In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas
In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas, deutsch „Im Notwendigen herrsche Einmütigkeit, im Zweifelhaften Freiheit, in allem aber Nächstenliebe“, ist ein lateinisches Sprichwort. Die Sentenz stammt nicht, wie lange angenommen, vom Hl. Augustinus von Hippo, sondern geht, wie H. J. M. Nellen 1999 nachwies, zurück auf das Hauptwerk De Republica Ecclesiastica des Markantun de Dominis, wo sie sich 1617 wie folgt findet:
“Omnesque mutuam amplecteremur unitatem in necessariis, in non necessariis libertatem, in omnibus caritatem.”
„Und lasst uns alle umarmen im Notwendigen die beiderseitige Einheit, im Zweifelhaften die Freiheit, in allem die Nächstenliebe!“
Friedrich Lücke hatte 1850 als älteste Quelle noch den lutherischen Theologen Rupertus Meldenius (eigentlich: Peter Meiderlin [1582–1651]) und seine Schrift Paraenesis votiva pro pace Ecclesia ad Theologos Augustanae Confessionis auctore Ruperto Meldenio Theologo von 1626 ermittelt, wo es heißt:
“Verbo dicam: si nos servaremus in necessariis unitatem, in non necessariis libertatem, in utrisque caritatem, optimo certe loco essent res nostrae.”
„Ohne viele Worte sage ich: Wenn wir im Notwendigen die Einheit bewahren, im nicht Notwendigen die Freiheit, in beidem die Nächstenliebe, so wird unsere Sache gewiss in bestmöglichem Zustand sein.“
Meldenius’ Schrift galt den heftigen Auseinandersetzungen um die Rechtgläubigkeit der Theologie Johann Arndts, die eine Spaltung der lutherischen Kirche befürchten ließen. Wie Markantun de Dominis unterschied auch Meldenius zwischen „necessariis“ und „non necessariis“ anstelle der später üblich gewordenen „dubiis“.
Der ursprünglich rein innerkirchlich gedachte Aufruf wurde schnell aufgenommen und auch in Schriften zitiert, die das Verhältnis der verschiedenen christlichen Konfessionen behandelten. Als der Spruch im 18. Jahrhundert zum geflügelten Wort wurde, wurde schließlich die negative Formulierung „non necessariis“ durch „dubiis“ ersetzt. Durch die Loslösung von fest umrissenen theologischen Kategorien verbreitete sich der Ausspruch auch unter Angehörigen anderer Konfessionen, insbesondere unter Katholiken. Aufgrund der Bedeutung der Nächstenliebe im Werk des Augustinus von Hippo wurde die Sentenz sowohl von Katholiken als auch von Protestanten diesem zugeschrieben.[3]
Eine besondere Bedeutung erhielt die Sentenz in der katholischen Kirche Mitte des 19. Jahrhunderts in den Auseinandersetzungen um den Hermesianismus, als sie beide Seiten mit unterschiedlicher Gewichtung von „necessariis“ und „dubiis“ verwendeten. Als Wahlspruch einer katholischen Studentenverbindung ist der Spruch erstmals durch einen Eintrag des Theologiestudenten Hermann Ludger Potthoff von 1854 in das Protokollbuch der W.K.St.V. Unitas-Salia Bonn, damals ein reiner Theologenverein, nachgewiesen.
Er ist heute der Wahlspruch folgender Einrichtungen: Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen, Österreichischer Cartellverband der katholischen Studentenverbindungen, Verband der Wissenschaftlichen Katholischen Studentenvereine Unitas, Medizinische Hochschule Hannover und Gymnasium bei St. Anna (Augsburg). Die Sentenz steht außerdem als Motto über der Verfassung der Christkatholischen Kirche der Schweiz.[5]
Der Spruch ist ein Element der von Ewald Mataré gestalteten Gedenkplakette der Dankspende des deutschen Volkes.
