugendliebe Olga Steiner und wanderte 1899 (nach dem Tod seiner Mutter) mit ihr nach Amerika aus. Noch während der Überfahrt hatte Bettauer durch eine Spekulation sein gesamtes Vermögen verloren; seine Zeit in New York war von Armut und Hunger geprägt, und so entschloss sich Bettauer zur Rückkehr nach Europa.

In der Zeit von 1899 bis 1904 lebte er wieder in Europa und arbeitete als Journalist in Berlin, dort griff er die Berliner Polizei und preußische Beamte wegen Bestechlichkeit an. Nachdem er die Korruption des Direktors der Berliner Hoftheater aufgedeckt hatte, der darauf Selbstmord beging, musste Bettauer Preußen verlassen. Er ging nach Hamburg, wo er nach der Scheidung von seiner Frau ein Mädchen kennenlernte, mit dem er 1904 wieder nach New York auswanderte, wo er als Reporter der »Deutschen Zeitung« und als Schriftsteller arbeitete. Er erwarb die amerikanische Staatsbürgerschaft und begann für deutschsprachige Zeitungen Fortsetzungsromane zu schreiben und legte damit den Grundstein für seine Karriere als Krimiautor.

1910 kehrte Bettauer nach Österreich zurück, weil ihm durch eine Amnestie des Kaisers die Strafe für die Desertion erlassen wurde. Bettauer nahm wiederum die österreichische Staatsbürgerschaft an, arbeitete als Journalist (u.a. 1914 bis 1918 bei der "Neuen Freien Presse"), und publizierte bis 1924 eine Reihe von Kriminalromanen, Detektivgeschichten und Theaterstücken. Die bekanntesten sind "Die Stadt ohne Juden" (Roman und Bühnenstück, 1922) und "Die freudlose Gasse" (Roman, 1924).

Ab 1924 war er Mitherausgeber von der Zeitschrift "Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik", die als sittengefährdend beschlagnahmt und nach 5 Nummern eingestellt wurde. Der anschließende Prozess (wegen Vergehens gegen die öffentliche Sicherheit) endete zwar mit einem Freispruch, die Aufregung über den "Volksaufklärer" und Skandalautor legte sich allerdings nicht; auch eine antisemitische Medienkampagne wurde erneut entfacht.

Noch im selben Jahr gab er selbst die Zeitschrift "Bettauers Wochenschrift. Probleme des Lebens" heraus und hielt in seiner Redaktion Sprechstunden ab, in denen sich Wiener Bürger mit den verschiedensten Problemen an ihn wenden konnten. Am 10. März 1925 wurde Bettauer von dem Nationalsozialisten Otto Rothstock in seinen Redaktionsräumen niedergeschossen und starb 16 Tage später - am 26. März 1925 - an den Folgen des Mordanschlages.


Die Reaktionen auf das Attentat waren gespalten - die einen sprachen von einem politischen Mord, die anderen hielten es für die Tat eines nicht Zurechnungsfähige. ( Rothstock wurde zwar schuldig gesprochen und in eine Anstalt eingewiesen, aber schon im Mai 1927 als freier Mann entlassen.)

Ende 1927 wurde "Bettauers Wochenschrift", die von seiner Witwe Helene weitergeführt worden war, eingestellt. Er selbst geriet in Vergessenheit (und erst sechzig Jahre nach seinem Tod wurden seine Bücher wieder aufgelegt.)
Bettauers Romane, die die politischen und gesellschaftlichen Gegensätze im Wien der Inflationszeit in grellen Farben schildern, waren in der Zeit von 1921 bis 1928 beliebter Stoff für Filmproduzenten in Deutschland und Österreich. So wurde "Die Stadt ohne Juden" 1924 u. a. mit Hans Moser verfilmt (eine verschollen geglaubte Kopie des Filmdokuments wurde in restaurierter Fassung 1991 in Wien wiederaufgeführt); 1925 entstand die Verfilmung "Die freudlose Gasse" unter der Regie von Georg Wilhelm Pabst, in der Greta Garbo ihre erste größere Rolle spielte.

