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vom 26.03.2022, aktuelle Version,

Milan Kundera

Milan Kundera 1980

Milan Kundera (Aussprache: [ˈmɪˌlan ˈkunˌdɛra], * 1. April 1929 in Brünn, Tschechoslowakei) ist ein tschechisch-französischer[1] Schriftsteller und Universitätsprofessor. Bekannt wurde er durch das Prosawerk Das Buch der lächerlichen Liebe (1969). Sein kommerziell erfolgreichstes Buch ist Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (1984). Seit 1993 schreibt Kundera in französischer Sprache.

Innerhalb seiner akademischen Laufbahn wirkte er vornehmlich an der Elite-Hochschule École des hautes études en sciences sociales in Paris.

Leben und Werk

Tschechoslowakei

Milan Kundera wurde 1929 in ein bürgerliches Umfeld der mährischen Stadt Brünn der jungen Tschechoslowakei geboren. Sein Vater Ludvík Kundera, einer der Schüler von Leoš Janáček, war Pianist, Musikwissenschaftler und späterer Rektor der Musikhochschule in Brünn (1948 bis 1961). Sein Cousin war der tschechische Dichter und Schriftsteller Ludvík Kundera.

Milan Kundera lernte bereits früh Klavierspielen. Musik zieht sich als Motiv und Strukturelement durch sein ganzes Werk. 1945 übersetzte er, noch als Gymnasiast, ein Gedicht des russischen Dichters Wladimir Majakowski, das in der Zeitschrift Gong veröffentlicht wurde. Vermutlich unter dem Einfluss seines Cousins entstanden erste eigene lyrische Arbeiten; eine davon wurde 1946 in der Zeitschrift Mladé archy veröffentlicht.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war Kundera zunächst Arbeiter und Jazzmusiker. 1948 schloss er das Gymnasium ab, trat wie viele seiner Altersgenossen in die kommunistische Partei ein und begann an der Prager Karls-Universität Musik und Literatur zu studieren. Nach zwei Trimestern wechselte er an die Filmakademie, wo er als Hauptfächer Regie und Drehbuch belegte. Um 1950 wurden er und ein weiterer Autor, Jan Trefulka, wegen „Machenschaften gegen die Partei“ aus derselben ausgeschlossen und Kundera musste sein Studium für zwei Jahre unterbrechen. 1967 wurde Kundera wieder in die Partei aufgenommen, 1970 dann endgültig ausgeschlossen.

Nach seinem Studium wirkte Kundera als Dozent für Weltliteratur an der Filmfakultät der Akademie der musischen Künste in Prag. In seinem 1953 erschienenen Debüt-Gedichtband Der Mensch: Ein weiter Garten (Člověk zahrada širá) setzt er sich kritisch mit der auch in der Tschechoslowakei offiziellen Doktrin des Sozialistischen Realismus auseinander – allerdings aus einer überzeugten kommunistischen Grundperspektive heraus. Das Gedicht Letzter Mai (Poslední máj), das Kundera 1955 schrieb, ist eine durchgehend systemkonforme Hommage an den tschechischen Antifaschisten und Freiheitskämpfer Julius Fučík. Ein weiteres Grundmotiv Kunderas ist auch in diesem Werk präsent: die Kultur des mährischen Volkes wird als Symbol für nationale Werte und Patriotismus eingesetzt.

In dem Gedichtband Monologe von 1957 entfernt sich Kundera von der Politik und legt einen Schwerpunkt auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Band liest sich so als eine Sammlung voller intellektuell inspirierter Liebesgedichte.

Kundera war wie viele andere Künstler in den 1950er Jahren und zu Beginn der 60er noch ziemlich angepasst; heute beansprucht er für sich das Recht, Werke aus dieser Zeit nicht mehr übersetzen oder publizieren zu lassen.[2]

Er publizierte für verschiedene Literaturzeitschriften, unter anderem Literární noviny und Listy vielbeachtete Essays über Avantgarde-Poesie. Erst der vierte tschechische Schriftstellerkongress im Jahr 1967 stellte für Kundera, wie auch die meisten anderen seiner Generation, einen Wendepunkt im tschechischen Kulturleben und einen Meilenstein in der Entwicklung des Prager Frühlings dar. Auch Kundera wurde zu einer der „Galionsfiguren“ dieser Bewegung, die sich gegen das politische System auflehnte und künstlerische Freiheit forderte.

