Tiroler Festspiele Erl#
Die Festspiele#
Nah an der Grenze gelegen, hat Erl viele Kriege gesehen und wurde im Lauf der Jahrhunderte immer wieder zerstört. Im 17. Jahrhundert legten die Bewohner einen Eid ab: sie würden alle sechs Jahre die Passion Jesu Christi aufführen, wenn sie von weiteren Kriegsgräueln verschont blieben. Erl blieb verschont; und Erl wurde Passionsspielort. Als 1959 ein neues Passionspielhauses gebaut werden sollte, entschied man sich für den kühnen Entwurf des noch nicht 30jährigen Architekten Robert Schuller. Erl bekam ein Wahrzeichen der besonderen Art, eine markante Architektur mit sensationeller Akustik, die bis heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat. Errichtet mit der eigenen Hände Arbeit, ist das Passionsspielhaus für die Erler das Sinnbild ihrer Gemeinschaft.
Der andere Teil der Geschichte heißt Gustav Kuhn. Geboren in Salzburg, hatte er mit 25 Jahren zwei Universitätsabschlüsse in der Tasche, begann seine Dirigentenlaufbahn in Istanbul, setzte sie fort in Neapel, Berlin, Rom, Paris, New York und vielen anderen bedeutenden Opern- und Konzerthäusern der ganzen Welt. Dabei hat er nie ein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum ging, die Missstände des Klassik- und Opernbetriebs zu kritisieren. Jungen Musikern würden unnötige Steine in den Weg gelegt, vielversprechende Begabungen administrativen Auswüchsen geopfert. Die Antriebsfeder für Gustav Kuhns rastloses kreatives Schaffen, aber auch für seine Kritik ist seine Liebe zur Musik.
Ein solcher Neubeginn sind die Tiroler Festspiele Erl, die Gustav Kuhn 1997 gründete. Seit 1998 hat sich ein Festival mit internationalem Anspruch etabliert, zu dem die Menschen vor allem aus dem deutschsprachigen Raum anreisen, aber auch aus anderen Teilen Europas, sogar aus den USA oder Japan. Die Tiroler Festspiele Erl sind nach dem Willen von Gustav Kuhn ein "Festival der Auseinandersetzung". Wenn er Regie führt, stellt er die Tradition auf den Prüfstand. Lange überlieferte und kaum mehr hinterfragte Interpretationsmuster werden abgestreift, neue, frische Ideen finden Gehör. Von anderen zum "Rebellen" abgestempelt, arbeitet Kuhn seit 1998 unbeirrt an seiner Vision von Musik und Musiktheater. Spektakuläre Projekte wie der "Ring in 24 Stunden" (2005) markieren dabei künstlerische Höhepunkte der besonderen Art.
Das von der STRABAG als Generalunternehmer ausgeführte Bauprojekt erforderte umfangreiche Vorarbeiten: ca. 110.000 Tonnen Fels wurden abgesprengt. Ein besonderes Anliegen war dabei die Erhaltung des Naturdenkmals Blaue Quelle.
Die Architektur des neuen Hauses#
Die Geometrie des neuen Festspielhauses entwickelt sich aus den topografischen Gegebenheiten. Form und Lage nehmen Bezug auf die dahinterliegende Felsformation sowie auf die dynamische Geste des bestehenden Festspielhauses: Bestand und Neubau orientieren sich aufeinander, treten in visuelle Interaktion und erhöhen so die jeweilige landschaftliche Bezugnahme.
Neben der Geometrie betont auch die Farbgebung die Dualität zwischen Alt und Neu. Während die weiße Oberfläche des Passionsspielhauses zur sommerlichen Festspielzeit optisch in den Vordergrund tritt, bewirkt der Wandel der Jahreszeiten eine farbliche Umkehrung des Ensembles. Die Konfguration des Festspielhauses gleicht einer tektonischen Schichtung, deren dazwischenliegenden Spalten und Brüche den Weg in das Gebäudeinnere weisen.
Eine landschaftlich integrierte Zugangstreppe leitet Besucher in das Gebäudeinnere. Nachts gewähren Einschnitte und Faltungen an der markanten Fassade Einblick in das strahlende Foyer.
Die landschaftlich-topografische Prägung des Neubaus setzt sich in seinem Inneren fort: Fließende visuelle und funktionale Raumbezüge bestimmen die Architektur: Zonen von unterschiedlicher Nutzung und Geometrie zeugen von der kreative Auseinandersetzung mit Kommunikation und Ruhe, Dynamik und Konzentration.
Eingangsnah sind Garderobe und Empfangsschalter untergebracht. Das asymmetrische Foyer gewährt vielfältige Blickbeziehungen zur umliegenden Natur sowie zum benachbarten Passionsspielhaus. In gegenläu- fger Richtung führt eine Treppe zur Galerie im darüber liegenden großfächig verglasten Geschoß, Weite Kommunikationszonen, sich verschmälernde und erweiternde Zirkulationsbereiche und variierende Raumhöhen übersetzen die tektonische Gebäudegeometrie auf sinnlich nachvollziehbare Weise.
Die Annäherung zum Konzertsaal wird durch sanftes Ansteigen des Eingangsniveaus wirkungsvoll inszeniert. Der Konzertsaal ist im Zentrum des Gebäudes gleich einer Muschel situiert und im rückwärtigen Teil im Fels verankert
Neben der Gestaltung der Raumabfolge wird auch das Materialkonzept durch die sinnliche Wahrnehmung jeweiliger Nutzungsbereiche definiert . Das Erstrahlen des Foyers bei winterlicher Dämmerung verstärkt den kommunikationsbetonten Charakter dieses Begegnungsraumes. Der Konzertsaal wird von einem deutlichen Materialwechsel defniert: Holzoberfächen und gedämpfte Farben bilden eine warme Raumkomposition von spannungsvoller Ruhe, wodurch die Wahrnehmung der Besucher auf die bevorstehende Darbietung gerichtet wird. Multiple technische Ausstattung sowie die Transformierbarkeit des Saales ermöglichen eine vielfältige Nutzung, die weit über die Funktion eines klassischen Konzert- und Festspielbetriebs hinausgeht.
Quelle#
- Delugan Meissl Associated Architects (Architektenteam)
- http://www.tiroler-festspiele.at
Andere interessante NID Beiträge