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Millesi, Hanno #

* 1966, Wien


Schriftsteller, Kunsthistoriker


Millesi, Hanno
Hanno Millesi. Foto
© Privat

Hanno Millesi wurde 1966 in Wien geboren.
Er absolvierte ein Studium der Kunstgeschichte an der Universität Wien und der Hochschule für Angewandte Kunst Wien an der Universität für Angewandte Kunst in Wien bei Prof. Peter Gorsen und er promovierte mit einer Dissertation "Zur Fotografie im Wiener Aktionismus".

Von 1985 bis 1999 war Hanno Millesi zusätzlich zur seinen literarischen Arbeiten in verschiedenen Nebenbeschäftigungen tätig: Mitarbeit in der Galerie Krinzinger, in Wien, Assistent von Peter Weiermaier (Frankfurter Kunstverein), danach Assistenzarbeit für Hermann Nitsch, Archiv des Orgien Mysterien Theaters und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums moderner Kunst in Wien.


Er lebt als freier Schriftsteller und Kunsthistoriker in Wien und Berlin und beschäftigt sich mit Prosa, Radio- und Videoarbeiten.


Hanno Millesi ist Mitglied der Grazer Autorenversammlung und der IG Autoren und Mitbegründer des intermediären Internetprojektes www.ignorama.at (mit Heinz Cibulka und Norbert Math), seit 2002 online (siehe auch: myspace.com/albersalbers)

2006 nahm er auf Einladung von Daniela Strigl an den 30. "Tagen der deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt (Bachmannwettbewerb).


Auszeichnungen, Preise (Auswahl):

  • Jubiläumspreis der literar mechana, 1999/2000
  • Staatsstipendien für Literatur, 2000/01 und 2003/04
  • Projektstipdendium des Österreichischen Bundesministeriums, 2005/06
  • Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, 2006


Werke (Auswahl):

  • Disappearing. Rückzugsvarianten. Klagenfurt, Wien: Ritter, 1998
  • Primavera. Roman. Klagenfurt, Wien: Ritter, 2001
  • Traumatologie / Wie du willst doch fort von hier. [Mit Klaus Mosettig]. Wien: Triton, 2002
  • Im Museum der Augenblicke. Erzählung. Wien: Triton, 2003
  • Kalte Ekstasen [Mit Max Boehme]. Sensationsverlag, Wien 2004
  • Ballverlust [Mit Stefan Lux]. Verlag Schlebrügge 2005
  • Mythenmacher. Wien: Luftschacht, 2005
  • Wände aus Papier. Wien: Luftschacht, 2006
  • Der Nachzügler. Wien: Luftschacht, 2008


Hörspiele:

  • Tondokument. Regie: Götz Fritsch. ORF, Deutschlandradio Berlin, Deutschlandradio Köln und Radio Brandendurg, 2005
  • Terrorema – Unter meiner Haut beginnt das befreite Gebiet. Literatur als Radiokunst, kuratiert von Christiane Zintzen, gesendet im November 2005
  • Fabelhaft. Serie von Kurzhörspielen. Regie: Judith Lorentz. RBB, 2006
  • Ghostengine – Sprechen ohne Sprache.(gGem m. Liesl Ujvary und Ann Cotten), Literatur als Radiokunst, Februar 2005


Leseprobe #


aus Hanno Millesi - "Wände aus Papier."

Die Beobachtung. Das Anschauen, das nacheinander Sehen. Das Nachsehen des einen nach dem anderen habe ich in meiner Kindheit als so etwas wie das Um und Auf des Zusammenlebens kennen gelernt. Als Motor innerhalb der Familie. Eine solche Aufmerksamkeit lässt sich unter dem Begriff Rücksicht zusammenfassen und ohne gegenseitiges Rücksichtnehmen geht in der Familie überhaupt nichts. Gar nichts. Rücksicht kann gleichsam als Zauberwort, als Formel bezeichnet werden. Eine Formel für die Entstehung von Harmonie und ihre behutsame Pflege.
Schließlich ist die Familie ein Nebeneinander verschiedener Beziehungen. Menschen durchlaufen Entwicklungen, wachsen, altern, verändern sich, wodurch auch die Verhältnisse, die zwischen ihnen bestehen, anders werden. Jeder hat sich mit dem, was er ursprünglich war, momentan ist und erwartungsgemäß irgendwann sein wird, auseinanderzusetzen. Die Empfindungen füreinander wuchern zum Dickicht. Mann und Frau, Vater und Mutter, Vater und Kind, Mutter und Kind, aber auch Mann und Kind, Frau und Kind, Mann mit Mutter und Vater und Frau." (S. 103 f)

© 2006, Literaturverlag Luftschacht, Wien.

