Verbandsklage
Verbandsklage ist eine Form der Popularklage, bei der Vereine oder Verbände die Klagebefugnis zugesprochen erhalten, nicht die Verletzung eigener Rechte geltend zu machen, sondern solcher der Allgemeinheit.
In der Schweiz wird das Recht, eine solche Klage zu erheben, als Verbandsbeschwerderecht bezeichnet. In Österreich spricht man von Parteienstellung.
Entwicklung
Die Verbandsklage entstand aus richterlicher Rechtsfortbildung in den USA, als 1978 der Supreme Court auf Klage eines Naturschutzverbandes den Bau eines Staudamms stoppte, weil dieser zum Aussterben einer Fischart geführt hätte. Zuvor hatte der Rechtswissenschaftler Christopher D. Stone 1973 in einem Buch gefragt: „Should Trees have Standing?“ (Sollten Bäume klagebefugt sein?), woraufhin mehrere Naturschutzverbände Klagen einreichten und die Gerichte zunächst unterschiedlich entschieden.[1] Die sozial-liberale Koalition in Bonn plante daraufhin auch in der Bundesrepublik Deutschland ein Verbandsklagerecht für Naturschutzverbände, das Projekt endete aber mit der Wende von 1981.
1988 reichte eine Koalition aller großen deutschen Naturschutzverbände eine Klage gegen den Bundesverkehrsminister Jürgen Warnke ein, weil das ihm unterstellte Deutsche Hydrographische Institut Chemie- und Entsorgungsunternehmen erlaubt hatte, Titandioxid, Dünnsäure und PCB-haltige Abfälle auf hoher See in der Deutschen Bucht zu entsorgen. Dadurch war die Population der Seehunde in den deutschen und niederländischen Gewässern zusammengebrochen und um etwa 80 % reduziert worden. Die Anwälte der Verbände wiesen darauf hin, dass nach bisherigem deutschem Recht weder sie, noch die Seehunde klagebefugt seien und es im Entsorgungsgebiet auf hoher See keine klagebefugten Anwohner gäbe. Sie forderten das Gericht auf, ihnen die Klagebefugnis trotzdem zuzubilligen, um eine gerichtliche Entscheidung möglich zu machen.[1] Die Klage wurde erwartungsgemäß als unzulässig abgewiesen.[2]
Deutschland
Im deutschen Recht gibt es mittlerweile in den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich ausgeprägte Möglichkeiten, eine Verbandsklage zu erheben.
Verbandsklagen im Verwaltungsrecht
Besondere Bedeutung kommt Verbandsklagen im Umweltrecht zu. Grundsätzlich liegt dem deutschen Verwaltungsprozessrecht das System des Individualrechtsschutzes zugrunde. Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist nur derjenige klagebefugt, der geltend macht, durch den Verwaltungsakt in eigenen Rechten (subjektiv-öffentliches Recht) verletzt zu sein. Ein Umweltschutzverband kann daher nicht ohne weiteres gegen größere Projekte vorgehen, die in die Umwelt eingreifen. Wenn Umweltverbände etwa gegen einen Autobahnbau vorgehen wollten, konnten sie nur klagen, wenn sie selbst Grundstücke im Bereich der Baumaßnahme hatten, die dadurch beeinträchtigt wurden. Dies führte dazu, dass einige Umweltverbände kurzfristig dort sogenannte Sperrgrundstücke erworben hatten, um so eine Klagebefugnis zu erlangen. Wenn die Grundstücke aber nicht in anderer Weise dem Vereinszweck dienen, kann eine Klage im Planungsverfahren als rechtsmissbräuchlich eingestuft werden.[3]
Naturschutzrecht
Das Verbandsklagerecht im Naturschutzrecht ist seit 2002 im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) verbindlich geregelt. Im Abschnitt 8 BNatSchG ist die Mitwirkung von Vereinen geregelt, insbesondere in § 64 BNatSchG „Rechtsbehelfe“ von Vereinen. Die Bundesländer können das Verbandsklagerecht ausdehnen auf Verfahren und Tatbestände, die in ihrer eigenen Verantwortung stehen.
