Richtlinien für Blindenführhunde#
R I C H T L I N I E N für die Beurteilung von Blindenführhunden gemäß § 39a Abs. 4 des Bundesbehindertengesetzes (BBG)
1. Allgemeines: Ein Blindenführhund ist ein Hund, der sich bei Nachweis der erforderlichen Gesundheit und seiner wesensmäßigen Eignung sowie nach Absolvierung einer speziellen Ausbildung - vor allem im Hinblick auf Gehorsam und Führfähigkeit - besonders zur Unterstützung eines blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen eignet. Der Blindenführhund soll den behinderten Menschen im Bereich der Mobilität weitgehend unterstützen, die Wahrnehmungsprobleme blinder oder hochgradig sehbehinderter Menschen ausgleichen und ihnen eine weitgehend gefahrlose Bewegung sowohl in vertrauter als auch in fremder Umgebung ermöglichen. Bei der Beurteilung ist vor allem auf Gehorsam, Verhalten und Führfähigkeit des Hundes sowie auf das funktionierende Zusammenspiel des blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen mit dem Hund Bedacht zu nehmen.
2. Voraussetzungen für die Bezeichnung „Blindenführhund“: Für die Bezeichnung als „Blindenführhund“ sind Unterlagen erforderlich , die die gesundheitliche und wesensmäßige Eignung des Hundes bestätigen (2.1.). Nachweis der absolvierten Ausbildung durch eine Führhundeschule oder eine andere Einrichtung, die sich mit der Aufzucht und Ausbildung von Blindenführhunden befasst (2.2.). Eine positiv abgelegte Qualitätsbeurteilung (2.3.). Eine positive Beurteilung durch die beiden Sachverständigen, die bestätigt, dass der Hund auf Grund der vorgenommenen Begutachtung geeignet ist, selbstständig und auf Hörzeichen oder auf eine andere Art der Übermittlung von Kommandos ohne Gefährdung für das Gespann oder Dritte an jedem Ort und in jeder Situation sicher zu führen und dem blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen in den verschiedenen Situationen des täglichen Lebens behilflich sein zu können (2.4.).
2.1. Notwendige Unterlagen: Alle in Österreich ausgelieferten Blindenführhunde müssen einer zweimaligen tierärztlichen Untersuchung unterzogen werden. Hiezu bedarf es spezifischer Kenntnisse und Erfahrungen, die durch den Besuch von einschlägigen Fortbildungsveranstaltungen nachgewiesen werden können.
Für die Untersuchungen sind die jeweiligen Untersuchungsblätter heranzuziehen (siehe Beilage). Diese müssen vierfach ausgefertigt werden, je ein Exemplar verbleibt beim Blindenführhundehalter, bei der Blindenführhundeschule, beim Tierarzt sowie beim Bundessozialamt.
Die Hunde müssen zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung das 12. Lebensmonat vollendet haben, die zweite Untersuchung soll 1 Monat vor der Qualitätsbeurteilung stattfinden. Die veterinärmedizinischen Untersuchungen sind von Tierärzten unterschiedlicher Tierarztpraxen durchzuführen. Die Zweituntersuchung hat ein Tierarzt vorzunehmen, der in keinem Dauervertragsverhältnis zu der Ausbildungsstätte steht, deren Hund zu untersuchen ist.
Welche klinischen, orthopädischen, neurologischen Untersuchungen, Tests etc. im Einzelnen vorzunehmen und welche Spezialuntersuchungen von besonders geeigneten Tierärzten durchzuführen sind, ist in den Untersuchungsblättern geregelt.
Die Untersuchungsblätter stellen einen Teil der Richtlinien dar.
Falls vorhanden, ist dem Befund ein Abstammungsnachweis des Tieres beizulegen.