LITERATURHAUS


Auszüge aus dem Roman "Der Nachzügler", erschienen 2008

Ich bin ein Freund der Realität

Ich bin ein Teil des Waldes. Gebannt starre ich in vor Fruchtbarkeit strotzendes Dickicht.
Weidmannsbeobachtungen. Wir sind Selbstversorger. Obst und Gemüse. Wie komme ich preisgünstig zu einem Duftgarten vor meiner Haustüre? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass Ratgeber und Bildbände zum Thema Pflanzen und ihrer Pflege etwa ein Zehntel der Auslage einnehmen. Sie beherrschen die untere Region. Knapp die Hälfte des Schaufenstervolumens hingegen wird von Büchern ausgefüllt, die der Zubereitung von Speisen gewidmet sind. Die Eigenheiten nationaler Geschmäcker, die Kunst des Grillens, Bratens, Dünstens, Schmorens, Würzens und Marinierens. Ratschläge berühmter Küchenmeister, weit gereister Feinschmecker oder ganz einfach Prominenter, die gerne kochen und essen. Zwischen den prächtigen Bänden hocken in Folie eingewickelte Nikoläuse.
Einführung in die Kunst der Salate, des Currys, Theoretisches über Tapas, Soja, Muffins, Essays zum Wok, Wissenswertes über die Küche im alten Rom. Sinn und Deutung der Artischocke. Der Umgang mit dem Kürbis nach 1945. Paradigmen makrobiotischer Leckerbissen. Zur kritischen Theorie fettarmer Milchprodukte. Eine Welt aus Käse.
Der Rest der Auslage ist dem Thema Gesundheit vorbehalten. Techniken der Abstinenz, alle Spielarten des Bäder- und Kurwesens, Verbote, an die Vernunft gerichtete Mahnungen, raffinierte Tricks, harte Bandagen. Charakteristika und Annehmlichkeiten spezifischer Hungerkuren, die Kunst der Wirbelsäulengymnastik, des Schlammbadens, Sonnenbadens, Schmorens, Abnehmens und Massierens. Ratschläge berühmter Ernährungswissenschaftler, weit gereister Gesundheitsfanatiker oder ganz einfach Prominenter, die gerne gesund leben und Sport betreiben. Zwischen den verschiedenen Büchern baumeln in Folie gewickelte Schokoladeengel. Auf einem besonders prächtigen Einband verspricht eine Frau, aus anderen Frauen im Handumdrehen Nichtraucherinnen zu machen. Daneben behauptet ein Mann, sein Erinnerungsvermögen durch die regelmäßige Einnahme eines Ginsengextraktes zu Spitzenleistungen getrieben zu haben. Dieser ganze Unsinn macht mich benommen. Ich muss irgendwohin ausweichen. Ehe ich in die Knie gehe, trete ich einen Schritt zurück, wodurch ein wenig Sonnenschein auf das Schaufenster fällt, die Titel der darin ausgestellten Bücher unleserlich macht und die Bilder auf ihren Umschlägen verzerrt. Ich erkenne nur noch Silhouetten, die in meinem zusammengekniffenen Blickfeld ineinander verschwimmen. Meine Augenflüssigkeit lässt Titel und Abbildungen von den ihnen zugedachten Positionen in andere rinnen. Alles gerät ins Wanken und plötzlich kommt direkt aus dem Zentrum dieses Wankens die Gestalt eines Mannes auf mich zu. Mit jedem Schritt wird er größer und voluminöser. All das ereignet sich blitzschnell und unaufhaltsam. Je deutlicher ich den Mann sehe, desto vertrauter kommt er mir vor. Eine ganz persönliche Niedergeschlagenheit blickt mich aus seinen Gesichtszügen heraus an. An dieser, ich möchte fast sagen Intimität würde ich ihn auch erkennen, selbst wenn ich ihn niemals zuvor gesehen hätte. Ein meinem Wahrnehmungsapparat eingeschriebenes Alarmsystem macht mich im entscheidenden Moment darauf aufmerksam.
