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vom 14.04.2020, aktuelle Version,

Der Sohn (Schnitzler)

Der Sohn ist eine frühe Erzählung von Arthur Schnitzler. Sie entstand im Sommer 1889 und erschien im Januar 1892 als erster Beitrag Schnitzlers in der Literaturzeitschrift Freie Bühne für den Entwicklungskampf der Zeit bei S. Fischer in Berlin.[1] Zu einem späteren Zeitpunkt nahm Schnitzler die Erzählung wieder auf und arbeitete sie zu seinem letzten Roman, Therese[A 1] aus.

Inhalt

Der Sohn ist ohne Vater aufgewachsen. Die Mutter, Fräulein Martha Eberlein, vom Erzeuger des Sohnes verlassen, zog den Jungen allein auf. Der Sohn hatte den Erstickungsversuch durch die Mutter in der ersten Nacht seines Lebens überstanden. Seitdem nahm die Mutter einen Vorwurf in dem Augenausdruck des Sohnes zum Anlass zur Tolerierung jedweder Aufsässigkeit ihres Sprösslings. Jene Renitenz gipfelt in einem Mordversuch des schließlich erwachsenen Sohnes. Er schlägt mit dem Beil gegen die Schläfe der Mutter, verletzt die Treusorgende lebensgefährlich und wird inhaftiert. Bevor die Mutter an der Beilattacke stirbt, bittet sie ihren Arzt unter vier Augen, den Sohn zu befreien. Denn er sei unschuldig. Der Doktor will vor dem Gericht um Milde für den Muttermörder bitten.

Stil

Zum Aufbau der dynamischen Erzählspannung: Die Mutter wartet, sobald der Sohn reden kann, auf die Artikulierung des Vorwurfs, den sie täglich in seinen Augen sehen will. Die verbale Anklage aber bleibt aus. Die Mutter kann ihre Schuld nur büßen, indem sie den Tunichtgut verhätschelt; ihm jede Garstigkeit nachsieht. Der Sohn will von solcher Affenliebe nichts wissen. Als es ihm zu bunt wird, schlägt der Schweiger schließlich zu.

Rezeption

  • Nach Perlmann liegt mit der Novelette ein Kriminalfall vor, in der nicht etwa ein Kriminalkommissar, sondern der erzählende Arzt den Mordfall leserverständlich analysiere. Die ärztliche Gewissensentscheidung – das Gericht anzurufen – bahne den „Weg zur sozialen Rechtswissenschaft“[2].
  • Peter Sprengel[3] zitiert den programmatischen Schlusssatz des Textes: „… es ist noch lange nicht klar genug, wie wenig wir wollen dürfen und wieviel wir müssen“ (Verwendete Ausgabe, S. 17, 2. Z.v.u.) und nennt den Erstpublikator – S. Fischers Hauszeitung Neue Rundschau – „Zentralorgan des deutschen Naturalismus“. Sprengel spielt damit auf die philosophische Basis des Textes an; auf die dem Naturalismus innewohnenden Determinismus, der sich beim Sohn im „Zweifel an der Autonomie des Individuums“[4] zeige: Der Sohn kann nicht anders als töten. Er ist durch sein erstes Erlebnis fertig strukturiert.
  • Le Rider bemerkt, der ödipale Sohn habe schlechte Kritiken bekommen. Als Beispiel nennt er die Arbeit „Schnitzler and characterology. From Empire to Third Reich“ (Schnitzler und die Charakterkunde. Vom Empire zum Dritten Reich) von Katherine Arens[5] aus dem Jahr 1986, die Weiningers Geschlecht und Charakter als Vorbild für die textimmanente Schicksalsbestimmung im Menschen sähe.[6]
  • Nach Imke Meyer schwanke der Ich-Erzähler, also der die Sterbende behandelnde Arzt, zwischen Gefahr und Wunsch. Der Mediziner fürchte einerseits die Ansteckung[A 2] bei der Patientin. Andererseits möchte er doch gerne einmal deren jahrelang ausgelebtes Gefühl am eigenen Leib erfahren.[7]
  • Iain Bamforth[8] übertrug den Text 2007 für die Medizinische Monatszeitschrift British Journal of General Practice (BJGP) ins Englische[9].
  • Für Stefan Scherer bejaht die Frage nach der Schuld zumindest auf narrativer Ebene: „Unbewusste Regungen entstehen im Augenblick der allerersten Wahrnehmung.“[10]

Anmerkungen

  1. Schnitzler schreibt 1898 an Hofmannsthal: „Die alte Skizze vom Sohn gestaltet sich in mir zu irgendwas aus, was beinah ein Roman sein könnte.“ (Schnitzler zitiert bei Michael Scheffel, S. 158, 9. Z.v.u.)
  2. Ansteckung ist bildlich gemeint – etwa im Sinne von Ansteckung mit dem in der Erzählung thematisierten seelischen Defekt der Patientin.

Literatur

Erstdruck
  • Der Sohn. Aus den Papieren eines Arztes. In: Freie Bühne für den Entwickelungskampf der Zeit, Jg. 3, H. 1, 1. Januar 1892, S. 89–94.
Ausgaben
  • Der Sohn. Aus den Papieren eines Arztes. S. 10–17 in Arthur Schnitzler: Spiel im Morgengrauen. Erzählungen. Nachwort Eduard Zak und Rudolf Walbiner. Aufbau-Verlag, Berlin 1982 (1. Aufl., verwendete Ausgabe)
Sekundärliteratur
  • Michaela L. Perlmann: Arthur Schnitzler. Sammlung Metzler, Bd. 239. Stuttgart 1987. 195 Seiten, ISBN 3-476-10239-4
  • Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870–1900. Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende. Verlag C. H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44104-1
  • Jacques Le Rider: Arthur Schnitzler oder Die Wiener Belle Époque. Aus dem Französischen von Christian Winterhalter. Passagen Verlag Wien 2007. ISBN 978-3-85165-767-8
  • Imke Meyer: Männlichkeit und Melodram. Arthur Schnitzlers erzählende Schriften. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2010, ISBN 978-3-8260-4050-4
  • Michael Scheffel: Arthur Schnitzler. Erzählungen und Romane. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-503-15585-9
  • Stefan Scherer: Übergänge der Wiener Moderne: Schnitzlers Prosa der 1880er Jahre. S. 9–25 in: Wolfgang Lukas (Hrsg.), Michael Scheffel (Hrsg.): Textschicksale. Das Werk Arthur Schnitzlers im Kontext der Moderne. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2017, ISBN 978-3-05-006470-3

Einzelnachweise

  1. Reinhard Urbach: Schnitzler-Kommentar zu den erzählenden Werken und dramatischen Schriften. München: Winkler-Verlag 1974, S. 94.
  2. Perlmann, S. 125, 14. Z.v.u.
  3. Sprengel, S. 284, 19. Z.v.u.
  4. Sprengel, S. 284, 3. Z.v.u.
  5. eng. Katherine Arens, in Le Rider, S. 207, Fußnote 37
  6. Le Rider, S. 90
  7. Imke Meyer, S. 148, 11. Z.v.o.
  8. Biographischer Eintrag Iain Bamforth bei literature.britishcouncil.org (englisch)
  9. eng. The Son by Arthur Schnitzler, PMC 2084126 (freier Volltext)
  10. Scherer, S. 20, 4. Z.v.o.

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