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Die ungleichen "Zwillinge"#

In der Aufführungspraxis der Opernhäuser werden eigentlich immer die beiden ungleichen Zwillinge, nämlich Pietro Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ und Ruggiero Leoncavallos „Pagliacci“ gemeinsam an einem Abend zur Aufführung gebracht. Welche Bühne würde es wagen, diese beiden auseinander zu reißen? Und doch geht manchmal ein Opernhaus einen anderen, neuen Weg und bringt nur den Bajazzo allein, oder eine neue „Kombination“ von „Bajazzo“ und „Gianni Schicchi“. Aber nicht jede Kombination bleibt immer gleich. Man denke nur an Puccinis „Trittico“, wo oft nur zwei Teile, nämlich „Il Tabarro“ und „Gianni Schicchi“, nicht aber die tragische „Suor Angelica“, der Mittelteil, auf den Spielplan gesetzt werden.

Beide Komponisten, sowohl Mascagni als auch Leoncavallo, gelten als sogenannte „Ein-Opern-Komponisten“. Und doch haben beide viel mehr zu bieten. Zwar, das ist unbestritten, sind diese beiden Opern jeweils das Meisterwerk der betreffenden Komponisten, aber es wäre sicher interessant, hier einmal eine andere „Paarung“ auf den Opernbühnen zu sehen.

Wem ist schon bekannt, dass es außer der Mascagni-Cavalleria noch eine andere, mit gleichem Titel, ja sogar auf demselben Libretto basierend, gibt? Es ist dies die Komposition von Domenico Monleone.

Mascagnis Werk wurde 1890, Monleones erlebte 1907 die Uraufführung.

Natürlich ist uns heute die „Cavalleria“ von Mascagni auf Grund der „Gewöhnung“ so vertraut, dass einem beim Anhören der Monleone´schen „Cavalleria“ die effektvollen Passagen aus der Mascagni´schen „Cavalleria“ fehlen. Es würde sich lohnen, sich einmal mit der Komposition von Monleone vertraut zu machen – man muss einfach nur den Mascagni „ausblenden“ und vollkommen unvoreingenommen an Monleones Werk herangehen.

Vor der Kirche treffen bei Mascagni Santuzza und Turiddu in einer längeren Szene (5:55) aufeinander; knapp bevor Alfio kommt, warnt Santuzza in einem Zwiegespräch ihren Turiddu, worauf dieser das herunterspielt („Santuzza, credi mi!“ - Santuzza, glaube mir!). In einer relativ längeren Passage mit den Worten „Bada“ (Hüte Dich) droht Santuzza, Turiddu zeigt sich jedoch unbeeindruckt. Die Szene endet mit „Dell´ira tua non mi curo“ (Vor deinem Zorn ist mir nicht bange - Turiddu stößt Santuzza zu Boden und eilt in die Kirche), worauf Santuzza ihren Fluch ausstößt „A te la mala Pasqua, spergiuro“ (Auf dich die roten Ostern, Treuloser). Bei Monleone ist diese Szene doch kürzer (4:12); sie endet ähnlich, mit „Bada! Bada Turiddu! (Hüte Dich! Hüte dich Turiddu!), worau er erwidert „Non ti temo! No!“ (Nein, ich fürchte dich nicht! Nein! - er stößt sie zu Boden und eilt in die Kirche). Santuzzas Fluch folgt auch hier mit „Va! La mala Pasqua …. A te!“ (Geh! Die roten Ostern ….. auf dich!). Aber das ist eben bei Mascagni viel effektvoller als bei Monleone. Und bei Mascagni singt Turiddu „Mamma, quel vino e generoso, e certo“ (Mutter! Der Rote war allzu feurig), während es bei Monleone heißt „Mamma …. Sentite ….. debbo andar via“ (Mutter …… Hört ……. Ich wollte fort ……) – viel schlichter. Und ganz zum Schluss schreit bei Mascagni eine Frau „Hanno ammazzato compare Turiddu“ (Sie haben den Vetter Turiddu erschlagen), und alle stoßen einen Schrei aus. Auch bei Monleone endet es ähnlich „Turiddu accoltellato!“ (Turiddu wurde erstochen) – und doch weniger theatralisch.