Werke (Auswahl)#

  • Faustrecht (Kriminalroman), 1919
  • Hemmungslos (Kriminalroman), 1920
  • Die drei Ehestunden der Elizabeth Lehndorff (Roman), 1921
  • Die Stadt ohne Juden (Roman), 1922
  • Der Kampf um Wien (Roman), 1923
  • Das entfesselte Wien (Roman), 1924
  • Die Freudlose Gasse (Roman), 1924
  • Kampf ums Glück (Roman), 1926
  • Der Tod einer Grete und andere Novellen, 1926

Literatur#

  • L. Spira (Hg.), Attentate, die Österreich erschütterten, 1981


Leseprobe#

aus "Hemmungslos "

Kapitel 1


...

Der Zusammenbruch der Monarchie war auch sein Niederbruch. Zuerst lebte er wie in dumpfer Betäubung in den Tag hinein. Ein paar Monate bekam er noch die Gage, dann die Abfertigung, dann ließ sich ein Diamantring vorteilhaft verkaufen, dann die goldene Uhr, eine Nadel, schließlich der Feldstecher und die Kamera. Bis nichts mehr zum Verkaufen da war und er eines Tages buchstäblich als Bettler in seinem möblierten Zimmer erwacht. Und nicht mehr Koloman Freiherr von Isbaregg hieß er, sondern einfach lsbaregg, denn der Adel war eben abgeschafft und verboten worden. Unmöglich, in dem verarmten, kohlen- und industrielosen Land eine Stellung zu bekommen, unmöglich, dem Käfig zu entrinnen und auszuwandern, nichts mehr an Hab und Gut als die verschlissene feldgraue Uniform ohne Distinktion, keine Verwandten, die helfen konnten, die alten Kameraden in ähnlicher Armut wie er. Allerdings — in der aufstrebenden Tschechoslowakei hätte es für den tüchtigen Ingenieur bald Arbeit genug gegeben. Aber auch dieser neue Staat blieb ihm verschlossen, dort stand er auf der Proskriptionsliste, derer, die mehrfach tschechischen Meuterern mit der Pistole entgegengetreten waren und rasche Feldjustiz auf eigene Faust geübt hatten.

Gestern hatte ihm die Zimmervermieterin mit aufrichtigem Bedauern mitgeteilt, daß sie ihm nicht länger Kredit gewähren könne, sondern gezwungen sei, sein Zimmer anderweits zu vergeben, wenn er nicht sofort bezahlen würde. Wie ein geprügelter Hund war er davongeschlichen, als Pfand den Handkoffer mit ein paar Stücken schmutziger Wäsche zurücklassend. In der Tasche noch etliche Kronen. Die lauwarme Nacht hatte er in einem Park auf einer Bank zugebracht, die paar Kronen nach schwerem Kampf heute beim Barbier gelassen. Und nun war es Mittag, er hatte seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen und rief sich brutale Schimpfworte, wie Trottel, Vieh dummes, patriotischer Kretin, zu. Und dachte: "Nun habe ich zwei Möglichkeiten, entweder ich gehe in den Stadtpark und schieße mir unter einem Baum eine Kugel durch den blöden Kopf oder ich verkaufe die Pistole, esse mich satt und gehe dann zu einer Zeitung, um mich als Kolporteur anwerben zu lassen. Man soll davon leben können, besonders wenn man den ehemaligen Offizier herauskehrt. Ich kann mir das Eiserne Kreuz erster Klasse und den Leopolds-Orden anstecken, das wird Eindruck machen. Halt, das kann ich nicht, denn die Orden liegen in der Lederergasse bei meiner Wirtin und die gibt sie sicher nicht heraus, bevor ich zahle."

