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Thirring, Hans#

* 23. 3. 1888, Wien

† 22. 3. 1976, Wien


Physiker

Hans Thirring
Hans Thirring. Foto, um 1925.
© Bildarchiv der ÖNB, Wien, für AEIOU
Er wurde am 23. März 1888 in Wien geboren, wo er das Sophiengymnasium absolvierte und 1907 die Reifeprüfung ablegte, um anschließend Physik an der Universität Wien zu studieren.

Fritz Hasenöhrl und dessen Vorlesungen faszinierten den jungen Studenten so sehr, dass er die theoretische Physik in den Mittelpunkt seiner Studien stellte, was ihn allerdings nicht daran hinderte, 1910 "nebenbei" die Turnlehramtsprüfung abzulegen.

Hasenöhrl war auf Hans Thirring aufmerksam geworden und bestellte ihn noch vor Erlangen des Doktorats zum Assistenten am Institut für Theoretische Physik. Mit einer Arbeit "über einige thermodynamische Beziehungen in der Umgebung des kritischen und des Tripelpunktes" promovierte Thirring 1911, ein Jahr später legte er die Lehramtsprüfung in Mathematik und Physik ab. 1915 habilitierte er sich auf Grund theoretischer Untersuchungen über die spezifische Wärme von Kristallen, zu denen ihn sein Studienfreund Erwin Schrödinger bewogen hatte. Nachdem Hasenöhrl am 7. Oktober 1915 gefallen war, übernahm Thirring als sein ehemaliger Assistent in den folgenden beiden Semestern des Studienjahres die Vorlesung über Mechanik.

1918 wurde er mit zwei Artikeln zu einem der bekanntesten Verfechter der noch heftig umstrittenen Relativitätstheorie und erhielt in der Folge einen Lehrauftrag für eine fünfstündige Vorlesung über Physik an der Technischen Hochschule, ehe er 1921 zum außerordentlichen Professor der Universität Wien und zum Vorstand des Instituts für Theoretische Physik ernannt wurde. 1927 erlangte er schließlich den Status eines ordentlichen Professors. 1938 wurde Thirring nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in den Ruhestand versetzt und trat als wissenschaftlicher Berater in die Firma Elin ein. Außerdem befasste er sich verstärkt mit dem Thema Pazifismus. Im Herbst 1945 nahm Thirring als Gastprofessor an der Universität Innsbruck seine akademische Lehrtätigkeit mit Vorlesungen über das Thema „Der Weltfriede als psychologisches Problem" wieder auf und wurde im Studienjahr 1946/47 Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Wien.

1946 erfolgte auch seine Ernennung zum korrespondierenden Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Hans Thirring, der sich zeitlebens der Pugwash-Bewegung verbunden fühlte und die dritte Pugwash-Konferenz in Wien und Kitzbühel organisierte, wurde 1957 als Abgeordneter der SPÖ (ohne Parteimitgliedschaft) in den Bundesrat entsandt, wo er sich als einer der wichtigsten Vertreter der Friedensbewegung präsentierte.

Er starb am 22. März 1976, einen Tag vor seinem 88. Geburtstag, in Wien.


--> Historische Bilder zu Hans Thirring (IMAGNO)


Text aus "Materialien zur Entwicklung der Physik und ihrer 'Randfächer' Astronomie und Meteorologie an den österreichischen Universitäten 1752-1938" von Prof. Dr. Walter Höflechner#

Thirring wurde am 23. März 1888 in Wien geboren, absolvierte das Sophiengymnasium in Wien, wo er 1907 maturierte und sofort das Studium der Mathematik, Physik und Leibesübungen an der Universität Wien aufnahm, wo er vor allem Schüler Hasenöhrls wurde, 1910 die Turnlehramtsprüfung und 1912 die Lehramtsprüfung aus den beiden anderen Fächern absolvierte und am 2. Juni 1911 zum Doktor der Philosophie promoviert wurde.