Und wer weiß schon, dass Mascagni nicht nur diese eine Oper komponiert hat? Mancher Opernkenner wird noch seinen „Freund Fritz“ kennen, hier besonders das „Kirschenduett“, und eventuell noch seine „Iris“, jene fernöstliche Oper mit dem grandiosen „Sonnenhymnus“. Insgesamt hat er 15 Opern geschrieben, zählt man sein „Si“, die manchmal als Operette bezeichnet wird, dazu, sind es sogar 16! Und von all diesen Opern gibt (gab) es CD-Aufnahmen.

Mascagni ist immer dem Erfolg seiner „Cavalleria Rusticana“ nachgelaufen. Er hat immer wieder Neues probiert, immer wieder originelle Einfälle gehabt. Einmal eröffnet das Läuten von Kuhglocken die Oper, ein andermal gibt es ein wunderbares Duett – das war es dann auch schon. Aber für eine durchgehend spitzenmäßige Oper hat es nicht mehr gereicht. Traurig ist es, dass eigentlich nicht einmal diese guten „Nummern“ überlebt haben!

Bei Leoncavallo schaut die Sache schon ganz anders aus. Hier könnte man zwei blutrünstige Opern aus seiner Feder kombinieren. Zu „Pagliacci“ würde wunderbar „Gli Zingari“ als „Zwilling“ passen!

Und Leoncavallo hat insgesamt elf Opern, aber auch eine ganze Reihe von Operetten komponiert. Reizvoll sind immerhin „I Medici“. Leoncavallo wollte ursprünglich ein Tryptichon unter der Bezeichnung „Crepusculum“ (d. h. Dämmerung; in Anlehnung an Richard Wagners Götterdämmerung) zu Ehren von berühmten Florentinern schaffen. Nicht komponiert wurden leider der 2. und der 3. Teil, nämlich „Savonarola“ (ein Dominikanermönch und Bußprediger, 1498 in Florenz verbrannt) und „Cesare Borgia“.

Um „La Boheme“ hat ein Wettlauf zwischen Puccini und Leoncavallo stattgefunden – Puccini hat das „Rennen“ gewonnen; seine Uraufführung war am 1. Jänner 1896, wenige Monate vor jener seines „Konkurrenten“. Leoncavallos Boheme, der sein Libretto selbst geschrieben hat, stand erstmals am 6. Mai 1897 auf einer Opernbühne. Und das Liebespaar ist bei Leoncavallo im Gegensatz zur Puccini-Boheme statt mit Sopran – Tenor eben mit Sopran – Bariton besetzt, was wesentlich weniger publikumswirksam ist. Nicht übergehen sollte man auch seinen „Roland von Berlin“ (die Lieblingsoper von Kaiser Wilhelm), „Zaza“ und „Mameli“ (dieser Goffredo Mameli ist der Komponist der Italienischen Hymne; sie wird hier auch zitiert!) – und nicht zuletzt „Gli Zingari“.

Während „Pagliacci“ die erste Oper Leoncavallos aus dem Jahr 1892 ist, ist „Gli Zingari“ aus dem Jahr 1912 eine seiner letzten! Und doch gibt es Parallelen! Beim Bajazzo, einer zweiaktigen Oper mit einem Prolog, wird aus dem Spiel ernst – zum Schluss ersticht der Bajazzo, Canio, sowohl seine Frau Nedda, als auch deren Liebhaber Silvio. Der Inhalt als solcher wird vorausgesetzt. Ort und Datum des Geschehens sind mit Montalto in Kalabrien und dem 15. August des Jahres 1865 fixiert.