2.2. Nachweis der absolvierten Ausbildung durch die Führhundeschule: Der Hund hat vor der Begutachtung durch das Sachverständigengremium eine Ausbildung zum Blindenführhund zu absolvieren. Über Art und Dauer ist dem Bundessozialamt eine Bestätigung der Ausbildungseinrichtung vorzulegen. Diese Bestätigung hat den Namen des Ausbildners des Hundes zu enthalten.
2.3. Nachweis einer positiv abgelegten Qualitätsbeurteilung: Die Qualitätsbeurteilung erfolgt durch einen Kynologen und einen blinden oder hochgradig sehbehinderten Tester. Ein Mobilitätstrainer unterstützt die Sachverständigen. Es hat der blinde oder hochgradig sehbehinderte Tester, dem der Hund fremd sein muss, unter Sichtentzug und unter der Aufsicht und den Anweisungen des Kynologen bzw. des Mobilitätstrainers mit dem Hund zu gehen. Für den Fall, dass der blinde Tester nicht unter der Anweisungen des Kynologen mit dem Hund zu gehen vermag, kann die Leistungsfähigkeit des Hundes von Seiten des Kynologen auch dadurch beurteilt werden, dass der Mobilitätstrainer unter Sichtentzug mit dem Hund geht. Jeder der beiden Sachverständigen (Kynologe, blinder Tester) hat das Wesen des Hundes jedenfalls selbständig und eigenverantwortlich zu beurteilen.
Die Qualitätsbeurteilung besagt, dass der Hund seinem Wesen und seiner Ausbildung nach grundsätzlich für eine Zusammenschulung geeignet ist. Sie drückt die Wahrscheinlichkeit für einen positiven Erfolg der Teambeurteilung aus, soferne der Hund bis dahin keine Leistungseinbußen erfährt und die Zusammenschulung mit dem konkreten Hundeführer ordnungsgemäß erfolgt. Die Punkte 3.1. bis 3.3. und 3.6. sind sinngemäß anzuwenden.
2.4. Teambeurteilung durch die beiden Sachverständigen: Die Beurteilung des Hundes, ob dieser die Voraussetzungen für die Bezeichnung als „Blindenführhund“ erfüllt, wird durch ein Gremium von Sachverständigen in Form eines gemeinsamen Gutachtens vorgenommen. Die angeführten, beizubringenden Nachweise (Punkte 2.1 bis 2.3) sind dem Bundessozialamt vorzulegen, welches die Sachverständigen auswählt und ihnen die Unterlagen zur Verfügung stellt.
Dem Sachverständigengremium gehören jedenfalls an: ein Experte auf dem Gebiet der Kynologie, der seine Kenntnisse auf Grund mehrjähriger beruflicher Tätigkeit erworben hat sowie ein blinder oder hochgradig sehbehinderter Sachverständiger, der über ein umfangreiches Fachwissen und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet des Führhundewesens verfügt. Der blinde oder hochgradig sehbehinderte Tester kann sich zu seiner Sicherheit einer Begleitperson bedienen.
Der blinde oder hochgradig sehbehinderte Mensch, für den der Hund gedacht ist, kann sich von einem Mobilitätstrainer bzw. einer Person seines Vertrauens, die nicht mit dem Hund vertraut sein darf, begleiten lassen. Ebenso kann ein Kostenträger einen Vertreter entsenden.
Erforderlichenfalls können durch das Bundessozialamt weitere Experten, deren Fachwissen bei der Beurteilung von Relevanz sein kann, beigezogen werden.
Bei der Besetzung des SV Gremiums und der Durchführung der Begutachtung ist vom Bundessozialamt sicherzustellen, dass weder die beteiligte Ausbildungsstätte noch sonstige juristische oder natürliche Personen auf das Ergebnis Einfluss nehmen können. Insbesondere dürfen Personen, die in die Ausbildung und laufende Betreuung des Hundes involviert sind, nicht an der Beurteilung desselben Tieres teilnehmen.
