Geheimrat
Der Geheime Rat war in den Territorien des Heiligen Römischen Reichs und den späteren deutschen Monarchien ein Kollegium von Räten (Geheimes Ratskollegium, Geheimes Konseil wie z. B. in Sachsen-Weimar-Eisenach, Geheimes Kabinett, in Brandenburg: Geheimer Staatsrat), das unmittelbar dem Fürsten unterstand und meist unter dessen Vorsitz über die wichtigsten Landesangelegenheiten, insbesondere über den Erlass von Verordnungen, Beschluss fasste. In freien Reichsstädten galt als Geheimer Rat der sogenannte „Kleine Rat“. Dieser war für die gesamte Finanz- und Außenpolitik dieser Stadtstaaten zuständig. Vorläufer bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts war der österreichische Hofrat.
Die Mitglieder des Geheimen Ratskollegiums hatten den Titel Geheimer Rat oder auch Geheimrat. Geheimrat und Hofrat sind nichtakademische Titel. (Laut Duden wird Geheimrat nicht nur als alternative Titelbezeichnung, sondern auch als Kurzform für die Anrede von Trägern verschiedener Titel wie zum Beispiel Geheimer Regierungsrat, „Geheimer Rechnungsrat“ oder Hofrat genutzt.)[1]
Geschichte
Im Geheimen Rat waren anfangs noch ständische Elemente vertreten, bald jedoch überwog das reine Beamtentum. Die verschiedenen Zweige der landesherrlichen Verwaltung fanden in ihm eine Anlaufstelle und oft auch einen Hebel, eigene Interessen und Absichten durchzusetzen oder zumindest in das Blickfeld des Herrschers zu rücken. Der Geheime Rat ermöglichte andererseits eine planmäßige Organisation der gesamten Verwaltung. Er war damit die wichtigste Handhabe zur Befestigung der landständischen Mitregierung und zur Erweiterung und Durchführung der landesherrlichen (öffentlichen) Gewalt.
In Preußen wurden die Mitglieder des Geheimen Zivilkabinetts seit der Mitte des 17. Jahrhunderts Wirklicher Geheimer Rat genannt, im Unterschied zu den Mitgliedern des Justiz- und Domänenausschusses, die nur den einfachen Titel führten. Später wurde der Titel Wirklicher Geheimer Rat als Auszeichnung an höchste Beamte verliehen. Der Titel war mit dem Prädikat Exzellenz verbunden.[2]
Bedeutungserweiterung des Titels
Die Bedeutung des Titels leitet sich von einer früheren Nebenbedeutung des Wortes „geheim“ ab, welches auch so viel wie „vertraut“ bedeuten konnte. Der Geheimrat war folglich der vertraute – der ins Vertrauen gezogene – Ratgeber seines Herrn.[3]
Später war Geheimer Rat der Titel der obersten Beamten, namentlich der Ministerialdirektoren, der vortragenden Räte in den Ministerien, der ersten Räte in den Kollegien und so weiter. In der Regel war der Titel dann mit einem Zusatz verbunden, aus dem das Ressort hervorging, in dem der betreffende Rat beschäftigt war, zum Beispiel „Geheimer Regierungsrat“ oder „Geheimer Finanzrat“. Auch als bloßer Titel wurde „Geheimer Rat“ zur Auszeichnung verliehen, an verdiente, leitende Beamte, ohne dass damit eine Änderung der Funktion verbunden war[4], oder auch an Männer außerhalb des Staatsdienstes insbesondere der Geheime Medizinalrat an Ärzte, der Geheime Kommerzienrat (beziehungsweise Geheime Kommissionsrat) an hervorragende Kaufleute und Industrielle, der Geheime Ökonomierat an verdiente Landwirte und so weiter. Auch die Subalternbeamten, wie Kanzlei- oder Rechnungsräte, erhielten in Preußen nach längerer Dienstzeit den Titel Geheimer Rat.
Deutschland
Die Entwicklung in Deutschland verfolgte anfangs ähnliche Wege wie in Frankreich, wo der Conseil du Roi schon im 15. Jahrhundert zur Ausübung der königlichen Verordnungsgewalt diente. Durch die Einrichtung verantwortlicher Ministerien und überhaupt des konstitutionellen Systems wurde die staatsrechtliche Stellung des Geheimen Rats allerdings einschneidend verändert.
Mit der Entwicklung des Konstitutionalismus und der Mitwirkung der Volksvertretung bei der Gesetzgebung verlor der Geheime Rat seine Bedeutung, doch erhielt sich manche derartige Körperschaft als begutachtendes Kollegium für wichtige Fragen der Gesetzgebung in manchen Verfassungen noch für einige Zeit, so der Staatsrat in Preußen. Daneben gab es einen Staatsrat in Bayern und seit 1879 auch in Elsaß-Lothringen. In Württemberg gab es noch von 1816 bis 1911 einen Geheimen Rat.
Nach 1918 wurde der Titel in Deutschland noch vom Freistaat Bayern als Auszeichnung weiterverliehen (belegt unter anderem durch die Titelverleihungen an Paul Wolters und August Brehm). Letzter von der Königlich Bayerischen Regierung ernannter Geheimer Hofrat[5] war 1918 der Chirurg Ferdinand Sauerbruch gewesen.