Tatsächlich kommt mir der Mann nicht entgegen, sondern nähert sich mir von hinten. Zuweilen reicht mir allerdings die Spiegelung in einem Schaufenster um zu wissen, wann es soweit ist. Ich fühle mich von diesem Mann und seinem unorthodoxen Auftauchen geradezu erlöst. Er erspart es mir, länger in die Auslage der Buchhandlung starren zu müssen, vor der ich aus Gründen der Tarnung gewartet habe. Man kann ja längst nicht mehr einfach nur herumstehen. Egal wo. Das erregt Aufsehen. Menschen erregen sogar Verdacht, wenn sie in Autos sitzen, deren Motoren abgestellt sind. Mir fällt das immer erst ein, sobald ich irgendwo angekommen bin, und es gilt, möglichst unauffällig abzuwarten. Am ehesten wird so etwas alten Menschen gestattet. Sie dürfen sich auf Bänke setzen und vor sich hinstarren, denn sie könnten von einer plötzlichen Erschöpfung oder einer unverarbeiteten Erinnerung aus dem reichen Fundus ihres langen Lebens überrascht worden sein. Niemand wundert sich, wenn alte Leute beschäftigungslos herumsitzen und scheinbar in sich hineinblicken. Aber ein Mann in meinem Alter erregt Verdacht, sofern er keiner Beschäftigung nachgeht und nicht zumindest das Angebot in einer Auslage betrachtet. Deswegen suche ich mir vor Ort ein Schaufenster, in das ich dann starre. Irgendetwas findet sich meistens. Mit der Buchhandlung habe ich aber besonderes Pech gehabt. Üblicherweise meide ich Buchhandlungen. Ihr Angebot macht mich wütend oder verursacht mir heftige Übelkeit. Je nachdem. An Tagen voller Selbstbewusstsein und guter Laune macht es mich zornig, reicht mein Selbstbewusstsein jedoch nicht aus, fühle ich mich von ihrem Angebot gedemütigt. Dabei bin ich davon überzeugt, dass im Inneren auch ernst zu nehmende Titel zum Verkauf angeboten werden. Bücher, die aus hehren Motiven verfasst wurden und deren Lektüre möglicherweise sogar lohnt.
Jedenfalls ist es mir schon seit längerem nicht mehr möglich, eine Buchhandlung zu betreten. Und das obwohl ich von all den Problemen gehört habe, mit denen Buchhandlungen heutzutage kämpfen. Die übermächtige Konkurrenz seitens der Internetanbieter und Versandanstalten mit ihren immensen Lagerkapazitäten, nicht zu vergessen die Tankstellen, Drogerien und Postämter, die leicht verkäufliche Titel längst in ihr Angebot aufgenommen haben. Gegen den in mir aufkeimenden Zorn können diese Argumente allerdings nicht das Geringste ausrichten. Heute handelt es sich um einen Tag im Zeichen des Selbstbewusstseins. Meine Toleranz gegenüber allem, was an solchen Tagen meinen Erwartungen nicht gerecht wird, ist gleich Null.
Erst der Anblick dieses Mannes, ein Anblick, der mir gleichsam aus dem einsehbaren Teil der Buchhandlung entgegenströmt, drängt diese Widerwärtigkeiten in den Hintergrund. Um meinetwillen entflieht er dem deprimierenden Arrangement, zieht meine strapazierte Aufmerksamkeit auf sich und nimmt sie im Vorbeigehen mit sich fort.
Sobald ich den Kopf zur Seite gedreht habe, betrachte ich seine gesamte Gestalt wie sie an mir vorüber schreitet. Dann sehe ich ihn von hinten, eine zwar dezente, aber alles andere als raffinierte Duftwolke in der Nase, unter deren Einfluss seine unmittelbare Umgebung offenbar steht.
Er ist eher klein gewachsen, allerdings keineswegs untersetzt und bewegt sich mit schlanker, geradezu flinker Geschmeidigkeit wie ein Wiesel oder ein vergleichbares Nagetier der zweiten Reihe. In sich gekehrt, verbissen, hässlicher, wenigstens nüchterner als der Kontext, dem er auf merkwürdige Weise entsprungen ist. Über seine Kleidung lässt sich nicht viel sagen. Mit diesen Dingen kenne ich mich nicht aus. Ich merke mir Farben, Muster und natürlich jedwede Auffälligkeit. Was modern ist, darf man mich allerdings nicht fragen, auch nicht, ob exklusive Materialien verarbeitet wurden. Soweit reicht mein Interpretationsvermögen nicht. Schließlich bin ich kein routinierter Beobachter, kein professioneller Zuschauer, sondern ein Schriftsteller.