Der Scherz und die ersten aus einer Reihe später im Buch der lächerlichen Liebe veröffentlichter Geschichten (Směšné lásky, geschrieben ab 1958, erschienen 1963, 1965 und 1968) sind Ausdruck der wachsenden Kritik Kunderas an den Verhältnissen in der kommunistischen Tschechoslowakei. Hier, wie in vielen seiner folgenden Werke, beschreibt er den Konflikt zwischen dem Einzelnen und seinen privaten Wünschen und Hoffnung einerseits und einem Regime, das sich in totalitaristischer Weise die Bekämpfung eben jener Individualität zum Ziel gesetzt hatte. Nicht zuletzt sind diese Romane insofern auch eine Auseinandersetzung mit Kunderas eigener Biographie; Der Scherz etwa ist offensichtlich inspiriert von Kunderas Ausschluss aus der kommunistischen Partei. Das Buch der lächerlichen Liebe wurde später von Kundera als sein erstes „erwachsenes“ Werk bezeichnet. Indem er in den sieben Kurzgeschichten von zwischenmenschlichen Beziehungen erzählt, entlarvt er gleichzeitig Begriffe wie Wahrheit und Lüge, Glaubwürdigkeit und Täuschung.

Der Einmarsch der sowjetischen Truppen und das Ende des Prager Frühlings beendeten auch die Phase der Presse- und Kulturfreiheit in der Tschechoslowakei. Der Stalinismus kehrte in Reinform zurück. Kunderas Lehrtätigkeit an der Filmhochschule wurde eingestellt, seine Bücher aus Bibliotheken entfernt und nicht mehr verlegt. In Das Leben ist anderswo (Život je jinde, 1969/1970) sowie Abschiedswalzer (Valčík na rozloučenou, 1970/1971) rechnet Kundera mit seiner kommunistischen Vergangenheit ab. Das Buch Abschiedswalzer, das zunächst den Titel Epilog trug, sah er damals als seinen letzten Roman an. Da er inzwischen zur Persona non grata im tschechischen Kulturleben geworden und an eine Veröffentlichung in seiner Heimat sowieso nicht zu denken war, entstanden beide Bücher ohne Rücksicht auf Zensur und Politik .

Im Jahr 1978 nahm Milan Kundera eine Dozentur an der Elite-Hochschule École des hautes études en sciences sociales in Paris an

Frankreich

Die beiden Arbeiten waren seine letzten in der Tschechoslowakei. 1975 erhielt er einen Ruf als Dozent an die Universität Rennes und ging daraufhin mit seiner Ehefrau Věra Hrabánková nach Frankreich. 1978 zog er nach Paris und nahm eine Dozentur an der École des Hautes Études en Sciences Sociales an. Das Regime, welches sonst die Grenzen dicht hielt, hinderte ihn nicht daran.

Sein 1978 veröffentlichter Roman Das Buch vom Lachen und Vergessen (Kniha smíchu a zapomnění), eine erneute kritische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus sowie seiner eigenen kommunistischen Vergangenheit, führte zum Entzug seiner Staatsbürgerschaft der ČSSR. Daraufhin nahm Kundera 1981 die französische Staatsbürgerschaft an. Im November 2019 erhielt er die Staatsbürgerschaft zurück und ist seitdem tschechischer Staatsbürger.[3]

1984 kam der Roman heraus, der ihn international bekannt machte: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (Nesnesitelná lehkost bytí). Auch dieser spielt in der kommunistischen Tschechoslowakei; Zentral sind hier philosophische Betrachtungen u. a. über die Liebe und den Kommunismus.

Der 1990 entstandene Roman Die Unsterblichkeit (Nesmrtelnost) hat erstmals keine tschechischen Charaktere und Schauplätze; er wird als vorerst „französischster“ Roman Kunderas angesehen. Dieser und der 1995 folgende Roman Die Langsamkeit (La lenteur), Kunderas erster in französischer Sprache, enthalten durchgängig Kritik an der westeuropäischen Zivilisation am Ende des 20. Jahrhunderts und prangern Künstlichkeit, Technokratie und Unmenschlichkeit an.

1983, während einer Hochphase des Kalten Kriegs, schrieb er einen berühmtgewordenen[4] Essay mit dem Titel Un occident kidnappé – die Tragödie Mitteleuropas.

Kunderas zweiter in französischer Sprache geschriebener Roman Die Identität (L’Identité, 1995, erschienen 1998) ist wie Die Langsamkeit ein Liebesroman, der den Wert der Liebe in einer feindseligen und primitiven modernen Welt heraushebt.