Kolo schlenderte die Kärntnerstraße zurück, ging über den Graben und blieb vor der Auslage eines Delikatessengeschäftes stehen. Sardinenbüchsen, Spargel, Feigen, Mandeln, Orangen und allerlei Backwerk lagen da ausgebreitet und er fühlte, wie ihm schwarz vor den Augen wurde. "Ich könnte ja auch in den Laden treten, rechts und links Fausthiebe austeilen, Eßbares an mich reißen und mich dann verhaften lassen. Das würde Aufsehen machen und die „Neue Freie Presse“ würde vielleicht einen Leitartikel schreiben und sagen "es brennt in den Eingeweiden unserer Helden" und eine Sammlung veranstalten. Aber ich glaube, es geht nicht, weil ich mich sehr schwach fühle und die Verkäufer mich verprügeln würden." Während er noch immer in die Auslage starrte und seine Augen sich an einem Topf voll Thunfisch in Öl festsaugten, verließ eine Dame, beladen mit kleinen Paketchen, das Geschäft. Eines der Päckchen entglitt ihren Händen, Kolo sprang hinzu, hob es auf und reichte es ihr. Die Dame dankte und sah ihn an und ihre feuchten, ein wenig hervorquellenden Augen blieben mit Wohlgefallen auf dem schlanken, sehnigen Körper des hochgewachsenen Offiziers haften und bekamen etwas Gieriges, als sie das scharfe, bleiche Gesicht mit dem brennenden Blick überflogen. Sie selbst war klein, vollbusig, ein wenig geschminkt und sicher gut zehn Jahre älter, als sie erscheinen wollte.

Kolo Isbaregg erwiderte den Blick mit weit weniger Wohlgefallen. "Widerliches Judenweib," dachte er und ging. Aber sie, die vor ihm herschritt, drehte sich um und sah ihm mit dem schamlosen Blick des alternden, von unbefriedigter Sinnlichkeit verwüsteten Weibes voll ins Gesicht. Das Wort vom "Augenwerfen" wurde da fast sinnfällig. Sie stielte förmlich die feuchten Augen und Kolo hatte das Gefühl, als wenn sie ihn bittend und heischend abtasten würden. Da vereinigten sich der wütende Hunger und die Einsamkeit und auch die geschmeichelte Eitelkeit und trieben ihn an, der vollbusigen kleinen Dame, die in allem das Gegenteil seines die Schlanken und Feinen verehrenden Geschmackes war, nachzugehen.

Sie schritt die Kärntnerstraße abwärts und blieb plötzlich vor einer Auslage stehen. Kolo, dicht neben ihr, fühlte ihren heißen Atem und den weichen, vollen Arm, der sich unauffällig an ihn drängte. Und da war sein Entschluß gefaßt. "Geh," sagte er sich, "greif zu, das Weib hat Geld, wahrscheinlich viel Geld und vielleicht eine schöne Wohnung, in der du ausruhen und essen kannst." Essen, ja essen, Himmel, der Speichel sammelte sich im Mund vor Hunger und es dröhnte ihm in den Ohren. Ja, aber, sie wird ihren Lohn verlangen, wird sich in seinen Armen wälzen und an seinen Lippen festsaugen wollen. Brr, wie grauslich! Aber essen können und ausruhen und vielleicht ein Bad nehmen und Geld, Geld.. . "Zuhälter!" rief es ihm zu. "Koloman Freiherr von Isbaregg, weißt du, wie du früher über Männer, die Liebe für Geld verkaufen, gedacht hast?" "Quatsch," antwortete Kolo sich. "Das war der Baron mit den vielen Ahnen und der großen Karriere vor Augen! Heute bin ich der obdachlose Isbaregg, der seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hat und die Welt von unten aus ansieht. Essen muß der Mensch, essen und sich ausruhen und Geld haben — alles andere ist Wurst! Geh' mit, iß dich an und spiel' dann den Zechpreller! Das kann lustig werden — hui, wird die Jüdin toben!"

Kolo schmunzelte vergnügt, und die Dame, die sich immer wieder umsah, fing das Grinsen geschmeichelt auf, sie hielt es für eine Huldigung und quittierte mit einladendem Lächeln.

Bei der Oper blieb sie stehen und wartete auf eine Elektrische. Kolo geriet in Verlegenheit. Er konnte nicht mitfahren, weil er keinen Heller besaß! Aber an der Haltestelle lagen zahllose weggeworfene Umsteigkarten, die er kurz entschlossen zusammenraffte und in die Tasche steckte. Eine würde schon gültig sein und wenn nicht — ach, was sich den Kopf zerbrechen — er mußte ja mitfahren, er mußte essen!