Klagen gegen Bundesbehörden sind nur möglich bei
- Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Naturschutzgebieten und Nationalparks.
- Planfeststellungsbeschlüssen über Vorhaben, die in Natur und Landschaft eingreifen, sowie Plangenehmigungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung.
Darüber hinaus entsprechen die Klagerechte der Naturschutzverbände grundsätzlich denen von Einzelpersonen. Sie können beispielsweise gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Informationszugang klagen, da der Zugang zu Umweltinformationen zu ihren Rechten gehört oder gegen ein Bauvorhaben, sofern es ihre Rechte beeinträchtigt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 12. Mai 2011 im Trianel-Verfahren[4], dass eine die Klagerechte von Umweltvereinigungen einschränkende Regelung in § 2 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gegen EU-Recht verstößt. Die Bundesrepublik Deutschland muss nun die Klagerechte von Umweltvereinigungen erweitern. Bis zum Inkrafttreten einer Gesetzesänderung können sich anerkannte Umweltvereinigungen zur Begründung ihrer Klagerechte unmittelbar auf das EU-Recht berufen.[5]
Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz
Mit dem Ende 2006 in Kraft getretenen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz wurde die Position der Umweltverbände entscheidend gestärkt. Sie haben nun auch die Möglichkeit, gegen bestimmte umweltrechtliche Zulassungsentscheidungen für Industrieanlagen (insbesondere nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz) und Infrastrukturmaßnahmen gerichtlich vorzugehen. Für bestimmte umweltrechtliche Entscheidungen und Genehmigungen haben die anerkannten Verbände damit ein Klagerecht und können vor den Verwaltungsgerichten die Rechtswidrigkeit des Genehmigungsbescheides rügen. Insbesondere kann auch gerügt werden, dass eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung ausgeblieben ist.
Zu den Auswirkungen wird auf die Trianel-Entscheidung des EuGH verwiesen.[4]
Behindertengleichstellungsgesetz
Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen enthält in § 15 BGG ein Verbandsklagerecht, nachdem ein anerkannter Behindertenschutzverband Klage nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung oder des Sozialgerichtsgesetzes erheben kann auf Feststellung eines Verstoßes gegen bestimmte behindertenschutzrechtliche Vorschriften.
Tierschutz
Anerkannte Tierschutzverbände haben ein Verbandsklagerecht in Bremen,[6] Niedersachsen[7], Nordrhein-Westfalen,[8] Hamburg,[9] Rheinland-Pfalz,[10] Schleswig-Holstein,[11] Baden-Württemberg[12] und dem Saarland[13] (Stand: September 2019). In weiteren Ländern wird die Einführung diskutiert. In Bayern wurde das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine im Dezember 2014 und erneut im März 2016 abgelehnt.[14]
Zivilrecht
Auch im deutschen Zivilrecht gibt es die Möglichkeit für Verbände, gerichtlich im Rahmen ihrer Verbandszwecke tätig zu werden.
Insbesondere steht hierbei die Möglichkeit im Vordergrund, dass Verbraucherschutzverbände auf Unterlassung oder Widerruf zur Durchsetzung von Verbraucherschutzvorschriften Klage nach dem Unterlassungsklagengesetz erheben. Da Individualbeschwerden in der Regel nur unzureichend für die Durchsetzung des Verbraucherschutzes vor unlauteren Allgemeinen Geschäftsbedingungen sein können, wurde mit dem Unterlassungsklagengesetz ein eigenständiges Verbandsklagerecht geschaffen, das ansonsten im deutschen Zivilprozess nur ausnahmsweise zulässig ist.
Auch in anderen Gesetzen, so etwa in § 8 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, wird Verbänden die Möglichkeit gegeben, zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen Klage auf Beseitigung oder Unterlassung einer unlauteren Handlung zu erheben. Ein ähnliches Instrument ist die Musterfeststellungsklage zur Geltendmachung von Verbraucherinteressen.