Die „Zingari“ (Jetztzeit, also ca. 1912) spielen in einem Zigeunerlager. Nur vier Personen, Fleana, Radu, Tamar und ein alter Zigeuner - und natürlich auch ein Chor - sind für eine Aufführung notwendig! Es ist eine sehr „feurige“ (im doppelten Sinn des Wortes!) Oper dieses Komponisten.

1. Akt#

Tamar berichtet dem alten Zigeuner, dass ein Fremder in der Nähe des Lagers gesehen worden ist. Dem Alten ist nicht bekannt, dass sich seine Tochter Fleana schon öfter mit dem Fremden, Radu, getroffen hat. Als das Paar ins Lager gebracht wird, erklärt Radu, Fleana heiraten zu wollen. Tamar, der gerne Fleana geheiratet hätte, ist eifersüchtig und wütend. Tamar zückt ein Messer, doch Fleana nimmt ihm das Messer weg. Tamar ist hasserfüllt, als der alte Zigeuner das Paar segnet.

2. Akt#

Nach einem Jahr hat sich die Liebe Fleanas zu Radu abgekühlt. Fleana trifft sich öfter mir Tamar. Fleana gibt lachend zu, dass sie Radu nicht mehr liebt. Als Fleana und Tamar in einer Hütte verschwinden, sperrt Radu die beiden ein und zündet vor der Hütte Strohballen an. Die Schreie der Eingeschlossenen rufen die Zigeuner herbei, aber Radu lässt sie nicht zur Hütte, bis das brennende Dach herabstürzt und das Paar unter sich begräbt.

Diese Oper hat großartige Stellen. Der Auftritt des Radu mit den Worten „Principe! Radu, io son“ (Fürst! Ich heiße Rado) beginnt sehr wirksam. Ein Höhepunkt ist ein Liebesduett zwischen Radu und Fleana. Das Intermezzo zu Beginn des 2. Aktes lässt ein Jahr schnell vergehen. Nun folgt nochmals ein Liebesduett, diesmal zwischen Tamar und Fleana. Und effektvoll ist auch der Schluss mit „Fleana! Dove sei?“ (Fleana, wo bist Du?) – die Frage des Radu. Mit dem Aufschrei der Zigeuner „Ah“, mit dem die Oper endet, geht durch Mark und Bein.

Es ist mir unverständlich, dass diese beiden unbekannten Werke von Monleone und Leoncavallo vollkommen vergessen sind. Man muss diese Opern nur öfter anhören, um sie lieb zu gewinnen. Sie haben viele verborgene Schönheiten, die Operndirektoren müssten mehr Mut beweisen und auch unbekanntere Opern auf ihre Spielpläne setzen. Warum also müssen „Bajazzo“ und „Cavalleria Rusticana“ immer im „Doppelpack“ aufgeführt werden? Ich kann nicht verstehen, dass es kein einziges Opernhaus wagt, an zwei Abenden ein volles Haus zu haben. Denn sowohl der „Bajazzo“ als auch die „Cavalleria Rusticana“ sind „Zugpferde“, mit denen man ein Haus füllen kann. Spielt man die beiden Opern an einem Abend, hat man an einem Abend ein volles Haus. Spielte man jedoch die beiden „Cavalleria Rusticana“-Opern und die zwei Leoncavallo-Opern, hätte man an zwei Abenden (in Serie) ein volles Haus – denn die beiden bekannten Opern sind Zugpferde, ja Garanten für ein ausverkauftes Haus.

„Cavalleria Rusticana“ von Mascagni dauert ca. 75 Minuten, jene von Monleone knapp über 40 Minuten. Bei Leoncavallo dauert der „Bajazzo“ rund 80 Minuten, die „Zigeuner“ rund 60 Minuten. Es wäre also durchaus opernhausverträglich, eine neue „Koppelung“ im vorgenannten Sinn vorzunehmen.

Dr. Georg Halper, Graz, November 2018


Redaktion: Dr. Halper