Bereits im Oktober 1910 erhielt er eine Assistentenstelle am Institut für Theoretische Physik, also bei Hasenöhrl, die er bis März 1921 behielt. 1915 habilitierte sich Thirring mit seinen „Studien über die Theorie der spezifischen Wärme der Kristalle“ für das Gesamtgebiet der Physik. Bald darauf meldete sich Thirring freiwillig zum technischen Militärkomitee zur besonderen Verwendung in der Entwicklung lichtelektrischer kriegstechnischer Geräte, nachdem er sich bereits im Herbst 1914 mit lichtempfindlichen Selenzellen zu beschäftigen begonnen hatte.

Nach dem Tode Hasenöhrls übernahm Thirring – es war dies eine der Bedingungen Jägers für die Übernahme der Lehrkanzel nach Hasenöhrl – die theoretischen Vorlesungen mit „modernener“ Thematik. Mit Juni 1920 wurde ihm der Titel eines Extraordinarius verliehen; von 1919 an versah er auch einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule in Wien und von Mitte 1920 an einen Lehrauftrag für Mechanik an der Universität Wien.

Im April 1921 wurde Thirring in der Nachfolge Jägers – dieser hatte 1920 kurz zuvor die Exner-Nachfolge übernommen – zum Außerordentlichen Professor der Theoretischen Physik und zum Vorstand des Instituts für Theoretische Physik an der Universität Wien ernannt; zum Extraordinarius deshalb, weil die Ordinariatsbezüge dieser „Lehrkanzel bis auf weiteres für dem nach den Antrag des Professorenkollegiums ad personam ernannten Ordinarius der Physik, Dr. Ehrenhaft, in Anspruch genommen“ wurden, sodass Thirring nur die „nach Ehrenhaft verfügbar gewordenen ad personam Extraordinariatsbezüge“ erhalten konnte.

1922 lehnte Thirring einen Ruf nach Münster ab. 1927 erfolgte Thirrings Ernennung zum Ordinarius. Nachdem sich Thirring bereits im Ersten Weltkrieg zu einem Gegner des Militarismus entwickelt hatte, begann er sich mit dem Zunehmen der internationalen Spannungen in den 1930er Jahren intensiver mit dem Problem der Friedenserziehung zu beschäftigen und sich in der internationalen Friedensbewegung zu engagieren, was 1938 wegen „Gefährdung des Wehrwillens der deutschen Jugend“ und auch wegen persönlichen Verkehrs mit Einstein und Freud zu seiner Entlassung führte.

Thirring wurde im April 1938 beurlaubt, übergab Tage danach sein Institut und wurde auf eigenen Antrag im November 1938 in den Ruhestand versetzt. In der Folge arbeitete er als wissenschaftlicher Berater der Elin AG in Wien, von 1942 bis 1945 bei Siemens & Halske in Wien; dank des Entgegenkommens seines Kollegen, Prof. Ludwig Flamm behielt er jedoch die gesamte NS-Zeit hindurch ein Zimmer am Institut und konnte unbehindert und frei arbeiten.

1945 kehrte er auf seine Lehrkanzel zurück, die er bis 1958 versah, und übernahm auch wieder die Leitung des Instituts für Theoretische Physik. In dieser Funktion und auch mit Hilfe seines immer stärker werdenden politischen Engagements wurde Thirring zu einer der wichtigen Persönlichkeiten im Wiederaufbau der Physik in Österreich nach 1945; noch im Juni 1945 hat er in einem Memorandum seine richtungsweisenden Vorstellungen über die Neuordnung der Physik an der Universität Wien vorgelegt.