3. Beurteilungskriterien: Für die Beurteilung steht grundsätzlich ein zeitlicher Rahmen von ca. 90 Minuten zur Verfügung, wobei bei der Teambeuteilung insbesondere auf den gesundheitlichen Zustand des zukünftigen Hundehalters abzustellen ist.
Die Sachverständigen haben bei der Beurteilung des Hundes vor allem auf folgende Punkte Bedacht zu nehmen:
3.1. Verhalten. Dabei sind insbesondere zu beurteilen:
Sozialverhalten (Meutetrieb, Spieltrieb) Unterordnungsbereitschaft Jagdtrieb Aggressionsverhalten Selbstsicherheit, Unbefangenheit Konzentrationsfähigkeit Geräuschempfindlichkeit Ablenkbarkeit
3.2. Führfähigkeit. Dabei sind insbesondere zu beurteilen:
Befolgung von Hörzeichen (z.B. Angehen, Gehen, Weitergehen, Anhalten, Einbiegen, Umkehren, Ein- und Aussteigen aus Verkehrsmitteln) Suchen auf Hörzeichen (z.B. Wege, Zebrastreifen, Türen, Lifte, Sitzgelegenheiten, Ausgänge, Treppen, Randsteine) Umgehen und Anzeigen von Hindernissen (z.B. Höhenhindernisse, Engstellen, Seitenhindernisse, Bodenhindernisse, Vertiefungen, Rolltreppen, Personen) bzw. Verweigern des Weitergehens bei Gefahr Einhalten der Richtung (z.B. auf Gängen, Gehsteigen, Bahnsteigen, Plätzen, Straßenüberquerungen)
3.3. Gehorsam. Dabei sind insbesondere zu beurteilen:
Leinenführigkeit mit Wendungen, Absetzen, Abliegen vor allem in einem Raum ohne Sichtkontakt des Hundes zum Hundehalter oder einer ihm vertrauten Person. Abrufen.
Allfällige darüber hinausgehende Fähigkeiten des Hundes (z.B. Freifolge, Bringen oder Verweisen) sind in der Gesamtbeurteilung des Hundes zu berücksichtigen.
3.4. Zusammenspiel Hund - Halter: Von entscheidender Bedeutung ist, dass der Blindenführhund mit seinem Halter harmoniert und dieser bereit und in der Lage ist, den Hund als zuverlässigen Partner zu akzeptieren. Darüber hinaus muss der zukünftige Führhundhalter zum Umgang mit Hunden geeignet und auch bereit sein, die ihm übertragene Verantwortung für den Hund wahrzunehmen.
3.5. Ort der Begutachtung: Um den Sachverständigen eine Beurteilung des Tieres zu ermöglichen, hat der blinde oder hochgradig sehbehinderte Mensch dieses den Sachverständigen zum vereinbarten Zeitpunkt an einem geeigneten, öffentlich zugänglichen Ort vorzuführen.
Der Termin für diese Vorführung ist dem blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen sowie der Ausbildungsstätte rechtzeitig, mindestens aber 4 Wochen vorher, unter Anschluss der vom Sachverständigengremium herangezogenen schriftlichen Beurteilungskriterien bekannt zu geben. Terminverschiebungen können im Einvernehmen mit dem Hundehalter vereinbart werden. Im Zuge der Vorführung sind die Fähigkeiten des Hundes insbesondere an folgenden Orten zu demonstrieren:
Öffentliche Verkehrsmittel, öffentliche Gebäude, Führen auf Straßen, Lifte, Rolltreppen, Gastronomiebetriebe, Geschäfte. , Die Auswahl des Ortes erfolgt vom Bundessozialamt im Einvernehmen mit dem Kynologen, die Auswahl der Wegstrecke liegt im Ermessen des Kynologen.