ORF "Ex libris", gesendet So., 9. November 2008#


Daniela Strigl


Hanno Millesi: Der Nachzügler, Luftschacht


Würde ich behaupten, dieses Buch des Avantgardeschriftstellers Hanno Millesi über einen Avantgardeschriftsteller, der seinen Lebensunterhalt aus einer Nebentätigkeit, der Beschattung von „Zielpersonen“, bestreitet, – würde ich also behaupten, dieses Buch sei ein großartiges, ein ausgefuchstes und erstaunlich unterhaltsames Stück Metaliteratur, dann wäre das in dem im Text beschriebenen Milieu gänzlich ohne Belang. Nicht ob eine Rezension "wohlwollend ausgefallen ist oder nicht", zählt unter Avantgardisten, vielmehr geht es um einen Reigen dankbarer Verpflichtung: "Wer rezensiert, wird von demjenigen, dessen Werk er rezensiert hat (...), bei nächster Gelegenheit eingeladen, an einer Reihe von Leseabenden mitzuwirken, die wiederum eine oder einer zusammengestellt hat, dessen oder deren Publikationen der Eingeladene demnächst rezensieren wird. Wie diese Rezension ausfällt, spielt wiederum keine Rolle."
Auch die irritierende Vorstellung völliger Irrelevanz vermag mich jedoch nicht davon abzuhalten, eben diese Behauptung aufzustellen. Weil sie stimmt. Hanno Millesi erzählt also die Geschichte einer windschiefen Künstler-Existenz. Sein Alter ego ist bemüht, die Arbeit für eine „Agentur“ als nicht bloß materielle Bereicherung darzustellen, als eine Teilhabe am wirklichen Leben, und weiß doch, daß es sich dabei um ein In-die-Knie-Gehen vor der Macht der Ökonomie handelt, das kaum einem ihrer Verächter erspart bleibt. Millesi hat seinem Text gleich zwei Folien unterlegt, die ihn zum Leuchten bringen: zum einen Pierre Bourdieus unter dem Titel „Die Regeln der Kunst“ erschienene Theorie des „literarischen Feldes“ – ihr folgen die Überschriften der dreizehn Kapitel in wörtlichen Zitaten, um sie zu modifizieren. Denn mag es auch früher so gewesen sein, daß die einen Künstler auf Geld aus waren und Unterhaltung produzierten und die anderen der reinen Kunst die Treue hielten und dafür Prestige ernteten, symbolisches Kapital, das bestenfalls am Ende ihres Lebens in klingende Münze umzuwandeln war: Heutzutage, so der Erzähler, haftet den erfolglosen Autoren der Makel des Versagens an. "Die Bedrohung", steht über Kapitel Nr. 3, "resultiert aus der gegenseitigen Durchdringung der Welt der Kunst und der des Geldes." Der Staat füttere seine Avantgardisten aus purem Mitleid durch, nur hie und da schmücke er sich mit ihrer anachronistischen Gegenwart.
Hanno Millesi nützt die vielen Leerläufe und Pannen des Observationsgeschehens, um sein Ich, das sich selbst kaum und uns gar nicht von seiner Tauglichkeit zum Beschatter zu überzeugen vermag, ins Grübeln geraten zu lassen. Dabei besteht sein eigentlicher Kunstgriff darin, die beklagenswerte Situation der Avantgarde heute zu analysieren und zugleich ironisch, also: selbstironisch zu reflektieren. Zum Beispiel ist es dem Erzähler schier unmöglich, eine Buchhandlung zu betreten, ein Umstand, der bei der detektivischen Verfolgung hinderlich sein kann:

[ZITAT] "Ich bin sicher, dass das Angebot der Buchhandlung kein einziges meiner Bücher, wahrscheinlich auch keines meiner Freunde und Kollegen umfasst. Sollte ich auf die Idee kommen, mich an einen der Mitarbeiter der Buchhandlung zu wenden, und ihn bitten, im Computer nach diesem oder jenem Titel, den ich herausgebracht habe, zu forschen, um ihn zu bestellen, würde mich der genervt ansehen und mich ohne es auszusprechen merken lassen, er verstehe nicht, warum ich nicht mit einem der zahlreichen Bücher vorlieb nehme, die griffbereit auf den Präsentationstischen liegen oder in den Regalen stehen. Meinen Namen, den ich nicht als meinen eigenen Namen zu erkennen geben würde, müsste ich erniedrigend oft wiederholen, buchstabieren und mehrfach versichern, dass es sich dabei um einen heimischen Autor handle. Nein, ich werde die Buchhandlung nicht betreten, sondern hier warten, bis meine Zielperson wieder herauskommt."

Der Erzähler malt sich aus, wie es in einer Trainingshalle zuginge, wo Literaten auf "Romanmarathon" trainieren, "miese Tricks" einstudieren oder das "Einstecken vernichtender Kritik" üben. Er stellt sich eine avantgardistische Guerilla vor, die langweilige Literaturveranstaltungen, Starauftritte und Festakte stürmt und schließlich die Meinungsführerschaft erobert. Er selbst freilich ist keine „Führernatur“, geht er doch seinem Nebenerwerb nach, indem er anderen nachgeht.
Als zweite Kontrastfolie für das literaturpolitische Lamento fungiert passenderweise ein Bestseller: Michel Houellebecqs Roman „Ausweitung der Kampfzone“ aus dem Jahr 1994: Dessen Ich-Erzähler läßt sich als die aktuelle „Zielperson“ unseres Ich-Erzählers enttarnen, von diesem in professioneller Unbestimmtheit "Herr X." genannt. Seinem tristen Romanweg, der ihn, den Softwareentwickler, im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums in ein Provinzstädtchen und zum Schluß in eine psychiatrische Klinik führt, folgt der Nebenerwerbsdetektiv in der Realität von Millesis Fiktion. Die an Sensationen arme Handlung des Erfolgsbuches gewinnt, verfremdet durch den Blick des nicht nur an den geschilderten sexuellen Unternehmungen desinteressierten Beobachters, eine ausgesprochen komische Note. Das funktioniert auch ohne Houellebecq, aber mit ist es noch besser. Ein Außenseiter mit Berufsethos spiegelt sich in einem Außenseiter, der noch ärmer dran ist. Ein bekennender Realist, der sein Schreiben als Erforschung der Realität begreift, nimmt die Realität seiner „Zielperson“ wie seine eigene im Doppelsinne reflektiert wahr: gespiegelt in einer Schaufensterscheibe.
Modern? Postmodern? Vorhut oder Nachhut? Zum besten gehalten von einem gefinkelten Arrangeur von Wirklichkeiten taumelt der Leser mit seinen Zielpersonen dem Ende entgegen. Traurig genug, daß der Erzähler, der für sich die Position der Avantgarde beansprucht, als ewiger Nachzügler durch das Geschehen hastet. Woody Allen in "Take the Money and Run" fällt mir ein, der Cello spielend versucht, mit einer Blaskapelle Schritt zu halten. Und immer wieder allein auf seinem Sessel zurückbleibt.

Quellen#


Redaktion: I. Schinnerl