Literatur
- Friedrich Lücke: Über das Alter, den Verfasser, die ursprüngliche Form und den wahren Sinn des kirchlichen Friedensspruches In necessariis unitas, in non necessariis libertas, in utrisque caritas! Eine litterarhistorische theologische Studie. Nebst einem Abdrucke der Paraenesis votiva pro pace Ecclesiae ad Theologos Augustanae Confessionis. Auctore Ruperto Meldenio Theologo. Verlag der Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1850, S. 128, Abs. 223 (Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Friedrich Lücke: Nachträge über den Verfasser des Spruches: in necessariis unitas, in non necessariis libertas, in utrisque caritas. Nebst einigen Bemerkungen über die irenische Litteratur des siebenzehnten Jahrhunderts. 1851 (Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Gustav Krüger: De la maxime: „In necessariis unitas, in non necessariis libertas, in utrisque caritas“. In: Congrès d’Histoire du Christianisme (Jubilé Alfred Loisy). Paris 1928, III, S. 143–152; deutsch in: Theologische Studien und Kritiken. 100 (1927), ISSN 0259-7071, S. 154–163.
- H. J. M. Nellen: De zinspreuk ‚In necessariis unitas, in non necessariis libertas, in utrisque caritas‘. In: Nederlands archief voor kerkgeschiedenis. Band 79, Heft 1 (1999), ISSN 0028-2030, S. 99–106, doi:10.1163/002820399X00232.
Weblinks
- Steve Perisho: Zusammenfassung des Aufsatzes von Nellen (englisch)
- Geschichte des Zitats. (Nicht mehr online verfügbar.) In: ccat.sas.upenn.edu. 2. März 2010, archiviert vom Original am 23. Dezember 2007 (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ Marco Antonio de Dominis: De Republica Ecclesiastica. Billius, London 1617, S. 676, Absatz D (Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Bei Friedrich Lücke: Über das Alter, den Verfasser, die ursprüngliche Form und den wahren Sinn des kirchlichen Friedensspruches In necessariis unitas, in non necessariis libertas, in utrisque caritas! Eine litterarhistorische theologische Studie. Nebst einem Abdrucke der Paraenesis votiva pro pace Ecclesiae ad Theologos Augustanae Confessionis. Auctore Ruperto Meldenio Theologo. Verlag der Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1850, S. 128, Abs. 223 (Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Z. B. von Joseph Socher: Ueber die Ehescheidung in katholischen Staaten. Philipp Krüll, Landshut 1810, S. 170 (Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Adolf Michaelis: Zur Erinnerung an Wilhelm Henzen. In: Jahrbuch des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts. Band II (1887). Georg Reimer, Berlin 1888, S. 1–12.
„[…] Im Jahre 1869 starb Frau Henzen nach längerem Kränkeln. Der schöne Spruch Augustins, mit dem der Gatte ihr Grab schmückte, »in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus Caritas«, bezeichnet in treffender Weise ihr gegenseitiges Verhältnis.“ (S. 10)
„[…] ein zweiter [Schlaganfall] enthob [Hensen] nach wenigen Tagen am Morgen des 27. Januar [1887] weiterer Pein. Erst sein Tod machte Allen fühlbar, was sie verloren hatten. […] Mit auserlesenen Ehren ward Henzen zum Friedhof geleitet, und eine schmerzbewegte Versammlung, aus allen Nationen gemischt, umstand zwei Tage später das Grab, als der von Kranzspenden ganz bedeckte Sarg hinabgesenkt ward. Tiefen Eindruck machte es, als sein treuer Freund Gatti, dem er gemeinsam mit Mau die Ausführung seines letzten Willens übertragen hatte, in warmen Worten auf jenen Spruch hinwies, den Henzen auf das Grab seiner Frau gesetzt und auch sich selber zum [ / ] Grabspruch bestimmt hatte, und hierin das rechte Wesen Henzens beschlossen fand.“ (S. 11 f.) - ↑ Verfassung der Christkatholischen Kirche der Schweiz. In: christkatholisch.ch. Christkatholische Kirche der Schweiz, abgerufen am 17. März 2021.
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Grab des deutschen Epigraphikers Johann Heinrich Wilhelm Henzen (* 24. Januar 1816 in Bremen; † 27. Januar 1887 in Rom) auf dem Protestantischen Friedhof von Rom. | Eigenes Werk | Picture taken by Marcus Cyron | Datei:Grave of Wilhelm Henzen at the Cimitero acattolico Rome.jpg |