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vom 11.04.2020, aktuelle Version,

Wenzel Jaksch

Wenzel Jaksch (* 25. September 1896 in Langstrobnitz, Böhmen; † 27. November 1966 in Wiesbaden) war ein deutschböhmischer sozialdemokratischer Politiker.

Leben

Als 14-Jähriger verließ Jaksch die Schule und arbeitete als Saisonarbeiter auf dem Bau in Wien. Eine höhere Schulbildung blieb ihm versagt. Im heutigen Wiener Bezirk Ottakring erlernte er ab 1910 das Maurerhandwerk, schloss sich dem Verband jugendlicher Arbeiter und 1913 der SDAP an. Im Ersten Weltkrieg wurde er schwer verwundet. Anschließend arbeitete er als Journalist für die deutsche Sozialdemokratie in der Tschechoslowakei. Er war Redakteur des Sozialdemokrat, der in Prag erscheinenden Zeitung der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP). Im Jahre 1924 wurde Jaksch in den Parteivorstand der DSAP gewählt und war seit 1935 stellvertretender Vorsitzender.

Unter der Führung Jakschs bildete sich in der DSAP seit 1934 ein deutschnationaler Flügel heraus, der sich auf das „Vermächtnis“ des Parteigründers Josef Seliger berief und gegen den Parteivorsitzenden Ludwig Czech opponierte.[1] Jaksch entwickelte einen politischen Ansatz, der – von paneuropäischen und pangermanischen Konzeptionen geprägt – das „nationale Problem“ ins Zentrum der Überlegungen stellte. In der DSAP warb Jaksch für die programmatische Festlegung auf einen „Volkssozialismus“ und die Umwandlung der „Klassenpartei“ in eine „Volkspartei“.[2] Der zur Jaksch-Gruppe gehörende Emil Franzel, Chefredakteur des Zentralorgans der DSAP, propagierte in seiner Schrift Abendländische Revolution. Geist und Schicksal Europas (1936) einen gegen die Sowjetunion gerichteten „abendländischen Sozialismus“. Diese Entwicklung wurde auch außerhalb der Tschechoslowakei aufmerksam verfolgt. Während linkssozialdemokratische Beobachter die Vorstöße von Jaksch als „Einbruch einer politischen Ideologie des Gegners in unsere Reihen“[3] bzw. als „Symptome der Zersetzung“[4] bewerteten und entschieden zurückwiesen, wurden sie von einigen deutschen Sozialdemokraten, darunter Wilhelm Sollmann, unterstützt.[5] Der SdP-Politiker Josef Pfitzner begrüßte 1937, dass „sich ein Kreis junger Sozialdemokraten, geführt von den nicht dem Judentum entstammenden Vertrauensmännern Wenzel Jaksch und Emil Franzel, plötzlich um die Bedeutung des deutschen Volkstums und die Beziehung des deutschen Arbeiters zu diesem wie in der Zeit Seligers zu kümmern begann und dabei Ansichten vertrat, die von denen des Nationalsozialismus gar nicht so weit abstanden.“[6]

Ende März 1938 wurde Jaksch auf dem Prager Parteitag der DSAP zum Parteivorsitzenden gewählt, nachdem Ludwig Czech mit der Begründung, dass er „mit jener Richtung, die Genosse Jaksch als Volkssozialismus vertritt“, nicht übereinstimme und ihm „nach der bitteren Erfahrung der letzten Jahre jede Zusammenarbeit mit dem Genossen Jaksch unmöglich“[7] sei, zurückgetreten war. Unmittelbar danach, am 2. April 1938 (nach anderen Angaben am 5. April[8]), traf Jaksch in Prag mit einem Vertreter der Henlein-Partei (Josef Pfitzner) zu einer von Emil Franzel vermittelten Unterredung zusammen. Nach dem später aufgefundenen Gedächtnisprotokoll Pfitzners soll Jaksch dabei ausgeführt haben, dass „dieser Ausdruck Volkssozialismus nur ein anderes Wort für Nationalsozialismus“[9] darstelle und er bereit sei, „in der SdP Führer der Arbeiter“[10] zu werden. Jaksch verlor in den folgenden Monaten jedoch rasch an Bedeutung und Einfluss, da die DSAP zunehmend mit Auflösungserscheinungen zu kämpfen hatte.