Österreich
Konsumentenschutzgesetz
Auch das österreichische Konsumentenschutzgesetz kennt die Verbandsklage zum Schutz der Verbraucher. Auch hier handelt es sich um eine Rechtsposition, die von dem ansonst auch im österreichischen Privatrecht üblichen Grundsatz abweicht, dass nur der Betroffene selbst seine Rechte klagsweise durchsetzen kann.
Durch die Verbandsklage im Konsumentenschutzgesetz ist es möglich, dass bestimmte Organisationen (aufgezählt in § 29 Abs 1 KSchG) wie etwa die Bundesarbeiterkammer, die Wirtschaftskammer Österreich oder der Verein für Konsumenteninformation ohne „persönlich“ betroffen zu sein klagsweise die Einhaltung des Konsumentenschutzgesetzes verlangen können.
Weblinks
- Text des Unterlassungsklagegesetzes
- Gesetzestext des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (BGBl. 2006 I S. 2816) (PDF; 49 kB)
- Hans-W. Micklitz, Astrid Stadler: Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. 2005.
- Die Einordnung der Verbandsklage in das System des Privatrechts. (PDF) (Nicht mehr online verfügbar.) BDI, August 2005, archiviert vom Original am 6. Oktober 2006 .
- Verbandsklagerechte im geltenden Bundesrecht. Tabellarische Übersicht Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Dokumentation vom 28. September 2017
Einzelnachweise
- 1 2 Nordsee - Wie absurd. Der Spiegel, 12. September 1988 .
- ↑ Kein Klagerecht für Robben. taz, 30. September 1988 .
- ↑ Urteil vom 27.10.2000. Az. 4 A 10.99, BVerwGE 112, 135. BVerwG
- 1 2 EuGH, Urteil vom 12. Mai 2011. Az. C-115/09, -Trianel-.
- ↑ Umweltrecht / Verbandsklage: Aktuelles. (Nicht mehr online verfügbar.) UBA, 29. Juni 2011, archiviert vom Original am 17. Juli 2011: „Der EuGH urteilte am 12.05.2011 im „Trianel-Verfahren“, dass eine die Klagerechte von Umweltvereinigungen einschränkende Regelung in § 2 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gegen EU-Recht verstößt. Die Bundesrepublik Deutschland muss nun die Klagerechte von Umweltvereinigungen erweitern. Bis zum Inkrafttreten einer Gesetzesänderung können sich anerkannte Umweltvereinigungen zur Begründung ihrer Klagerechte unmittelbar auf das EU-Recht berufen.“
Auswertung des EuGH-Urteils vom 12. Mai 2011 zum Klagerecht von Umweltverbänden. (PDF) UBA, 29. Juni 2011 . - ↑ Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine. GBl. Nr. 46 vom 05.10.2007 S. 455. In: umwelt-online.de. 25. September 2007 .
- ↑ Alfons Deter: Niedersächsischer Landtag beschließt Verbandsklagerecht für Tierschützer. In: top agrar online. 10. April 2017 .
- ↑ Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine (TierschutzVMG NRW). vom 25. Juni 2013, GV. NRW. 2013 S. 416. (am 31.12.2018 außer Kraft getreten).
- ↑ Hamburgisches Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (Hamburgisches Tierschutzverbandsklagegesetz – HmbTierSchVKG). HmbGVBl. 2013, S. 247. 21. Mai 2013 .
- ↑ Landesgesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzvereine (TierSchLMVG). GVBl. 2014, 44. 3. April 2014 .
- ↑ Gesetz zum Tierschutz-Verbandsklagerecht. GVOBl. Schl.-H. Nr. 2 vom 26.02.2015 S. 44 Gl.-Nr.: B 7833-3. 22. Januar 2015 .
- ↑ Gesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen (TierSchMVG). Drucksache 15/6858. Landtag von Baden-Württemberg, 6. Mai 2015 .
- ↑ Gesetz Nr. 1810 über das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzverbände (Tierschutzverbandsklagegesetz – TSVKG). 26. Juni 2013 .
- ↑ Weiter Streit um das Klagerecht für Verbände. Deutschlandfunk, 1. März 2016, abgerufen am 2. März 2016.
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