3.6. Gesamtbeurteilung: Die Sachverständigen haben über die Ergebnisse der Begutachtung des Hundes ein gemeinsames, schriftliches Gutachten zu verfassen. Dem blinden oder hochgradig sehbehinderten Sachverständigen obliegt insbesondere die Beurteilung folgender Punkte:
Ob der Hund den für eine brauchbare Führleistung erforderlichen Zug im Führgeschirr hat, ob der Hund entspannt, aber konzentriert führt, wie der Hund mit einer für ihn völlig neuen Situation fertig wird, ob der Hund beim blinden oder hochgradig sehbehinderten Sachverständigen die selben Stärken oder Schwächen zeigt, wie sie durch den anderen Sachverständigen beim zu beurteilenden Gespann beobachtet werden.
Der Hund muss von jedem Sachverständigen positiv beurteilt werden.
Ergeben sich bei der Begutachtung des Hundes Umstände, die - unabhängig von den angeführten Beurteilungskriterien - Zweifel an der Eignung des Tieres als Blindenführhund aufkommen lassen, haben die Sachverständigen die Gründe dafür darzulegen. Wurde der Blindenführhund negativ beurteilt, ist im Gutachten anzuführen, ob eine Nachschulung des Hundes, des Hundehalters oder des gesamten Gespannes zielführend erscheint bzw. welche sonstigen erfolgversprechenden Maßnahmen angeraten werden.
Das Bundessozialamt hat in beiden Fällen das gemeinsame Gutachten der Sachverständigen dem Führhundhalter und der Ausbildungsstätte zu übermitteln und ihnen Gelegenheit zu geben, dazu innerhalb von 4 Wochen Stellung zu nehmen.
Nach erfolgter Nachschulung sind max. 2 neuerliche Begutachtungen möglich.
4. Verfahren 4.1. Ablauf und Koordination: Der gesamte organisatorische Ablauf hinsichtlich der Beurteilung des Blindenführhundes obliegt dem Bundessozialamt, das sich dabei der Unterstützung der am besten geeigneten Interessenvertretung blinder Menschen bedienen kann.
Das Bundessozialamt hat Blindenführhundehalter darauf hinzuweisen, dass die Vertretungen blinder Menschen bei auftretenden Problemen und Fragen mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrungen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang sind auch die jährlich stattfindenden Seminarzusammenkünfte von Bedeutung.
Den Hundeschulen ist ehestmöglich, längstens aber binnen 6 Wochen, ein Termin zur Verfügung zu stellen.
Seitens des BMSG werden den Beteiligten (Interessensvertretungen, Hundeschulen, Sachverständige) auf Wunsch alljährlich die Zahl der im Vorjahr beurteilten Hunde – aufgeteilt auf die Bundesländer - zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus führt der ÖBSV auf freiwilliger Basis eine Evaluierung über Blindenführhunde.
4.2. Abklärung der Mobiliät/Orientierungsfähigkeit des Blinden Beim ersten Blindenführhund ist die Orientierungsfähigkeit und die Mobilität des blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen durch einen Mobilitätstrainer mit speziellen Fachkenntnissen über Blindenführhunde vorweg abzuklären, soferne eine solche Abklärung nicht schon aus anderen Gründen vorliegt. Über die erfolgte Abklärung, die im Beisein einer Vertrauensperson des blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen vorgenommen werden kann, hat der Mobilitätstrainer einen Nachweis auszustellen.
4.3. Übergangsbestimmung: Das Bundessozialamt hat dafür Sorge zu tragen, dass Hunde, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinien bereits in Ausbildung befinden, vor der Teambeurteilung einer veterinärmedizinischen Untersuchung unter sinngemäßer Zugrundelegung des beigelegten Untersuchungsblattes unterzogen werden.
5. Inkrafttreten Diese Richtlinien treten mit 1. Juli 2004 in Kraft. Quelle : Waltraud Palank-Ennsmann, Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Abteilung IV/7 Tel. +43 1 711 00 6538 Fax +43 1 711 00 16332 E-Mail: waltraud.palank-ennsmann@bmask.gv.at