Nach dem Münchner Abkommen ging Jaksch zusammen mit anderen Funktionären wie Eugen De Witte und Richard Reitzner mit britischer Hilfe in die Emigration. In London rief er 1939 die Treugemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten ins Leben und arbeitete noch vor Kriegsbeginn eine Denkschrift mit dem Titel Was kommt nach Hitler? aus, in der er ein Konzept entwickelte, das von der Anerkennung der Annexion Österreichs und der Sudetengebiete ausging und einen „naturrechtlichen Anspruch auf großdeutsche Einigung[11] im Rahmen einer europäischen Föderation postulierte. Nach Kriegsbeginn lehnte Jaksch den Eintritt sudetendeutscher Emigranten in die tschechoslowakische Auslandsarmee (und in andere alliierte Armeen) ab[12] und wies im Herbst 1940 das von Edvard Beneš gemachte Angebot, in den tschechoslowakischen Staatsrat (das provisorische Exilparlament, vgl. Tschechoslowakische Exilregierung) einzutreten, zurück. Beneš hatte der DSAP sechs Sitze und Jaksch persönlich die Position eines Vizepräsidenten angeboten, aber die von der Treugemeinschaft hier und später geforderte Garantie einer völligen Autonomie der Sudetendeutschen verweigert.[13] Die Politik Jakschs wurde von einigen sudetendeutschen Emigranten als zunehmend abenteuerlich empfunden und abgelehnt. Diese etwa 170 Personen umfassende Strömung spaltete sich im März 1941 von der Treugemeinschaft ab und konstituierte sich unter dem Vorsitz Josef Zinners als DSAP/Auslandsgruppe.[14]

Nachdem das Vereinigte Königreich am 5. August 1942 das Münchner Abkommen annulliert hatte, protestierte Jaksch in Schreiben an die britische, kanadische und amerikanische Regierung gegen diesen „Rechtsbruch“.[15] Daraufhin sah die tschechoslowakische Exilregierung von jeder weiteren Unterhandlung mit Jaksch ab. In den letzten Kriegsjahren versuchte Jaksch, durch Berufung auf die Atlantik-Charta eine neue Grundlage für seine „großdeutsche“ Politik zu schaffen und bestand noch 1944 auf der „Unantastbarkeit“ der deutschen Vorkriegsgrenzen.[16]

Während seiner Zeit im Londoner Exil hielt Jaksch auch immer wieder Radioansprachen über den Auslandsservice der BBC, in denen er die Sudetendeutschen dazu aufrief, dem tschechoslowakischen Staat gegenüber loyal zu bleiben und Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu leisten. Diese Sendungen wurden jedoch im Sommer 1942 eingestellt.[17]

Nach dem Krieg ging Jaksch aus dem britischen Exil nach Westdeutschland, schloss sich der SPD an und übernahm 1949 deren zentrale Flüchtlingsbetreuung. Von 1950 bis 1953 leitete er in Hessen das Landesamt für Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte. Im Bundestagswahlkampf 1961 gehörte er zur SPD-Regierungsmannschaft, die Erich Ollenhauer am 25. November 1960 in Hannover für den Fall einer Regierungsübernahme vorgestellt hatte. Er war als Bundesvertriebenenminister vorgesehen. Von 1964 bis zu seinem Tode war Jaksch Präsident des Bundes der Vertriebenen, nachdem er bereits seit 1961 Vizepräsident der Sudetendeutschen Landsmannschaft gewesen war. Er war neben Reinhold Rehs, der später zur CDU übertrat, der bisher einzige Sozialdemokrat in diesem Amt. Sein politisches Wirken in der Bundesrepublik Deutschland war geprägt von seinem Engagement für die Heimatvertriebenen. Außerdem war er Präsident der Deutschen Stiftung für Europäische Friedensfragen.

Jaksch leitete von 1951 bis zu seinem Tode außerdem die Seliger-Gemeinde (Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten), das sozialdemokratische Gegenstück zur katholischen Ackermann-Gemeinde.

Am 27. November 1966 starb er an den Folgen eines Verkehrsunfalls.[18]

Die sozialdemokratische Seliger-Gemeinde gedachte ihres Gründungsmitglieds am 16. September 2006 mit der Wenzel-Jaksch-Gedächtnisfeier im Sudetendeutschen Haus in München.

Abgeordneter

Von 1929 bis 1938 war Jaksch Abgeordneter im tschechoslowakischen Abgeordnetenhaus. Von 1953 bis zu seinem Tode war er Mitglied des Deutschen Bundestages.

Ehrungen

Jaksch war Träger des Großen Verdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und der Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen. Er wurde außerdem mit dem Ehrenbrief der Sudetendeutschen Landsmannschaft und der Rudolf-Lodgmann-Plakette ausgezeichnet.

Nach Jaksch ist der Wenzel-Jaksch-Gedächtnispreis der Seliger-Gemeinde (Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten) benannt.

Zu Ehren seiner Person sind Straßen in Wiesbaden (in der er selbst gewohnt hat), Nauheim, Bad Vilbel und Griesheim nach ihm benannt worden.

Im 16. Wiener Gemeindebezirk Ottakring erinnert eine Gedenktafel in der Lindauergasse 34–36 an den großen Sozialdemokraten.