Thirring wandte sich von den traditionellen organisatorischen Usancen ab und suchte – z.T. nach US-amerikanischen Vorbildern – neue Wege. Als er sich der Altersgrenze näherte, verzichtete er auf das damals allgemein übliche Ehrenjahr und regte 1957 den Dekan an, an die zwölf bedeutendsten Theoretiker des deutschen Sprachraumes – unter ihnen vier Nobelpreisträger – eine Umfrage nach dem bestqualifizierten jüngeren österreichischen Physiker als Nachfolger zu richten. (Elf von ihnen sprachen sich für Thirrings Sohn Walter (geb. 1927) aus.) 1946/47 war Thirring Dekan der Philosophischen Fakultät.

Von 1957 bis 1963 war Thirring auch SPÖ-Abgeordneter im Bundesrat. Weiters war er in der Friedensbewegung aktiv und formulierte die Idee einer einseitigen Abrüstung Österreichs ("Thirring-Plan"); sein Konzept für ein neutrales Österreich beinhaltete eine komplette Abrüstung und die Auflösung des Bundesheeres, die Grenzen sollten von UNO-Soldaten bewacht werden. Wegen seines Friedenengagements wurde Thirring zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. 1957 war er Mitbegründer der ersten Pugwash-Friedenskonferenz, auf der Themen wie die Verantwortlichkeit von Wissenschaftern und die Gefahr der nuklearen Aufrüstung diskutiert wurden.

Thirring hat während seiner wissenschaftlichen Karriere mit zahlreichen herausragenden Kollegen zusammengearbeitet, u.a. mit Josef Lense, Otto Paul Fuchs, Otto Halpern, Otto Lange, Georg Stetter und Paul Urban.

Außerdem war er ein in zahlreichen Vereinen engagierter Mann – Mitglied des deutsch-österreichischen Alpenvereins, der Sängerschaft Ghibellineo, der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, der Chemisch-Physikalischen Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für technische Physik, der Paneuropa-Union, des Verbandes deutscher Hochschullehrer, des deutschen Schivereins, der Biophysikalischen Gesellschaft für Kurzwellenforschung, des Elektrotechnischen Vereins, der American Physical Society und, seit Ende 1934, der Vaterländischen Front.


Der biografische Text beruht großteils auf dem 1992 - 2002 erstellten, nicht publizierten "Materialien zur Entwicklung der Physik und ihrer 'Randfächer' Astronomie und Meteorologie an den österreichischen Universitäten 1752-1938" von Prof. Dr. Walter Höflechner, das vom Autor dankenswerterweise zur weiteren Auswertung im Internet verfügbar gemacht wurde.


Wissenschaftliche Leistungen:

Hans Thirring
Hans Thirring mit dem von ihm entwickelten Tonfilmaufnahme- und Wiedergabegerät. Foto von 1928.
© Bildarchiv der Universität Wien

Thirring befasste sich in seinen Anfängen eingehend mit dem damals außerordentlich wichtigen Problem der spezifischen Wärme, mit dem er sich in Hinblick auf die Struktur der Festkörper beschäftigte – ein damals neues Arbeitsgebiet. Unter dem Einfluss der Relativitätstheorie, mit der sich Thirring sehr früh in eigenständiger Weise befasste, berechnete Thirring in Anwendung des Mach’schen Prinzips gemeinsam mit dem Wiener Mathematiker Josef Lense die Gravitationsfelder rotierender Körper, insbesondere die Auswirkung der Rotation der Sonne auf die Planetenbahnen. („Über die Wirkung rotierender ferner Massen in der Einsteinschen Relativitätstheorie“)

Thirring hat sich aber auch unter anderen Aspekten mit der Relativitätstheorie auseinandergesetzt: 1921, etwa zeitgleich mit einem Wissenschaftler namens Einstein, stellte er sich die Frage, welch ungeheure Verheerungen es in einer Stadt auslösen müsste, wenn auch nur die in einem einzigen Ziegel schlummernde Energie frei würde; ähnliche Inhalte hat Thirring in seiner 1946 veröffentlichten „Geschichte der Atombombe“ der Öffentlichkeit bekannt gemacht. In dieser Publikation wies Thirring auch darauf hin, dass es im Fall der Wasserstoffbombe keine obere Grenze der Sprengkraft geben würde.

