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Dor, Milo #

(eigentlich Milutin Doroslovac)
Pseudonym: Alex Lutin, Alexander Dormann


* 7. 3. 1923, Budapest (Ungarn)

† 5. 12. 2005, Wien

Erzähler, Übersetzer


Milo Dor wurde als Milutin Doroslovac am 7. März 1923 in Budapest als Sohn eines serbischen Arztes geboren. Er wuchs in Groß-Betschkerek und in verschiedenen Dörfern des Banats auf. 1933 übersiedelte er nach Belgrad, wo er nach ersten Veröffentlichungen in Schülerzeitschriften 1940 wegen politischer Tätigkeit vom Schulbesuch ausgeschlossen wurde. Er holte 1941 die Matura nach und war im Widerstand tätig. 1942 wurde er als kommunistischer Widerstandskämpfer verhaftet und zur Zwangsarbeit nach Wien deportiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb Dor in Österreich. Er studierte bis 1949 Theaterwissenschaft und Romanistik an der Universität Wien und war gleichzeitig als deutsch schreibender Journalist tätig. Er wurde Mitarbeiter der Literaturzeitschrift "Plan“ und Mitglied der "Gruppe 47".


Dor war Präsident der IG Autorinnen Autoren, die er 1971 mit Hilde Spiel gegründet hatte, ab 1988 war er Ehrenmitglied des österreichischen P.E.N. Clubs. 2005 war er Mitherausgeber der umstrittenen Anthologie österreichischer Literatur nach 1945 "Landvermessung" ("Austrokoffer").


Er schrieb Romane und Novellen, Drehbücher und Feuilletons, war Herausgeber von Dokumentationen und Anthologien; von Bedeutung sind auch seine zahlreichen Übersetzungen aus dem Serbokroatischen.


Die Auseinandersetzung mit der mitteleuropäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts steht im Zentrum von Milo Dors Schaffen. Der historische Roman Die Schüsse von Sarajewo (1988) untersucht die geistigen und politischen Strömungen im untergehenden Habsburgerreich am Rande des Ersten Weltkrieges. Im ersten Teil seiner Romantrilogie Die „Raikow Saga“, der 1959 unter dem Titel „Nichts als Erinnerung“ erschien, beschreibt Dor den langsamen Verfall der altösterreichischen Kulturtradition im Banat der Zwischenkriegszeit.


Immer wieder setzt sich Milo Dor mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich und deren Auswirkungen auf die Zweite Republik auseinander. Der zweite und dritte Teil der "Raikow Saga", "Tote auf Urlaub" (1952) und "Die weiße Stadt" (1969), sowie mehrere publizistische Veröffentlichungen, darunter die Bände "Schriftsteller und Potentaten" (1991) und "Die Leiche im Keller. Dokumente des Widerstandes gegen Dr. Kurt Waldheim" (1988), beschäftigen sich mit dieser Frage. Die 1997 erschienene Erzählung "Wien, Juli 1999" entwirft ein bedrückendes Zukunftsbild einer bedrohten Demokratie.


Seit dem Zerfall Jugoslawiens veröffentlichte Milo Dor die Essaysammlung "Leb wohl, Jugoslawien" (1993), und gab die Sammlung "Irren ist menschlich und patriotisch. Serbische Aphorismen aus dem Krieg" (1994) heraus, in der er auf die Grausamkeit des Bürgerkrieges aufmerksam macht und Aufrufe zu Frieden und Menschlichkeit zu Wort kommen lässt. Dors Entgegnung zu Peter Handkes umstrittenem Essay "Gerechtigkeit für Serbien" erschien in vielen deutschsprachigen Zeitungen.


Milo Dor wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, u.a. 1998 mit dem Andreas Gryphius Preis der Stadt Jena.

Er lebte in Wien und Rovinj / Kroatien.

