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Tempi passati#

von Nicolai Baron Freytag-Loringhoven


2. August 1903: der Bischof von Krakau Kosielsko erscheint im Vatikan. Was er mitbringt, ist höchst brisant. Katholische Staatsoberhäupter verfügten seinerzeit bei der Wahl des neuen Papstes über die „Exclusive“, ein tradiertes, nicht kirchenrechtlich verankertes Vetorecht(ius exclusivae).


Nach dem Tode von Leo XIII war der sehr einflußreiche Kardinalstaatssekretär Mariano Rampolla als Nachfolger ins Gespräch gekommen und galt als Favorit. Er hatte jedoch als bekannter Freund Frankreichs und Rußlands schlechte Karten in Wien; dazu hatte er sich nach der Tragödie von Mayerling (Selbstmord des Kronprinzen Rudolf) wenig sensibel gezeigt.


Nach dem zweiten Wahlgang platzte des Krakauer Bischofs Mitbringsel: die „Exclusive“ des österreichischen Kaisers! Eine intensive Kompromiss-Suche zeitigte Erfolg: nach insgesamt sieben Wahlgängen trat der Erzbischof und Patriarch Venedigs, Giuseppe Sarto als Pius X auf den Balkon des Vatikans.


Das besagte Vetorecht fand ein rasches Ende: schon 1904 untersagte der neue Pontifex jedem Kardinal bei Strafe der Exkommunikation ein Einbringen in das Konklave.


Die Eisenbahnfahrt Giuseppe Sartos nach Rom zur Papstwahl hatte im übrigen sein Freund Amedeo Grassini, ein wohlhabender jüdischer Anwalt in Venedig, vorgeschossen. Grassinis Tochter Margeritha, verheiratete Sarfatti, brillante Journalistin, Kunstkritikerin und italienische „Madame Stael“ der ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts traf 1912 in Mailand den damaligen Journalisten Benito Mussolini. Sie schrieb Kunstkritiken für die sozialistische Zeitung AVANTI, deren Herausgeber Mussolini geworden war. Sie wurde seine Geliebte und Ratgeberin (er schrieb ihr fast 1300 Briefe!) und sie beeinflußte ganz maßgeblich den frühen Faschismus. Sie führte ihren Lover in ansonsten unerreichbare Gesellschaftskreise ein: ihr enormer Bekannten- und Freundeskreis umfaßte Kunst-, Politik- und Geistesgrößen; sie gondelte mit George Bernard Shaw durch Venedig, trank Tee mit F. D. Roosevelt im Weißen Haus und Albert Einstein musizierte auf der Violine für sie. 1938 zwang sie der im Hitler-Schlepptau wachsende Antisemitismus des Duce in die Emigration; bei ihrer Rückkehr nach Italien 1947 waren Duce und Faschismus Vergangenheit.


Nic. Freytag Loringhoven, Mai 2010


Ganz tolle und neue Sache, die Grassini-Geschichte, das hochnotpeinliche beim Kronprinzen bestand auch darin, dass die Frage, wie sie starb zunächst offen war. Hat er sie erschossen ? HG

glaubauf

--Glaubauf Karl, Freitag, 11. Juni 2010, 17:56