Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast
vom 11.10.2021, aktuelle Version,

Felice Bauer

Felice Bauer (* 18. November 1887 in Neustadt in Oberschlesien; † 15. Oktober 1960 in Rye, New York, USA) war Franz Kafkas erste Verlobte.

Herkunft

Felice Bauer entstammte einer jüdischen kleinbürgerlichen Familie. Der Vater Carl Bauer arbeitete als Versicherungsvertreter, während die Mutter, Anna Bauer, geb. Danziger, Tochter eines Färbers war. Felice hatte vier Geschwister: Else (1883–1952), Ferdinand (1884–1952), Erna (1885–1978) und Antonie (1892–1918), genannt Toni. 1899 übersiedelte ihre Familie von Oberschlesien nach Berlin.

Beziehung zu Franz Kafka

Franz Kafka lernte Felice am Abend des 13. August 1912 während eines Besuches bei seinem Freund Max Brod kennen, dessen Schwester Sophie mit einem Vetter von Felice Bauer verheiratet war. Felice, die 1908 ihre begonnene Handelsschulausbildung wegen Geldnöten ihres Vaters abgebrochen hatte, arbeitete seit 1909 als Stenotypistin bei einer Berliner Schallplattenfirma. Ein Jahr später wechselte sie zur Firma Carl Lindström AG, wo sie nach kurzer Zeit befördert wurde. Als sie Kafka kennenlernte, war sie bereits zur Prokuristin aufgestiegen. Nachdem sich Franz und Felice zweimal ver- und wieder entlobt hatten, trennten sie sich 1917 in Prag endgültig.

Kafka widmete ihr die 1912 geschriebene und 1913 veröffentlichte Erzählung Das Urteil (Untertitel: Eine Geschichte für Felice B.).

Heirat, Familie und Eheleben

Im Unterschied zu Franz Kafka trug sie durch ihre gute berufliche Stellung schon früh eine große Verantwortung für den Unterhalt ihrer Familie. Schon bald nach der endgültigen Beendigung der Beziehung zu Franz Kafka heiratete sie im Jahr 1919 den 14 Jahre älteren Bankprokuristen Moritz Marasse (1873–1950). Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor: der Sohn Heinz (1920–2012) und die Tochter Ursula (1921–1966). Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem Erfolg der Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl 1930 endete das Familienglück. Unter finanziellen Verlusten übersiedelte die Familie 1930/31 in die Schweiz, von wo aus sie 1936 nach Kalifornien auswanderte, wo Felice Bauer die Familie mit Handarbeiten ernähren musste.[1] 1950 starb ihr Ehemann. Gegen Ende ihres Lebens, im Jahre 1956, sah sich Felice Bauer durch eine Krankheit und die daraus resultierenden Geldnöte gezwungen, die zahlreichen Briefe, die sie von Kafka erhalten hatte, an den Verleger Salman Schocken zu verkaufen. Sie las Kafkas Briefe ein letztes Mal in der Nacht, bevor sie Salman Schocken das Bündel übergab. Elias Canetti, der die Lebensumstände Bauers nicht kannte, hat den Verkauf leichtfertig kritisiert.[1] Das Briefkonvolut wurde 1967 als Briefe an Felice und 1973 in einer englischen Übersetzung herausgegeben. Zwar hatte Felice Bauer mit Salman Schocken vereinbart, die Briefe nach der Veröffentlichung der Israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem zu überlassen, aber dessen Erben hielten sich nicht an die Vereinbarung. Im Juni 1987 wurden die Briefe für 605.000 US-Dollar an einen anonymen Käufer versteigert (Felice Bauer hatte damals nur 8.000 Dollar erhalten).[2]

Der Musiker Adam Green ist ein Urenkel von Felice Bauer. Sein Großvater war Heinz Marasse. Dessen Tochter Leah heiratete Mark W. Green. Aus dieser Ehe stammen zwei Söhne: Joël David Green (* 1978) und Adam Green (* 1981).

Literatur

  • Franz Kafka: Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit. S. Fischer, Frankfurt am Main 1967; ebd. 1982, ISBN 3-596-21697-4.
  • Elias Canetti: Der andere Prozess. Kafkas Briefe an Felice. Hanser, München 1969, ISBN 3-446-11169-7; Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-7632-2814-4.
  • Heinz Politzer: Franz Kafkas vollendeter Roman. Zur Typologie seiner Briefe an Felice Bauer. In: Wolfgang Paulsen (Hg.): Das Nachleben der Romantik in der modernen deutschen Literatur. Die Vorträge des Zweiten Kolloquiums in Amherst/Massachusetts. Stiehm, Heidelberg 1969. (= Poesie und Wissenschaft. XIV.) S. 192–211.
  • Johannes Urzidil: Epilog zu Kafkas Felice-Briefen. In: Wolfgang Paulsen (Hg.): Das Nachleben der Romantik in der modernen deutschen Literatur. Die Vorträge des Zweiten Kolloquiums in Amherst/Massachusetts. Stiehm, Heidelberg 1969. (= Poesie und Wissenschaft. XIV.) S. 212–219.
  • Niels Bokhove: De moeder aller avonden [Die Mutter aller Abende], in: Kafka-Katern 8 (2000) 3, S. 69–73. – Rekonstruktion der ersten Begegnung Kafkas mit Felice Bauer am 13. August 1912.
  • Louis Begley: Die ungeheure Welt, die ich im Kopfe habe. DVA, München 2008, ISBN 978-3-421-04362-7, S. 125f.
  • "Avant de lire Rousseau, je l'ai "écouté"", Le Monde, Samedi 14 juin 2014. Ein Interview mit dem Genfer Literaturkritiker Jean Starobinski (1920–2019). Dort: "Nous avions un très bon enseignement de l'allemand au collège [d. i. Gymnasium] de Genève..... J'acquis assez tôt un ou deux textes de Kafka dans la langue originale. Un camarade de collège, récemment réfugié d'Allemagne, m'amenait fréquemment chez ses parents. Je bavardais en allemand avec sa soeur, son père et sa mère... Le temps de connaître un peu mieux la biographie de Kafka, j'apprenais, bouleversé, que la mère de mon ami avait été la première fiancée de Kafka, à laquelle il avait tant écrit [Lettres à Felice, Gallimard, 1972]."
  • Marianna Lieder: Die andere Juli-Krise, in: Die literarische Welt, 12. Juli 2014, S. 1
  • Unda Hörner: Kafka und Felice. Roman. ebersbach & simon, Berlin 2017.

Einzelnachweise

  1. 1 2 Hans-Gerd Koch: „Teuflisch in aller Unschuld“. Franz Kafka und die Berlinerinnen Felice Bauer und Grete Bloch, in: Sprache im technischen Zeitalter, 2002, S. 379–391, hier S. 388 f.
  2. Hans-Gerd Koch: Franz Kafka, Briefe 1913 - März 1914. Fischer, Frankfurt am Main 1999. S. 6