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vom 21.12.2020, aktuelle Version,

Peter Paul Rainer (Politiker)

Peter Paul Rainer (* 20. Juli 1967 in Bozen) ist ein ehemaliger rechtspopulistischer Südtiroler Politiker. Im Jahr 1997 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von 22 Jahren und sechs Monaten für den Mord an seinem politischen Weggefährten Christian Waldner verurteilt. Mitte 2013 wurde er wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen.[1]

Leben

Rainer war von 1985 bis 1992 Funktionär der regierenden Südtiroler Volkspartei (SVP), von 1989 bis 1992 politischer Geschäftsführer der SVP-Jugendorganisation Junge Generation und Mitglied des Parteiausschusses. Zusammen mit Stephan Gutweniger, Pius Leitner und Christian Waldner, die die Führung in der Jungen Generation und im Südtiroler Schützenbund übernommen hatten, versuchte er erfolglos, die SVP auf eine betont (deutsch-)nationale Linie zu bringen, die letztendlich eine Loslösung Südtirols vom italienischen Staat propagieren sollte.[2] 1988 war er persönlicher Referent des Präsidenten des Regionalrats Trentino-Südtirol Luis Zingerle und Organisator der Kampagne „Paketabschluss, so nicht“.

Rainer war ein Gegner des Abschlusses der Südtiroler Autonomieverhandlungen mit Italien und der Abgabe der Streitbeilegungserklärung vor den Vereinten Nationen und trat deshalb 1992 aus der Südtiroler Volkspartei aus. Im selben Jahr unterstützte er als Vorsitzender eines Promotorenkomitees die Gründung der Partei Die Freiheitlichen als Südtiroler Schwesterpartei der österreichischen FPÖ, ohne selbst eine Parteifunktion zu übernehmen.[3]

1994 wurde er im Südtiroler Schützenbund zum Bildungs- und Kulturreferenten berufen und Mitglied der Bundesleitung. Zur selben Zeit verfasste er auch mehrere Beiträge, welche 1994/95 in der Wochenzeitung Junge Freiheit erschienen, eine Tätigkeit, welche er während seiner Haftzeit im Gefängnis von Trient wieder aufnahm.[4] 1996 promovierte er an der Universität Innsbruck mit einer Dissertation zur Toponomastik in Südtirol.[5]

Im Januar 2015 trat er öffentlich bei einer Pegida-Veranstaltung in Linz in Erscheinung.[6]

Mord und Prozesse

Am 17. Februar 1997 wurde der ehemalige Parteivorsitzende der Freiheitlichen Christian Waldner, der 1995 aus der Partei ausgeschlossen worden war, am Reichrieglerhof durch fünf Schüsse ermordet aufgefunden. Als wahrscheinliches Todesdatum wurde später der 15. Februar festgesetzt. Fünf Tage nach dem Mord wurde Peter Paul Rainer verhaftet. Da die Staatsanwaltschaft Rainer ein gefälschtes Alibi nachweisen konnte, gestand er beim ersten Verhör – noch ohne Rechtsbeistand – die Tat. Am nächsten Tag informierte er seine engsten Familienangehörigen, dass er unschuldig sei. Am selben Tag führte Rainer die Polizei zu seinem bei Sigmundskron im Wald versteckten Norinco-Jagdgewehr, welches – laut Staatsanwaltschaft Bozen – die Tatwaffe gewesen sei. Kurz darauf bestätigte er in einem in der italienischen Rechtsgeschichte einmaligen und auf seinen Wunsch hin stattfindenden Fernsehinterview des dritten Programms des Senders RAI erneut, Christian Waldner ermordet zu haben. Als Grund gab Rainer an, dass er sein Maturadiplom gefälscht habe. Rainer hatte in Innsbruck dank einer Studienberechtigung Geschichte studieren können, jedoch wurde sein derartig erlangter Titel in Italien nicht anerkannt. Daher fälschte Rainer nachträglich ein Maturadiplom, um die Anerkennung seines Studientitels zu erreichen. Waldner habe von der Fälschung gewusst und ihn damit erpresst – so Rainer. Nach seiner ersten Verurteilung holte Rainer im Gefängnis von Trient die Matura nach.[7]

