Raphaela EDELBAUER: DAVE#
Raphaela EDELBAUER: DAVE, Klett Cotta, 2021 / Rezension von Guenther Johann
EDELBAUER, Raphaela: „DAVE“, Stuttgart 2021
Frau Edelbauer ist eine neue Generation der Schriftstellerzunft. Schon der letzte Roman war anders als alles bisher oder derzeit Geschriebene. Viel Fantasie. Wunderschöne Formulierungen. Bringt so eine junge Dichterin ein gutes Buch heraus zweifeln die Experten oft, ob ein Folgeroman auf diesem Niveau gelingen kann. Mit DAVE hat Edelbauer noch eine Steigerung geliefert. Ja, sie hat ihre Fantasie und ihre Formulierkunst noch weiter gesteigert. Ich habe das Buch andächtig gelesen. Nicht schnell und zwischendurch. Wenn ich nur ein kleines Zeitfenster zum Lesen hatte, ließ ich das Buch liegen. Ich versuchte es ausgeglichen und entspannt zu lesen, ja zu genießen.
DAVE ist ein Roman mit einer neuen Dimension. Er ist mit naturwissenschaftlichem Wissen gespickt. Hier hätte ich eine Anregung für den Verlag: Nicht Jeder hat so viel Naturwissenschaftswissen abrufbar. Ein Anhang mit Erklärungen würde einen Beitrag zum besseren Verstehen bieten. Wobei man aber nicht alles verstehen muss. Man kann sich einfach durch die Geschehnisse treiben lassen.
Die Hauptakteure des Romans sind ein Mann namens Syz und ein Computer namens DAVE. Der Planet Erde ist unbewohnbar geworden. In einem riesigen Gebäude haben sich elitäre Menschen – wie in eine Arche Noah – zurückgezogen. Sie entwickeln hier einen Supercomputer, eben DAVE. Tausende Menschen programmieren an ihm. Es soll die erste Künstliche Intelligenz werden, die mit einem eigenen Bewusstsein ausgestattet werden soll. Daneben will man auch die umgebende und zerstörte Welt wieder bewohnbar machen. „Unendliche Intelligenz und die Kapazität“ (Seite 15) soll alle Probleme lösen und so eine friedliche Welt erzeugen. Dieser Computer soll Gott ähnlich werden. „Wir haben vergessen, dass wir aus dem einen großen Bewusstsein kommen, können uns nicht an unsere göttliche Natur erinnern. In Jesus wurde Gott Mensch, in DAVE wird der Mensch wieder allmächtig, und zwar durch unendlich gesteigerte Denkleistung …“ (Seite 44)
Edelbauer lässt einem der Proponenten des Romans auch sagen, dass wir Menschen kein Schöpfungsakt eines Gottes sind. „Wenn Gott uns zusammengesetzt hätte, Stück für Stück inklusive jenes unverbrüchlichen Kerns, in dem das Selbstbewusstsein schon angelegt ist und er uns jede unserer Geistesfunktionen planvoll verliehen hätte, dann wäre unser Selbstbewusstsein ja gar nicht unseres, sondern seins. Wir wären nur Extensionen seines Geistes.“ (Seite 362)
Mit DAVE soll der IQ gegenüber dem eines Menschen mit 100 um das 1000-fache gesteigert werden. Daneben soll das lineare Zeitdenken ersetzt werden. „Orthogonale Zeit ist ein Gegenkonzept zu unserer linearen – Dick meinte, wie die Rillen einer LP gehe Chronologie im Kreis herum und alles, was schon geschehen sei und noch geschehen werde, sei auf der Platte gleichzeitig vorhanden, selbst wenn sie die Nadel gerade an einer anderen Stelle befände.“ (Seite 166) Eine Theorie, die sich an die Jordankurve anlehnt. Vieles soll gelöst werden „Es geht entweder um Unsterblichkeit oder um eine Uranusexpedition, um Robotik, die Heilung von Krebs, das Ende des Alterns, die Transzendent, die Weltschau, die kognitive Allmacht, das Ende der Menschheit, das Ende der Geschichte oder aber alles davon.“ (Seite 181)
Als Kind war Syz am Funktionieren von Lebewesen interessiert. In der Schule sezierte er einen Frosch. Er interessierte sich weniger an der „Mechanik“ der Lebewesen als an deren Gehirn, in dem er Ähnlichkeiten zu einem Computer sah. Syz ist nur ein kleiner Programmierer, der aber Karriere machen will. Letztlich wird er – von einem Algorithmus auserwählt – zum Abbild DAVEs. In vielen Sitzungen versucht man das Empfinden, das Bewusstsein von Syz in den Riesencomputer zu programmieren. DAVE wird Syz. Dieser bekommt aber Zweifel. Philosophische und ethische Überlegungen bringen ihn dazu dieses Projekt zu torpedieren. Er trifft auf Freunde und Menschen, die schon vor ihm sich Gedanken gemacht hatten. Er versucht auszubrechen und verlässt auch die „Arche“, um mit neuen Aufträgen, dieses Projekt zum Scheitern zu bringen, zurückzukehren. Ausgestattet mit dem Programm eines Vorgängers, dem man DAVE nachbauen wollte und der ebenfalls Zweifel bekam, will er in letzter Sekunde dieses unmögliche Projekt stürzen. In diesem Aspekt wird das Buch zu einer Abenteuergeschichte. Mit viel Spannung und Dramatik erzählt Edelbauer ein Finale, wie man es als Leser nicht erwarten würde und wie auch ich, der Rezensent, es nicht verraten will. Jeder soll es sich selbst erlesen. Es wäre sonst so, als würde man in einem Kriminalroman den Täter im Vorhinein bekanntgeben.
Auf alle Fälle ist es ein interessantes Buch. Eines, das ich wirklich empfehlen kann. Eines, wie ich es schon lange nicht gelesen habe.