Bumvoll kam der Wagen an und die Dame drängte sich mühsam hinein. Kolo dicht hinter ihr. Eng aneinandergepreßt standen sie auf der Plattform und sie wich nicht aus, sondern preßte sich gegen ihn, schmiegte den Busen an seine Hüfte. Kolo begann an dem Abenteuer Gefallen zu finden. Seine Hand glitt die feisten Hüften entlang, preßte die bebenden Schenkel, fühlte die Hitze, die aus dem dünnen Seidenrock strömte. Und die Dame schloß die Augen und lehnte sich tief atmend ganz gegen ihn.

Der Schaffner kam und Kolo reichte ihm eine ganze Hand voll zerknüllter Zettel. "Einer muß der richtige sein," murmelte er. Er hatte Glück, gleich die erste Karte wurde für gut befunden. Die Dame vereinigte die vier oder fünf Päckchen mühsam und zitternd unter einem Arm, öffnete das goldene Täschchen, entnahm ihm eine Damenbrieftasche und dieser einen Zweikronenschein. Unwillkürlich hatte Kolo die Prozedur beobachtet und er sah in der Tasche Banknoten, viele Banknoten. Er hielt den Atem an und befeuchtete mit der Zunge die trockenen, brennenden Lippen. Und seine Hand glitt wieder abwärts und blieb an dem fetten Frauenschenkel unter der Goldtasche haften. Noch mehr Leute stiegen ein und die Frau konnte sich unauffällig noch enger an ihn drängen, er noch fester mit den Fingern das Fleisch betasten.

Der Wagen war auf dem Rainerplatz angelangt und sie traf Anstalten, auszusteigen. Sie schob sich zum Trittbrett hin und sah Kolo lächelnd und siegessicher an. "Du kommst mit, schöner Mann," sprach ihr Auge. In Isbaregg wurde aber im Bruchteil einer Sekunde eine flüchtige Idee zum Entschluß und der Entschluß zur Tat. Er drängte nach, blitzschnell öffnete er mit zwei Fingern den Bügel der Goldtasche, der er langsam das Portefeuille entnahm. Hochrot schritt die Dame dem Brahmsplatz zu, sie merkte nicht, daß die Goldtasche offen stand, sie merkte nicht einmal, daß eines der Päckchen abermals zu Boden fiel und von einem halbwüchsigen Burschen rasch aufgehoben wurde, sie sah sich nur immer wieder nach dem schlanken, großen Mann mit den sehnigen Gliedern und der kühnen, edlen Hakennase um.

Kolo ging jetzt in respektvoller Entfernung nach, wartete, bis sie um die Ecke bog, machte kehrt und eilte mit Riesensätzen die Wiedner Hauptstraße entlang, bis ihn das Menschengewühl verschlungen hatte. Bei der Oper erst verlangsamte Kolo sein Tempo, sah sich rasch um und betrat eines der Kaffeehäuser. Er begab sich, ohne die Verbeugung des Kellners zu beachten, direkt in den Toiletteraum, verriegelte die Türe hinter sich und riß das Portefeuille aus der Hosentasche. In seinen Fingern knisterten die Scheine. Da, in diesem Fach lagen schmutzige, abgebrauchte, erbärmliche Zwanzig-, Zehn- und Zweikronenscheine, da aber wuchsen ihm Tausender und Hunderter entgegen. Und Kolo, in dessen Hand die Pistole niemals gezittert hatte, wenn er beim Angriff an der Spitze seiner Leute mit langen Sätzen hinüber zum feindlichen Drahtverhau gestürmt war, mußte sich gewaltsam zur Selbstbeherrschung aufraffen, mußte drei-, viermal beginnen, bevor er ruhig zählen konnte. Dreißig Stück Tausender, vier Hunderter und die kleinen Noten — das war die Beute!

"Beute," dachte er. Und es fiel ihm ein, daß vor noch gar nicht langer Zeit das Wort Beute eine ganz andere Bedeutung gehabt hatte, einen ordentlichen Amtscharakter, daß es Beutezüge, Beuteverteilungsstellen und sogar Beuteprämien gegeben. Jetzt hatte er Beute auf eigene Faust gemacht!


Hugo Bettauer, "Hemmungslos", erstmals erschienen 1920

Weiterführendes#

Quellen#


Redaktion: I. Schinnerl


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