Zu Beginn des Prozesses am Landesgericht Bozen widerrief Rainer sein Geständnis und beteuerte seine Unschuld. Rainer wurde vom Landesgericht Bozen am 11. August 1997 wegen Mordes zu 20 Jahren und wegen illegalen Waffenbesitzes zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, wobei der Umstand der Erpressung durch Christian Waldner als mildernder Umstand anerkannt wurde. In zweiter Instanz sprach das Oberlandesgericht Trient Rainer am 2. Dezember 1998 jedoch „wegen erwiesener Schuldlosigkeit“ frei und setzte ihn umgehend auf freien Fuß. Während des Prozesses in Trient sorgten eine im Namen der in den 1980ern aktiven Terrororganisation Ein Tirol gegen den vorsitzenden Richter gerichtete Morddrohung sowie ein an ihn geschicktes, fingiertes Dossier des italienischen militärischen Geheimdiensts SISMI, welches Rainer entlasten und dem Mordopfer Kontakte zum osteuropäischen organisierten Verbrechen unterstellen sollte, für Aufregung.[8] Im November 1999 ordnete das Kassationsgericht in Rom aufgrund einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bozen eine Wiederaufnahme des Verfahrens am Oberlandesgericht Brescia an.

Am 20. Mai 2000 bestätigte das Oberlandesgericht Brescia „aus der Beweislage heraus, wegen der Geständnisse, die Details zutage brachten, die nur der Täter wissen konnte, und wegen eines erwiesenen Tatmotivs“ den erstinstanzlichen Schuldspruch des Bozner Landesgerichts.[9] Als das Urteil erging, war Rainer unauffindbar. Bis dahin hatte Rainer unter einem Pseudonym beim christlichen Radiosender Horeb in Balderschwang im Oberallgäu gearbeitet.[10] Aus diesem Grund erließ das Gericht von Brescia nach der Urteilsverkündung einen internationalen Haftbefehl gegen Rainer „wegen Flucht- und Wiederholungsgefahr“ und da Rainer fortgesetzten Kontakt zu „ultranationalen, extremistischen Kreisen im Ausland“ habe, die ihn verstecken könnten.[11]

Nach fast achtmonatiger Fahndung durch Interpol wurde Rainer am 4. Januar 2001 von der österreichischen Polizei in Wien-Rudolfsheim verhaftet.[12] In der Zwischenzeit hatte das Kassationsgericht in Rom den in Brescia verhängten erneuten Schuldspruch bestätigt.[13][14] Rainer wurde daher trotz des Bemühens seines Rechtsbeistands, des ehemaligen österreichischen Justizministers Harald Ofner, am 28. Dezember 2001 an Italien ausgeliefert, da am 9. Oktober 2001 das mit dem Auslieferungsverfahren befasste Oberlandesgericht Wien befand, dass „ein sofortiger Beweis der völligen Unmöglichkeit seiner Täterschaft“ nicht gegeben sei.[15][16] Seitdem verbüßte er seine Haftstrafe im Gefängnis von Padua. 2005 wies das Oberlandesgericht Venedig einen Antrag Rainers auf Wiederaufnahme des Verfahrens ab.[17] Zu Jahresbeginn 2007 ordnete das Kassationsgericht in Rom die Wiederaufnahme des Verfahrens an, da die Verteidigung drei neue Entlastungszeugen aufbieten konnte. Dieses – nun achte – Gerichtsverfahren im Mordfall Waldner wurde am Oberlandesgericht Triest verhandelt.[18][19] Am 20. Oktober 2008 entschied das Gericht, dass es bei 20 Jahren und sechs Monaten Haft für Peter Paul Rainer wegen Mordes bleibt, da, so die Urteilsbegründung, die drei neuen Entlastungszeugen nicht glaubwürdig seien.[20] Wegen guter Führung konnte Rainer gegen Ende seiner Haftzeit tagsüber einer Arbeit nachgehen, Mitte 2013 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen.