Während des Ersten Weltkrieges befasste sich Thirring mit praktischen Fragen, vor allem elektrooptischer Natur, die ihn auch später beschäftigten. So konstruierte er 1927/28 ein Tonfilmaufnahme- und Wiedergabegerät, das mit Hilfe von Selenzellen – den „Thirringschen Selenzellen“ – funktionierte; damit wurden bis 1938 die österreichische Wochenschau und auch kleinere Filme produziert. Überhaupt ist Thirring in seinen frühen Jahren als Erfinder bzw. Konstrukteur hervorgetreten; er hielt zwei österreichische und je ein deutsches, spanisches, französisches und italienisches Patent. 1937 veranstaltete er in Wien den „1. Internationalen Kongress für Kurzwellenforschung“. – Als leidenschaftlicher Skifahrer entwickelte er in seiner Freizeit den damals berühmten „Thirring-Mantel“, eine Art Segel zwischen Armen und Beinen, das beim Skifahren eine Art Schwebegefühl auslösen konnte. 1939 verfasste Thirring dazu das Buch „Der Schwebelauf“.

Mit dem Antritt seiner Professur 1921 wandte sich Thirring der Propagierung der Relativitätstheorie wie der Quantentheorie in Form eher populärer Schriften zu (s.u.). Er selbst hat als seine wichtigste Leistung sein in den Jahren 1938-1945 geschriebenes und herausgegebenes Buch „Homo sapiens. Psychologie der menschlichen Beziehungen“ (1947; 1953 als Kurzfassung unter dem Titel „Die Kunst des menschlichen Zusammenlebens“ in der Schriftenreihe der österreichischen UNESCO-Kommission erschienen) bezeichnet, in dem er die gängigen Verhaltensfehler im Privatleben wie in der Politik und Möglichkeiten ihrer Vermeidung bzw. Korrektur beschreibt.


Schriften (Auswahl):

  • (mit Josef Lense) Über den Einfluss der Eigenrotation der Zentralkörper auf die Bewegung der Planeten und Monde nach der Einsteinschen Gravitationstheorie, in: Physikalische Zeitschrift, Bd.19 , 1918, S. 156-163
  • Die Idee der Relativitätstheorie (1921), 3., verb. u. erg. Aufl. Wien: Springer (1948); Übersetzungen u.a. ins Englische, Französische, Japanische und Schwedische
  • (mit Otto Halpern) Grundgedanken der neueren Quantentheorie, Teil 1 u. 2, Springer 1928/29
  • Alte Probleme – neue Lösungen in den exakten Wissenschaften (1934)
  • Geschichte der Atombombe. Mit einer elementaren Einführung in die Atomphysik (1946)
  • Der Weltfriede als psychologisches Problem (1946)
  • Atomkrieg und Weltpolitik (1948)
  • Homo Sapiens. Psychologie der menschlichen Beziehungen. 2 Bde. (1950)
  • Wissenschaftliches Denken im Alltag und in der Weltpolitik (1951)
  • Power Production. The Practical Application of World Energy (1956)
  • Der Weg der theoretischen Physik von Newton bis Schrödinger. Wien, Springer (1962)
  • Kernenergie gestern, heute und morgen (1963, mit H. Grümm)

Literatur#

  • Gabriele Kerber; Ulrike Smola; Brigitte Zimmel (Hrsg.), Hans Thirring – ein Homo sapiens: Zitate, Bilder und Dokumente anlässlich der 101. Wiederkehr seines Geburtstages. Wien: Fassbaender 1989 (Ausstellungskatalog)
  • Zimmel, Brigitte u. Gabriele Kerber (Hrsg.), Hans Thirring: ein Leben für Physik und Frieden. Wien: Böhlau, 1992

Quellen#


Redaktion: J. Sallachner, I. Schinnerl