Merkel, Inge #
* 1. 10. 1922, Wien
† 15. 1. 2006, San Miguel de Allende, Mexiko
Schriftstellerin
Inge Merkel wurde als Inge Klauner am 1. Oktober 1922 in Wien geboren und studierte an der Universität Wien Altphilologie, Germanistik und Geschichte. Sie legte die Lehramtsprüfung in Deutsch und Latein ab und promovierte 1944 mit einer Arbeit über "Die mimische Kunst bei E.T.A. Hoffmann".
Danach arbeitete sie einige Jahre als wissenschaftliche Assistentin im Institut für Altphilologie in Wien und trat 1974 den Schuldienst in einem Wiener Gymnasium an, wo sie bis 1984 als Lateinlehrerin beschäftigt war.
Obwohl sie sich schon lange dem Schreiben widmete, veröffentlichte sie erst im Alter von sechzig Jahren ihren ersten Roman "Das andere Gesicht" (1982), der im selben Jahr mit dem Literaturpreis des ZDF-Kulturmagazins "aspekte" für das beste deutschsprachige Debüt ausgezeichnet wurde.
Kennzeichnend für ihre Veröffentlichungen ist, neben der sprachlichen und formalen Kunstfertigkeit, die Beschäftigung mit der europäischen Geistesgeschichte. Ihre Bücher bestehen häufig aus verschiedenen Textsorten, mit Überblendungen von Epochen, Kulturen und Religionen.
Ab 2004 lebte sie bei ihrer Tochter in Mexiko, wo sie am 15. Jänner 2006 in San Miguel de Allende, Mexiko, verstarb.
Auszeichnungen, Preise (Auswahl)#
- 1982 Aspekte-Literaturpreis des ZDF für das beste deutschsprachige Debüt
- 1987 Anton Wildgans-Preis der österreichischen Industrie
- 1990 Otto Stoessl-Preis
- 1992 Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln
- 2002 Würdigungspreis der Republik Österreich für Literatur
- 2004 Ehrenmedaille in Gold der Stadt Wien
Werke (Auswahl)#
- Das andere Gesicht. Roman. Salzburg, Wien: Residenz, 1982
- Zypressen. Drei Erzählungen. Salzburg, Wien: Residenz, 1983
- Die letzte Posaune. Roman. Salzburg, Wien: Residenz, 1985
- Eine ganz gewöhnliche Ehe. Odysseus und Penelope. Roman. Salzburg, Wien: Residenz, 1987
- Das große Spektakel. Eine todernste Geschichte, von Windeiern aufgelockert. Salzburg, Wien: Residenz, 1990
- Aus den Geleisen. Roman. Salzburg, Wien: Residenz, 1994
- Sie kam zu König Salomo. Roman. Salzburg: Jung und Jung 2001
Leseprobe#
aus
Inge Merkel - "Sie kam zu König Salomo"
Er schob sich etwas näher an sie heran. Dabei gerieten sie mit den Handrücken aneinander, und nach einer Weile griff er nach ihrem Handgelenk. Durch das Nähertreten berührten sie sich nun auch leicht an den Schultern und Hüften. Salomo seufzte, dann drehte er den Kopf zur Seite, der Königin zu.
"Würden wir nicht bequemer liegen und es traulicher haben, wenn wir uns einander zuwandten?" .
Sie taten es und schwiegen wieder eine ganze Weile. Dann sagte sie: "Ich weiß, mein Salomo, worauf du hinauswillst, und ich gestehe es dir gleich, auch mich bewegt derselbe Wunsch, stark und dringend. Aber ich rate ab." .
"Ich weiß. Es ist unseres Alters wegen. Die Leute urteilen da ziemlich schroff. Aber eine glatte Haut und geschmeidige Glieder hab ich mehr als genug im Frauenhaus." "Es ist nicht nur, weil im Alter die Haut rauh wird und die Glieder nicht mehr schlank und beweglich sind. Ich meine es anders." .
"Und ich sage, ist es nicht das Schönste, was uns Gott gegeben hat in diesem dunklen Dasein?" .
"Ja, ja, du hast ja recht, doppelt und dreifach recht. Aber seit ich alt bin, setzt mir der Vorgang selbst zu, verstehst du? Die besondere Eigenart dieses Vorgangs, die man in der Kopflastigkeit der Jugend, im Rausch des Geschehens übersieht, weil man von diesem Geschehen so überwältigt ist, daß einem die klaren Sinne schwinden und man glückseligerweise gar nichts mehr wahrnimmt. Ist es doch sogar die Voraussetzung für einen befriedigenden Ablauf dieses Vorgangs, daß die Schärfe der Wahrnehmung verschwimmt. Schon ein verständiger Blick oder Gedanke stört die schwunghafte Erhöhung, unterbricht sie rüde, sodaß man sich ernüchtert zur Seite rollt. Wir sind zu alt dafür, Salomo. Ich liebe dich tief und schwer, aber wir sind zu alt für das schöne Spiel, das der Jugend vorbehalten ist. Nicht wegen der Sittsamkeit, sondern wegen des Geschmacks."
© 2001, Jung und Jung, Salzburg.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
LITERATURHAUS
Quellen#
Redaktion: I. Schinnerl