Verschwörungstheorien

Der Fall an sich, noch verstärkt durch den ungewöhnlichen Ablauf der polizeilichen Ermittlungen und die dubiosen Kontakte sowohl des Opfers als auch Rainers ins geheimdienstliche Milieu, ließen eine ganze Reihe an Verschwörungstheorien erblühen. Medien in zumindest vier Ländern (Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz) berichteten jahrelang über den Fall.
Waldner und Rainer waren 1992 gemeinsam an der Gründung der Partei Die Freiheitlichen beteiligt. Waldner wurde Parteivorsitzender, in dieser Funktion jedoch 1994 abgewählt und wegen „finanzieller Unregelmäßigkeiten“ 1995 aus der Partei ausgeschlossen. Waldner behielt sein Mandat im Südtiroler Landtag und näherte sich vor seinem Tod der Lega Nord an. Der Politiker Carlo Palermo erklärte vor Gericht, dass Waldner über ein Dossier verfügt habe, mit welchem die „illegale Finanzierung einer Südtiroler Partei hätte nachgewiesen werden können“. Dieses Dossier wurde nie gefunden.[21] Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen nach Rainers Geständnis und dem Auffinden seines Jagdgewehrs praktisch ein. So wurde z. B. das Gewehr von Rainer nicht mehr auf Fingerabdrücke untersucht. Diese Nachlässigkeit der Ermittler und die von der Presse aufgedeckten Kontakte des Opfers sowie des Täters zu rechtsextremen Kreisen und zu italienischen und österreichischen Geheimdiensten führte zu vier Parlamentsanfragen im österreichischen Parlament:

Der Südtiroler Journalist Artur Oberhofer schrieb zwei Bücher zu dem Fall: Mordfall Waldner, in welchem er die Unschuld Rainers zu belegen versuchte, und drei Jahre später Mordfall Waldner – Die neuen Fakten, in welchem Oberhofer alle Ungereimtheiten in Rainers Verhalten analysierte, insbesondere nach dem Freispruch von Trient.

Einzelnachweise

  1. FF
  2. Günther Pallaver: Die historische Entwicklung der politischen Parteien Südtirols (Memento vom 11. November 2013 im Internet Archive). In: Giuseppe Ferrandi, Günther Pallaver (Hrsg.), La Regione Trentino-Alto Adige/Südtirol nel XX secolo. I. Politica e Istituzioni (Grenzen/Confini 4/1). Trento, Museo Storico in Trento, S. 591–630.
  3. Dolomiten, Lebensdaten (Memento vom 6. Oktober 2008 im Internet Archive)
  4. z. B. Junge Freiheit, [25/98 12. Juni 1998, S. 7]
  5. Dissertation von Peter Paul Rainer (Universität Innsbruck, 1996)
  6. Peter Paul Rainer wieder öffentlich, Tiroler Tageszeitung, 23. März 2015.
  7. Dolomiten, Verfahren OLG Brescia (Memento vom 6. Oktober 2008 im Internet Archive)
  8. jf-archiv.de
  9. Dolomiten, Urteilsbegründung Brescia (Memento vom 6. Oktober 2008 im Internet Archive)
  10. Radio Horeb und der Mordfall Waldner. In: Die Welt
  11. jf-archiv.de
  12. Dolomiten, Peter Paul Rainer in Wien verhaftet (Memento vom 6. Oktober 2008 im Internet Archive)
  13. diepresse.com
  14. jf-archiv.de
  15. Verfahren OLG Wien In: Die Presse
  16. Der Spion, der aus Südtirol kam. In: Berliner Zeitung, 10. Oktober 2001; Auslieferung
  17. ORF Verfahren OLG Venedig (Memento vom 15. August 2007 im Internet Archive)
  18. Dolomiten, Verfahren OLG Triest (Memento vom 6. Oktober 2008 im Internet Archive)
  19. trieste.rvnet.eu (Memento vom 6. Oktober 2008 im Internet Archive)
  20. stol.it (Memento vom 23. Februar 2009 im Internet Archive) Dolomiten, Alle drei Zeugen unglaubwürdig.
  21. Ein mysteriöser Mord läßt die Verschwörungstheorien blühen. In: Berliner Zeitung, 29. Juni 1998.