Kraft, Victor#
* 4. 7. 1880, Wien
† 3. 1. 1975, Wien
Philosoph
Generalstaatsbibliothekar, Universitätsprofessor
Victor Kraft wurde am 4. Juli 1880 als Sohn eines Lehrers in Wien geboren, wo er auch aufwuchs.
Nach der Matura 1899 begann er an der Universität Wien ein Studium der Geographie und Geschichte.
Zunächst strebte er eine Lehrerlaufbahn in diesen Fächern an, hörte aber auch zahlreiche weitere Vorlesungen aus anderen Gebieten (Geologie, Botanik, Kunstgeschichte und Volkswirtschaftslehre).
Die Philosophie - jenes Fachgebiet auf dem er später bekannt werden sollte – erlebte er durch die Philosophische Gesellschaft Wien und in privaten Diskussionszirkeln.
Krafts kritische Distanz zum damaligen Empiriokritizismus und Positivismus, wie er von Avenarius und Mach vertreten wurde, kam bereits in seiner Dissertation "Die Erkenntnis der Außenwelt", mit der er 1903 promovierte, zum Vorschein.
Anschließend studierte er ein Semester in Berlin und bereitete seine Habilitation vor. Allerdings musste er seine Arbeiten mehrfach wegen Krankheit unterbrechen, so dass er sich erst 1914 im Bereich Theoretische Philosophie bei Adolf Stöhr, Friedrich Jodl und Alois Höfler habilitierten konnte. Als Grundlage diente ihm sein Buch "Weltbegriff und Erkenntnisbegriff" aus dem Jahr 1912.
Zum Broterwerb begann er 1912 als Praktikant in der Wiener Universitätsbibliothek zu arbeiten, wo er 1925 zum Bibliotheksassistent befördert wurde. 1924 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt.
Mit der Berufung von Moritz Schlick 1922 begann in Wien sich der so genannte Wiener Kreis zu konstituieren. Kraft zählte zwar eigentlich von Beginn an zu den Mitgliedern des Wiener Kreises, wurde aber von dem politisch aktiven Otto Neurath nur zu den "dem Kreise nahestehender" Philosophen gerechnet.
Sein besonderes Interesse galt der erkenntnistheoretisch fundierten Ethik und Wertlehre, später wandte er sich Problemen der Methodologie der Geisteswissenschaften zu und veröffentlichte 1925 sein Werk "Die Grundformen der wissenschaftlichen Methoden".
Wegen der jüdischen Konfession seiner Gattin galt er gemäß den Nürnberger Rassegesetzen als "versippt"; 1938 wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen und er wurde zwangspensioniert.
Außer Victor Kraft, Moritz Schlick, der 1936 einem Attentat zum Opfer fiel, und dem Logiker Béla Juhos emigrierten sämtliche Angehörige des Wiener Kreises.
Nach dem Krieg und seiner Rehabilitierung konnte Victor Kraft 1945 in den Bibliotheksdienst zurückkehren und wurde 1947 zum Generalstaatsbibliothekar ernannt.
1947 wurde er auch wieder zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt, 1950 erhielt er endlich den Titel eines ordentlichen Professors und wurde Mitglied des Vorstandes des Philosophischen Instituts, wo er 1952 emeritierte.
Das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Österreich hatte nicht zur Renaissance des Logischen Empirismus geführt. Victor Kraft bemühte sich besonders um die Rückkehr Karl Poppers - doch Popper lehnte die ihm vermittelte Professur (ehemaliger Lehrstuhl Moritz Schlicks) ab und blieb in London.
Am 3. Jänner 1975 verstarb mit Victor Kraft der letzte Vertreter des "Wiener Kreises", der auch zeitlebens in Wien geblieben war - im Unterschied zu seinem prominenten Schüler Paul Feyerabend ist er heute auch großen Teilen der Fachöffentlichkeit bestenfalls dem Namen nach bekannt.
Werke (Auswahl)#
- Die Grundformen der wissenschaftlichen Methode, 1925
- Mathematik, Logik und Erfahrung, 1947
- Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre, 1937
- Einführung in die Philosophie, 1950
- Der Wiener Kreis, 1950
Literatur#
- F. Kainz, Victor Kraft, in: Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1975
- Jan Radler: Victor Krafts konstruktiver Empirismus. Eine historische und philosophische Untersuchung, 2006
Quellen#
- AEIOU
- Universität Innsbruck, Forschungsinstitut Brenner-Archiv
- I. Ackerl, F. Weissensteiner, Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik, 1992
- Hauke Hoth / Jan Radler Victor Kraft - ein Überblick
Redaktion: I. Schinnerl