Auszeichnungen, Ehrungen (Auswahl)#

  • Österreichischer Staatspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Romane, 1962
  • Würdigungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur, 1980
  • Österreichischer Staatspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Verdienste um die österreichische Kultur im Ausland, 1989
  • Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln, 1990
  • Großes Silbernes Ehrenkreuz für Verdienste um die Republik Österreich, 2003


Werke (Auswahl):

Prosa:

  • Unterwegs. Ill.: Hans Robert Pippal. Wien: Erwin Müller, 1947
  • Tote auf Urlaub. Roman. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1952
  • der unterirdische strom. träume in der mitte des jahrhunderts, ein versuch von milo dor und reinhard federmann (mit Reinhard Federmann). Hrsg.: A. Andersch. Frankfurt/M.: Frankfurter Verlagsanstalt, 1953
  • Othello von Salerno. Roman. (Mit Reinhard Federmann). München: Kindler & Schiermeyer, 1956
  • Das Gesicht unseres Jahrhunderts. Sechzig Jahre Zeitgeschehen in mehr als sechshundert Bildern. (mit Reinhard Federmann). Düsseldorf / Wien: Econ / Europa, 1960.
  • Salto mortale. Erzählungen. Zürich: Arche, 1960.
  • Ballade vom menschlichen Körper. Einl., Ausw.: G. Fritsch. Graz, Wien, Köln: Stiasny, 1966.
  • Die weiße Stadt. Roman. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1969.
  • Alle meine Brüder. Roman. München: Bertelsmann, 1978.
  • Meine Reisen nach Wien und andere Verirrungen. Gesammelte Erzählungen. München, Wien: Langen-Müller, 1981.
  • Schriftsteller und Potentaten. Schriften aus fünf Jahrzehnten. Wien: Picus, 1991.
  • Internationale Zone. Roman. [Mit Reinhard Federmann]. Wien: Picus, 1994.
  • Leb wohl, Yugoslawien. Protokolle eines Zerfalls. Mit einer Antwort an Peter Handke. Salzburg: Otto Müller, 1996.
  • Mitteleuropa. Mythos oder Wirklichkeit. Auf der Suche nach der größeren Heimat. Salzburg: Otto Müller, 1996.
  • Wien, Juli 1999. Eine Geschichte. Wien, München: Zsolnay, 1997.

Kinder- und Jugendbücher:

  • Das Pferd auf dem Balkon. Ill.: G. Pils. Wien, München: Jugend & Volk, 1971.
  • Der Mann, der fliegen konnte. Eine Erzählung für Erwachsene und Kinder. Ill.: Rita Berger. Wien: Picus, 1990.

Stück:

  • Der vergessene Bahnhof. Ein Trauerspiel. Wien: Szene 48. Urania, 1948.

Hörspiele:

  • Romeo und Julia in Wien. [Mit Reinhard Federmann]. Wien: RWR, 1954.
  • Das Haus auf dem Hügel. [Mit Reinhard Federmann]. WDR, 1959.

Filme:

  • Der Selbstmörder. Drehbuch (nach Awertschenko): Milo Dor. NWDR, 1952.
  • An einem ganz gewöhnlichen Tag. TV-Film. Drehbuch (nach seiner Erzählung "Salto Mortale"): Milo Dor, Regie: Thomas Engel. WDR, 1966.
  • Der Mann mit meinem Namen. Drehbuch: Milo Dor, Regie: Ceco Zamoroviç. ZDF, 1969.
  • Nichts als Erinnerung. TV-Film. [Mit Milan Dor]. Drehbuch (nach dem gleichnamigen Roman von Milo Dor): Milo Dor, Milan Dor, Regie: Michael Kehlmann. ORF, NDR, 1974.
  • Tote auf Urlaub. TV-Film. Drehbuch (nach seinem gleichnamigen Roman): Milo Dor, Regie: Walter Davy. ORF, NDR, 1980.
  • In Viscontis Land. Die südliche Lombardei. Drehbuch: Milo Dor, Regie: Milan Dor. ORF, 1985.
  • Der Schnee vom vergangenen Jahr. TV-Serie "Tatort". [Mit Milan Dor]. Drehbuch: Milo Dor, Milan Dor, Regie: Milan Dor. ORF, 1986.
  • Triest. Stadt zwischen drei Welten. Dokumentarfilm. [Mit Milan Dor]. Drehbuch: Milo Dor, Milan Dor, Regie: Milan Dor. ORF, BR, 1987.
  • Augustos Tod. TV-Film. [Mit Milan Dor]. Drehbuch (nach Georges Simenon): Milo Dor, Milan Dor, Regie: Milan Dor. ORF, SRG, BR, 1989.
  • Die Josefstadt, ein Dorf der Weltbürger. TV-Film. Drehbuch: Milo Dor, Regie: Milan Dor. ZDF, 1990.
  • Die Wojwodina. Das verlorene Paradies. TV-Film. Drehbuch, Regie: Milo Dor. ORF, 1992.