Veröffentlichungen

  • Was kommt nach Hitler? In: Jitka Vondrová: Češi a sudetoněmecká otázka. 1939.
  • Can industrial peoples be transferred? - The future of the Sudeten population. Executive of the Sudeten Social Democratic Party (Herausg.), London 1943.
  • Mass transfer of minorities. Aufsatz in: Socialist commentary. (4 S.), London, ca. 1944.
  • Sudeten labour and the Sudeten problem - a report to international labour. Herausg.: Executive of the Sudeten German Social Democracy Party, London 1945, 47 S.
  • Wir heischen Gehör - ein wichtiges historisches Dokument für die Wiedergutmachung der völkerrechtswidrigen Ausweisungen. Petition an die Vereinten Nationen / von Wenzel Jaksch (37 S.). München, Verl. „Das Volk“, 1948.
  • Benesch war gewarnt! Die abschließende Auseinandersetzung zwischen der tschechoslowakischen Exilregierung und den Sudetendeutschen in London. Hrsg. v. Almar Reitzner. München 1949.
  • Sozialdemokratie und Sudetenproblem. (15 S.), Frankfurt a. M./Höchst 1949.
  • Der Dolchstoß gegen den Frieden - Untertitel: Richters neue Legende. SPD-Faltblatt, Bonn ca. 1950.
  • Heimatrecht. Anspruch und Wirklichkeit. (mit Erich von Hoffmann), Verlag der Altherrenschaft bündischer Studentenverbände, Erlangen 1957.
  • Europas Weg nach Potsdam. (533 S.), 1958; 4. Auflage (mit einem Nachruf von Willy Brandt), München 1990, ISBN 3-7844-2304-3 (das Hauptwerk von Wenzel Jaksch).
  • Der 4. März 1919 und das Elend der deutschen Geschichtsschreibung. Verlag des Münchner Buchgewerbehauses, München 1959.
  • Deutsche Ostpolitik - ein Experiment in Sachlichkeit. In: Die Neue Gesellschaft. Nr. 12/1965, S. 800–802.
  • Gedanken zur Ostpolitik. Verlag „Die Brücke“, Hg.: Seliger-Gemeinde, 32 Seiten, ca. 1966.

Literatur

  • Walter Henkels: 99 Bonner Köpfe, durchgesehene und ergänzte Ausgabe, Fischer-Bücherei, Frankfurt am Main 1965, S. 138ff.
  • Martin K. Bachstein: Wenzel Jaksch und die sudetendeutsche Sozialdemokratie. München 1974.
  • Martin Bachstein: Jaksch, Wenzel. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 10, Duncker & Humblot, Berlin 1974, ISBN 3-428-00191-5, S. 326 f. (Digitalisat).
  • Detlef Brandes: Der Weg zur Vertreibung 1938-1945. Pläne und Entscheidungen zum Transfer der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen. Oldenbourg Verlag, München 2001.
  • Edmund Jauernig: Sozialdemokratie und Revanchismus. Zur Geschichte und Politik Wenzel Jakschs und der Seliger Gemeinde. Deutscher Verlag der Wissenschaften, (Ost-)Berlin 1968.
  • Hans-Werner Martin: „… nicht spurlos aus der Geschichte verschwinden“: Wenzel Jaksch und die Integration der sudetendeutschen Demokraten in die SPD nach dem II. Weltkrieg (1945-1949). Lang, Frankfurt am Main 1996.
  • Friedrich Prinz: Benes, Jaksch und die Sudetendeutschen. Stuttgart: Seliger-Archiv, 1975, 76 S.
  • Emil Werner: Wenzel Jaksch. Bonn 1991.

Einzelnachweise

  1. Siehe Kowalski, Werner (u. a.), Geschichte der Sozialistischen Arbeiter-Internationale (1923–1940), Berlin 1985, S. 231 und Weger, Tobias, „Volkstumskampf“ ohne Ende? Sudetendeutsche Organisationen 1945–1955, Frankfurt am Main 2008, S. 205.
  2. Zu den einschlägigen Grundannahmen siehe vor allem Jaksch, Wenzel, Volk und Arbeiter. Deutschlands europäische Sendung, Bratislava 1936.
  3. Zitiert nach Kowalski, Geschichte der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, S. 232.
  4. Jauernig, Edmund, Sozialdemokratie und Revanchismus. Zur Geschichte und Politik Wenzel Jakschs und der Seliger-Gemeinde, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1968, S. 54.
  5. Siehe Langkau-Alex, Ursula, Deutsche Volksfront 1932–1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Zweiter Band. Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, Berlin 2004, S. 17.
  6. Pfitzner, Josef, Sudetendeutsche Einheitsbewegung. Werden und Erfüllung, Karlsbad-Leipzig 1937, S. 99.
  7. Zitiert nach Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 81.
  8. Siehe Weger, Volkstumskampf, S. 205.
  9. Zitiert nach Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 50.
  10. Zitiert nach Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 83.
  11. Zitiert nach Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 99.
  12. Siehe Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 115, 135.
  13. Siehe Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 117ff.
  14. Siehe Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 130.
  15. Siehe Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 122.
  16. Siehe Jauernig, Sozialdemokratie und Revanchismus, S. 122, 125.
  17. Siehe Douglas, R.M., Ordnungsgemäße Überführung. Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, München, 2012, S. 43ff
  18. spiegel.de: Gestorben