In nichtöffentlichem Rahmen verwendete das Haus Hohenzollern den Titel bis nach dem Zweiten Weltkrieg weiter. Beispielsweise gratulierte Louis Ferdinand von Preußen 1965 Kurt Oswald Reinhold Schellenberger (1895–1977) persönlich zu dessen 70. Geburtstag mit den Worten: „Dem lieben Geheimrat Schellenberger (..)“.
Österreich
Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation hielt sich der „Geheime-Raths-Titel“ auch im Kaisertum Österreich und danach in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bis zu deren Abschaffung 1918. Mit dem Titel war weiterhin die Anrede Exzellenz verbunden. Die Geheimen Räte stellten die Spitze des kaiserlichen Hofstaates und wurden auch im „Hofkalender“ (Staatshandbuch) aufgeführt. Die Verleihung des Großkreuzes des Stephansordens, des Leopoldsordens und des Ordens der Eisernen Krone brachte ebenfalls den Geheimratstitel ein. Mit Schaffung der Republik wurde die Führung dieses Titels durch das Adelsaufhebungsgesetz (1919) untersagt und strafbar gemacht.
Geheimrat ist daher heute nicht, wie manchmal fälschlich angenommen wird, ein österreichischer Amtstitel. Als Rangbezeichnung respektive Auszeichnung („Berufstitel“) wird hingegen bis heute der Titel „Hofrat“ verwendet (obwohl es seit der Ausrufung der Republik auch keinen „Hof“ mehr gibt). Den Titel „Wirklicher Hofrat“ trugen in der Republik nur Beamte der zweithöchsten Dienstklasse (der auf militärischem Gebiet der Rang eines Brigadiers beziehungsweise Generalmajors des österreichischen Bundesheeres entspricht), um den Amtstitel „Hofrat“ vom gleichlautenden Berufstitel (ohne den Zusatz „wirklicher“) unterscheiden zu können. Der Zusatz wurde auf Bundesebene bei einer Reform der Amtstitelordnung abgeschafft; bei Landesbeamten gibt es ihn teilweise noch immer.
Großbritannien
Zum Geheimen Rat in England und Großbritannien siehe Privy Council.
Russland
Siehe auch
- Hofrat, Kaiserlicher Rat (Titel)
- Geheimratsecken – der Haaransatz als Zeichen des Alterns
- Charakter (Titel)
Literatur
- Christian August Ludwig Klaproth, Immanuel Karl Wilhelm Cosmar: Der Königl. Preußische und Churfürstl. Brandenburgische Wirklich Geheime Staats-Rath an Seinem zweihundertjährigen Stiftungstage den 5ten Januar 1805. Berlin 1805 Kaiserlicher Rat (Google eBook, vollständige Ansicht).
- Christian Heinker: Die Bürde des Amtes – die Würde des Titels. Der kursächsische Geheime Rat im 17. Jahrhundert. Band 48, Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Leipziger Universitätsverlag GmbH, Leipzig 2015, ISBN 978-3-86583-855-1.
- Artikel Geheimer Rat in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 461–462.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Duden: Geheimrat, der. Auf Duden.de, abgerufen am 22. Januar 2019.
- ↑ Marc Eric Mitzscherling: Die Ernennung des Fürsten Franz Joseph I. von Liechtenstein zum wirklichen Geheimen Rat – Transkription, aktenkundliche Analyse und Interpretation einer Sammelakte des 18. Jahrhunderts. In: Die Ernennung des Fürsten Franz Joseph I. von Liechtenstein zum wirklichen Geheimen Rat – Transkription, aktenkundliche Analyse und Interpretation einer Sammelakte des 18. Jahrhunderts. 1. Januar 2021 (academia.edu [abgerufen am 17. Dezember 2021]).
- ↑ Was ist ein Geheimrat? Woher kommt das Wort und was bedeutet es? | GfdS. Abgerufen am 30. Juli 2021.
- ↑ Karsten Uhde: Von Accesisten, Probatoren und Zahlmeistern. Bezeichnung für das Verwaltungspersonal in Hessen-Kassel um 1800. In: Archivnachrichten 21/1 (2021), S. 40–44 (41).
- ↑ Ferdinand Sauerbruch, Hans Rudolf Berndorff: Das war mein Leben. Kindler & Schiermeyer, Bad Wörishofen 1951; zitiert: Lizenzausgabe für Bertelsmann Lesering, Gütersloh 1956, S. 240.
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Geburtstagsgruß/Widmung von Louis Ferdinand von Preußen an den Geheimrat Kurt Oswald Reinhold Schellenberger (1895-1977) in dem Buch „Die Hohenzollern. Ein Bildwerk von Anton Ritthalter. Frankfurt, Bonn. 1961“. Text: Dem lieben Geheimrat Schellenberger mit den herzlichsten Gluecks und Segenswuenschen zum 70. Geburtstag in treuer und dankbarer Verbundenheit. Loius Ferdinand Berlin, 16. November 1965 | Andreas Janka | Louis Ferdinand, Prince of Prussia | Datei:Birthday greeting Schellenberger with Loius Ferdinand's signature.jpg | |
Begriffsklärungs-Icon (Autor: Stephan Baum) | Eigenes Werk ( Originaltext: Own drawing by Stephan Baum ) Original Commons upload as File:Logo Begriffsklärung.png by Baumst on 2005-02-15 | Stephan Baum | Datei:Disambig-dark.svg | |
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