Übersetzungen:

Prosa:

  • Stephen Crane: Die Flagge des Mutes. Roman. Übers. a. d. Engl.: Milo Dor, E. Moltkau. Frankfurt/M., Wien: Forum, 1955.
  • Isaak E. Babel: Zwei Welten. Die Geschichten des Isaak Babel. Übers. a. d. Russ.: Milo Dor, Reinhard Federmann. München, Wien, Basel: Desch, 1960.
  • Miroslav KrleÏa: In Agonie. Ein Stück in zwei Akten. Übers. a. d. Kroat.: Milo Dor. Graz, Wien: Stiasny, 1964.
  • Vasko Popa: Wolfserde. Gedichte. Übers. a. d. Serb.: Milo Dor. München: Hanser, 1979.
  • Milovan Vitezoviç: Mensch ärgere Dich. Aphorismen von M. Vitezovic. Hrsg., Übers. a. d. Serb.: Milo Dor, Ill.: D. Petric. Wien, München, Zürich: Europaverlag, 1985.
  • Vidosav Stevanoviç: Johanna von der U-Bahn. Ein Monolog. Theaterstück. Übers. a. d. Serb.: Milo Dor. Berlin: Bernd Bauer, 1994.

Hörspiele:

  • Ivan Ivanac: Er und Sie. Übers. a. d. Kroat.: Milo Dor, Regie: Mathias Neumann. HR, 1961.
  • Tomislav Ketig: Kaiser Trajan mit den Eselsohren. Übers. a. d. Serb.: Milo Dor, Regie: Horst Loebe, Kurt Meyer. SDR, 1967.
  • Slobodan Sembera: Der Streik. Übers. a. d. Kroat.: Milo Dor. ORF Wien, 1972.
  • Luko Paljetak: Die letzte Blume des Sommers. Übers. a. d. Kroat.: Milo Dor, Regie: Robert Madeja. ORF, RIAS, 1993.


Leseprobe#

aus

Milo Dor - "Wien, Juli 1999"

Als ich dann an meinem Schreibtisch saß, kam ich mir vor wie ein Ungläubiger, der sich anschickt, ein Gebet zu verrichten. Ich saß da und kritzelte abstrakte Zeichnungen in mein Schulheft, anstatt zu schreiben, weil mir der Glaube abhanden gekommen war, mit meiner Schreiberei irgend etwas zu bewirken. Aber vielleicht täuschte ich mich. Es genügte vollkommen, daß irgendein junger Mensch, vielleicht meine Enkelin oder mein Enkel, eines Tages eines meiner Hefte in die Hand nimmt, meine Schrift zu enträtseln versucht und dabei nachzudenken beginnt. Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, werde ich alles auf dem Computer abschreiben und eine saubere Diskette hinterlassen. Heutzutage ersetzen Disketten die Flaschenpost. Ich dachte plötzlich an die in die weißen Wände der Gefängniszellen eingeritzten Botschaften, die nicht mehr als karge Mitteilungen waren, wie "Tod dem Faschismus - Freiheit dem Volk", "Hitlers Tage sind gezählt", oder, ein bißchen pathetisch, "Die Morgenröte der Freiheit naht". Und darunter stand, von einer anderen Hand geritzt, "Aber wir werden nicht dabei sein". Ein anderer wieder antwortete darauf: "Das macht nichts. Die Hauptsache ist, daß die faschistischen Mörder vernichtet werden." (S. 56f.)

(c) 1997, Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
LITERATURHAUS

Literatur#

  • Literatur: H. A. Niederle (Hg.), M. Dor. Beiträge und Materialien, 1988
  • D. Bugarič (Hg.), Roman über Milo Dor, 2003


Hörproben#


Hörprobe Österreichische Mediathek


Die erste Liebe.
aus: Meine Reisen nach Wien. Ausschnitt; Autorenlesung. Wien, 14.5.1974.

Vorlesen

Worte auf die graue Wand geschrieben.
Autorenlesung: Literatur aus dem Jahr Null. Wien, 9.4.1975.

Vorlesen

Quellen#


Redaktion: I. Schinnerl