Die dritte Arbeit in seinem „französischen“ Zyklus ist der im Jahr 2000 entstandene Roman Die Unwissenheit (L’ignorance). Er erzählt von den Missverständnissen und Paradoxa der Liebe und der Unmöglichkeit, zu seinen Wurzeln zurückzukehren.

Seit 1991 ist Kundera Mitglied des Lektorenkollegiums des Verlags Gallimard in Paris. Er lebt (Stand 2014) zusammen mit seiner Frau zurückgezogen in Paris[5] und gibt wenig von seinem Privatleben preis. Seit 1985 gibt er ausschließlich schriftliche Interviews, weil er sich oftmals falsch zitiert fühlte.[6] Auch Übersetzungen seiner Romane lässt er stets überprüfen und überarbeiten. Die „französischen Romane“ liegen nicht auf Tschechisch vor.

Seit 1986 ist er auswärtiges Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters[7] und seit 2002 der American Academy of Arts and Sciences.

Auf den Klappentexten seiner letzten Romane steht zu Kundera nur: „Milan Kundera ist in der Tschechoslowakei geboren. Seit 1975 lebt er in Frankreich.“

Verdächtigungen

Im Oktober 2008 legte der Historiker Adam Hradilek vom Institut für das Studium totalitärer Regime in der tschechischen Kulturzeitschrift Reflex Dokumente vor, die belegen sollen, dass der damals 20-jährige Kundera im Jahre 1950 einen 22-jährigen antikommunistischen Aktivisten, Miroslav Dvořáček, bei der Polizei angezeigt hat. Dieser wurde damals zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er vierzehn Jahre als Zwangsarbeiter im Uranbergbau verbrachte.[8][9]

Die Berichte lösten eine umfangreiche Debatte in den Feuilletons aus. Kundera sprach nach den Vorwürfen von einem „verdächtig perfekt vorbereiteten Attentat“ und äußerte: „Ich bin völlig überrumpelt von etwas, das ich nicht erwartet habe, von dem ich noch gestern nicht einmal etwas wusste und das nicht passiert ist.“ In Bezug auf die Tatsache, dass das Protokoll nicht von ihm unterschrieben ist, sondern nur von einem Beamten der Geheimpolizei, äußerte Kundera: „Ob sich jemand anderes hinter meinem Namen versteckt hat, weiß ich nicht.“[10] Später meldete sich der Literaturhistoriker Zdeněk Pešat zu Wort und äußerte, dass ein anderer (Pešats damaliger Kollege Miroslav Dlask) Miroslav Dvořáček bei der Geheimpolizei verraten haben solle.[11][12]

György Dalos warb im Jahr 2008 in einem Beitrag im Freitag für eine differenzierte Betrachtung der Vorgänge.[13] Ende Oktober 2009 berichtete die Zeitung Lidové noviny, dass die Echtheit des 2008 veröffentlichten Polizeiprotokolls aus dem Jahr 1950 bewiesen sei. Weiterhin unklar sei hingegen, ob Kundera selbst die Anzeige erstattet habe. Er selbst hat keine weitere Stellungnahme abgegeben.[14] Für Andreas Breitenstein ist der Titel des späten Romans Das Fest der Bedeutungslosigkeit ein „trotzig-höhnischer Kommentar“ auf diese Affäre. Zudem kritisiert er im Jahr 2015 die Verniedlichung Stalins als eine gewachsene „Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Stalinismus, den Kundera im Roman Scherz einst demontiert habe.[15]

Preise und Ehrungen

Schriften (Auswahl)

Romane, Erzählungen

Gedichte

  • Der Mensch: Ein weiter Garten (Člověk zahrada širá, 1953)
  • Monologe (Monologues, 1957)

Theater

  • Jacques und sein Herr: Hommage an Denis Diderot in drei Akten, dt. 2003 (Jakub a jeho pán: Pocta Denisu Diderotovi, 1981)

