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Jonke, Gert #

* 8. 2. 1946, Klagenfurt

† 4. 1. 2009, Wien


Lyriker, Dramatiker, Erzähler, Hörspielautor


Gert Friedrich Jonke wurde am 8. Februar 1946 in Klagenfurt, Kärnten geboren. Bereits während seiner Mittelschulzeit machte er eine Klavierausbildung am Landeskonservatorium Klagenfurt.


Ab 1966 studierte er Germanistik, Geschichte, Philosophie und Musikwissenschaft an der Universität Wien und besuchte die Akademie für Film und Fernsehen.


Er war 1970 Mitarbeiter in der Hörspielabteilung des Süddeutschen Rundfunks in Stuttgart und 1971 Gast des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin.
Es folgten längere Aufenthalte in London, Argentinien, Hamburg und Frankfurt.1992 wirkte er als Stadtschreiber in Graz.

Dann hatte er seinen Wohnsitz in Wien, wo er als freier Schriftsteller tätig war und auch eine Lehrtätigkeit an der "schule für dichtung - vienna poetry academy" ausübte.


Am 4. Jänner 2009 erlag der 62-Jährige einer schweren Krebserkrankung.



Jonke baute seine Texte nach formal-kompositorischen Prinzipien ("Geometrischer Heimatroman", 1969). Während er sich in der "Schule der Geläufigkeit" (1977) noch mit der Möglichkeit von Glück befasste, stellte das "Erwachen zum großen Schlafkrieg" (1982) eine Folge von absurden Geschichten des Scheiterns dar.
Gert Jonke, zu dessen Stilbesonderheiten - wie bei kaum einem zeitgenössischen Autor - die Musikalisierung der Sprache gehörte, unternahm in seinem Werk den Versuch, Klänge und Töne zum Sprechen zu bringen.


Seine "Chorphantasie" war ein Auftragswerk von Graz 2003 im Rahmen des Projektes "Sprachmusik".



--> Historische Bilder zu Gert Friedrich Jonke (IMAGNO)

Auszeichnungen, Preise (Auswahl)#

  • 1971 Förderungspreis des Landes Kärnten für Literatur
  • 1977 Ingeborg-Bachmann-Preis der Landeshauptstadt Klagenfurt
  • 1984 Manuskripte-Preis des Landes Steiermark
  • 1987 Würdigungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur
  • 1990-1993 Robert-Musil-Stipendium
  • 1993 Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur
  • 1993 Anton-Wildgans-Preis der österreichischen Industrie für Literatur
  • 1997 Erich Fried Preis
  • 1997 Franz Kafka-Literaturpreis der Stadt Klosterneuburg
  • 2002 Großer Österreichischer Staatspreis für Literatur
  • 2003 Nestroy Theaterpreis
  • 2005 Kleist-Preis
  • 2006 Arthur-Schnitzler-Preis
  • 2006 Nestroy Theaterpreis
  • 2008 Nestroy Theaterpreis

Werke (Auswahl)#

Bücher:
  • Geometrischer Heimatroman. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1969
  • Glashausbesichtigung. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1970
  • Schule der Geläufigkeit. Erzählung. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1977
  • Der Ferne Klang. Roman. Salzburg, Wien: Residenz, 1979
  • Erwachen zum großen Schlafkrieg. Erzählung. Salzburg, Wien: Residenz, 1982
  • Der Kopf des Georg Friedrich Händel. Salzburg, Wien: Residenz, 1988 (Liber : Libertas)
  • Stoffgewitter. Salzburg, Salzburg, Wien: Residenz, 1996
  • Es singen die Steine. Ein Stück Naturtheater. Salzburg, Wien: Residenz, 1998
  • Himmelstraße - Erdbrustplatz oder Das System von Wien. Salzburg, Wien: Residenz, 1999
  • Insektarium. Salzburg: Jung und Jung, 2001
  • Redner rund um die Uhr. Eine Sprechsonate. Salzburg: Jung und Jung, 2003
  • Chorphantasie. Konzert für Dirigent auf der Suche nach dem Orchester. Graz, Wien: Droschl, 2003.
  • Strandkonzert mit Brandung. Georg Friedrich Händel. Anton Webern. Lorenzo da Ponte. Salzburg: Jung und Jung, 2006

Stücke:

  • Die Hinterhältigkeit der Windmaschinen. Regie: Heinz Hartwig. Graz: Grazer Forum Stadtpark im Rahmen des Steirischen Herbstes, 1981
  • Sanftwut oder Der Ohrenmaschinist. Theatersonate. Regie: Ernst Friedrich Jünger. Graz: styriarte, Schauspielhaus Graz, 1990
  • Opus 111. Ein Klavierstück. Regie: Stephan Bruckmeier. Wien: Volkstheater, 1993
  • Gegenwart der Erinnerung. Ein Festspiel. Regie: Emmy Werner. Wien: Volkstheater, 1995
  • Es singen die Steine. Regie: Ernst Binder. Klagenfurt: Stadttheater, 1998
  • Insektarium. Regie: Michael Kreihsl. Wien: Volkstheater (Wiener Festwochen), 1999
  • Chorphantasie. Regie: Christiane Pohle. Graz: Schauspielhaus, 2003
  • Die versunkene Kathedrale. Regie: Christiane Pohle. Wien: Akademietheater, 2005

Libretto:

  • Volksoper. Musik: Dieter Kaufmann. Regie: Vintila Ivanceanu, Ausstattung: Burgis Paier. Wien: Theater an der Wien, 1984

Hörspiele:

  • Der Dorfplatz. SDR, 1969
  • Hörfunkenflug. WDR, 1979
  • Im Schatten der Wetterfahne. WDR, 1986
  • Opus 111. ORF, 1994

Filme:

  • Händels Auferstehung. TV-Film. Drehbuch (nach Motiven der Novelle "Georg Friedrich Händels Auferstehung" von Stefan Zweig): Gert Jonke, Klaus Lindemann. ORF, 1980
  • Geblendeter Augenblick - Anton Weberns Tod. Filmerzählung. ARD, 1986

Literatur#

  • U. Schönherr, Das unendliche Altern der Moderne, 1994
  • D. Bartens und P. Pechmann (Hg.), G. Jonke, 1996
  • K. Amann (Hg.), Die Aufhebung der Schwerkraft. Zu G. Jonkes Poesie, 1998


Leseprobe#

Gert Jonke - "Chorphantasie"


Dirigent, ans Publikum gewandt:
(...)
Kein Problem, daß das Orchester noch nicht da ist.
Sie sind ja da, obwohl von draußen eine Überschwemmung droht. So. Und jetzt alle gemeinsam einatmen - ja, ja, den Atem anhalten - und jetzt alle gleichzeitig ausatmen, gleichzeitig habe ich gesagt, nicht derart verstottert hintereinander. Ab jetzt wird gezählt. Mitgezählt. Einatmen und Ausatmen. Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei drei, vier. Und jetzt wieder ausatmen. Auf eins, Achtung jetzt, jawohl: drei, vier und noch immer atmen wir aus, bis wir alle ganz leer sind.
Jetzt sind wir ganz leer. So leer, daß Ihnen die Lungenflügel deutlich fühlbar durch die Brustkästen baumeln wie zwei Wischfetzen, die ein Stiegenhaus gewischt haben und jetzt in der Dunkelheit der Besenkammer davon träumen, Lungenflügel in Ihrem Brustkasten zu sein.
Und jetzt wieder einatmen, zugleich im Takt, im Schritt, Marsch: drei, vier, eins, zwei, drei, vier, eins, zwei. Jetzt wieder einatmen und die Luft kurz anhalten.
Und jetzt beginnen wir damit, auch die Augen atmen zu lassen: Augen atmen eher Licht als Luft, wie Sie ja wissen. Ihre Augen saugen also das Licht in sich hinein. Kopfeinwärts schauend Licht einsaugen und wieder ausstoßen - das Licht wieder ausatmen. Falls Ihnen das lieber ist, verflüssigen Sie meinetwegen das Licht, bevor es von Ihren Augen eingeatmet wird, und geben Sie es Ihren Augenäpfeln zu trinken, um den Durst Ihres Schauens zu stillen. Eins, zwei, drei, vier. Und jetzt werden Sie auch zusätzlich mit den Ohren atmen.
Natürlich werden Ihre Ohren keine Luft einatmen, sondern den Schall, das ist doch ganz klar. Und natürlich im Takt - zwei, drei, vier - atmen alle Ohren gleichzeitig, einhorchen und aushorchen, und alle Ohren beginnen Schall zu saugen, als würde man mit der Lunge Luft abpumpen, stattdessen Schall absaugen mit den Ohren. Alles Hörbare tief einhorchen und wieder aushorchen. Aus der Tiefe des Raumes mit den Ohren das Schweigen aus dem Konzertsaal pumpen, bis der Kopf ganz voll davon ist. Und kopfauswärts wieder hinauspumpen. Und genau im Takt, bitte! Genau herhorchen und herhören bitteschön! Daß alle hier anwesenden Ohren wirklich so horchen und nur das hören, was genau von meinem Taktstock dirigiert wird! Achtung, fertig, jetzt geht's gleich los: Allegro ma non troppo.
(...)
(S. 8f.)

© 2003, Droschl, Wien, Graz.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
LITERATURHAUS

Quellen#


Redaktion: I. Schinnerl