Essays

  • Un occident kidnappé, 1983 (deutsche Übersetzung 1984: Die Tragödie Mitteleuropas)
  • Die Kunst des Romans (Originaltitel L’Art du Roman 1986, übersetzt von Brigitte Weidmann) Hanser, München 1987, ISBN 3-446-14858-2; neu übersetzt von Uli Aumüller 2007, ISBN 978-3-446-20926-8.
  • Verratene Vermächtnisse, 1994 (Les Testaments trahis, 1993)
  • Der Vorhang dt. 2005 (Le rideau, 2005)
  • Eine Begegnung (übersetzt von Uli Aumüller), Hanser, München 2011, ISBN 978-3-446-23555-7 (Milan Kundera: Der doppelte Geist des Jahres 1968 Über die beiden grossen Frühlinge und über die Škvoreckýs. NZZ vom 29. Januar 2011)
  • Das Tschechische Los. Der kritische Geist – Oder von großen und kleinen Völkern in der Welt. In: Lettre International, LI 80, Frühjahr 2008, S. 42–44. (zuerst in Literární Listy 7-8 vom 19. Dezember 1968)
  • Irrtümer, Hoffnungen. Über echten Kritizismus, Radikalismus und moralischen Exhibitionismus. In: Lettre International, LI 80, Frühjahr 2008, S. 47–49 (zuerst in Host do Domu 15 vom 9. September 1969)

Verfilmungen

Dramatisierungen

  • 2011: Ballett Identities von Wang Xinpeng nach Kunderas Roman L'identité

Literatur (Auswahl)

Siehe auch

Commons: Milan Kundera  – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kundera – L'intransigeant amoureux de la France, L'Express, gesehen am 1. Juni 2011
  2. Jan Čulík: Man, a wide garden: Milan Kundera as a young Stalinist. University of Glasgow, 2007, ISSN 1644-4302 – als PDF
  3. Jan Rovenský: Milan Kundera má po 40 letech opět české občanství. In: Novinky.cz. 3. Dezember 2019, abgerufen am 17. Dezember 2019 (tschechisch).
  4. Matthias Nawrat: Wird der Osten diesmal im Westen bleiben? (Essay) In: Die Zeit 3/2022 und zeit.de 18. März 2022.
  5. Entdecker der unbekannten Seiten der menschlichen Existenz. „Kalenderblatt“ anlässlich des 85-sten Geburtstags Kunderas, im Deutschlandradio Kultur vom 1. April 2014, abgerufen 1. April 2014.
  6. Milan Kundera: Weshalb ich keine Interviews gebe. In: Die Zeit. Nr. 45, 2. November 1990, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 5. Juni 2019] aus dem Franzosischen von Susanna Roth).
  7. Honorary Members: Milan Kundera. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 13. März 2019.
  8. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Oktober 2008, S. 3
  9. Karl-Peter Schwarz, Prag: Der Fall „Kundera“: Was geschah an jenem 14. März 1950? 15. Oktober 2008, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 5. Juni 2019]).
  10. Hans-Jörg Schmidt: Zufälliger Aktenfund – Der schändliche Verrat des Milan Kundera In: Die Welt, 13. Oktober 2008. Geheimpolizeiprotokoll: Streit um Spitzel-Verdacht gegen Milan Kundera. auf Spiegel Online, 14. Oktober 2008.
  11. Barbara Bindasová: Kundera – guilty or innocent?@1@2Vorlage:Toter Link/www.praguemonitor.com (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Prague Daily Monitor, 17. Oktober 2008.
  12. K. Brill: Milan Kundera teilweise entlastet. In: sueddeutsche.de. 2010, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 5. Juni 2019]).
  13. György Dalos: Was heißt enthüllt? In: Der Freitag. 23. Oktober 2010, abgerufen am 5. Juni 2019 (wieder veröffentlicht im Eurozine am 24. Oktober 2008).
  14. Repression oder Eifersucht: Ein neues Dokument zum Spitzel-Fall Milan Kundera. In: Süddeutsche Zeitung, 23. Oktober 2009. Neue Vorwürfe gegen Milan Kundera – Der Spitzel-Verdacht gegen den Schriftsteller Milan Kundera („Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“) hat in Tschechien neue Nahrung erhalten. In: Der Tagesspiegel, 22. Oktober 2009. Lidové noviny versuchen weiterhin Milan Kundera zu verunglimpfen (auf Tschechisch: Lidové noviny se dál snaží špinit Milana Kunderu), Jan Čulík, 21. Oktober 2009.
  15. Andreas Breitenstein: Buch des Starrsinns. In: Neue Zürcher Zeitung vom 22. Februar 2015.
  16. radio.cz/de: Milan Kundera erhält Staatspreis für Literatur
  17. radio.cz: Milan Kundera erhält tschechischen Staatspreis für Literatur 2007