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Josef Winkler: Der Leibeigene#

Josef Winkler: Der Leibeigene / Roman, Suhrkamp, 2020 / Rezension von Guenther Johann

Josef Winkler: Der Leibeigene
Josef Winkler: Der Leibeigene

WINKLER, Josef: „Der Leibeigene“, Frankfurt 2020

Wie der in Kärnten lebende Schriftsteller Alois Brandstetter, widmet sich auch Josef Winkler der Erzählung des ländlichen Lebens. Bei Winkler ist es aber nicht nur eine Schilderung der Situationen, sondern ein authentisches Niederschreiben von selbst Erlebtem. Auch stilistisch ist ein großer Unterschied. Brandstetter ist ein ausgezeichneter Erzähler. Winkler dagegen ein literarischer Dichter, der die Realitäten in irreale Texte einbettet. Die Texte springen zusammenhanglos von einer Szene in eine ganz andere. Es wird das Leben des Sohnes eines tyrannischen Bauern beschrieben. Vom Vater wurde er eingeschüchtert und immer wieder als unfähig hingestellt. „Meine Seele war auf die Größe zweier Bohnen zusammengeschrumpft.“ (Seite 75) Trost findet er, wenn er am Friedhof zwei Freunde, die sich erhängt hatten, besucht. Auch selbst denkt er oft an Selbstmord.

Bäuerliche Arbeit wird detailliert beschrieben, wie etwa das Ziehen eines Kalbes aus dem Bauch der trächtigen Mutterkuh. Das bäuerliche Leben ist hart und brutal zugleich. Als die Nachbarn viele Katzen hatten und diese zum Milch trinken in seinen Stall kamen, tötete sie der Vater, indem er ihnen mit einer Hacke den Kopf abschlug.

Später – er lebte teilweise in Rom – kommt er wieder nach Hause in den elterlichen Bauernhof. Der Vater ist 80 Jahre alt. Keiner der fünf Söhne hat seine Nachfolge angetreten. Mit hohem Alter bearbeitet er noch den Hof. Der Sohn, ein Schriftsteller, will den Vater beschreiben und hofft, dass er ihm aus seinem Leben erzählt. Wie es ihm als Jungbauern ergangen ist. Wie er den Krieg erlebte und dann seine eigenen Kinder. Das Leben eines Bauern hat sich generell verändert. „“… nach dem Krieg wurde der Bauer höher eingeschätzt als der Arbeiter. Was ist den heute der Bauer in diesem Land? Ein Schinder, der für einen Hungerlohn arbeitet. Heute muss ich mich in einem Amt regelrecht schämen, wenn ich sagen muss, dass ich ein Altbauer bin …“ (Seite 34) Dem schriftstellerischen Sohn erzählt er, dass es ihm als Kind „dreckig“ ergangen sei, dass er aber im Krieg viel erlebt habe. „Wenn nicht der Krieg gewesen wäre, hätte ich niemals Holland, England, Deutschland oder das Meer gesehen, gar nichts hätte ich von Europa gesehen. Der Krieg war das einzige Erlebnis meines Lebens.“ (Seite161/162)

Dieses Buch wurde vor 1990 geschrieben. Da war Homosexualität noch ein sensibleres Thema als heute im 21. Jahrhundert. Winkler setzt sich mit den Gefühlen und den Aktivitäten von Jugendlichen auseinander. „Das Gefühl, wenn ich einen Knaben berührte, etwas Schäbiges und Schreckliches getan zu haben – denn auch in meinem Kopf gingen damals, als ich noch achtzehn war, die moralischen Uhrzeiger des Volkes im Kreis – verließ mich vollkommen ….“ (Seite 254) Das schlechte Gewissen wurde aus der ländlichen Gesellschaft heraus entwickelt. „Der Hass des Kärntner Dorfvolkes auf die Homosexualität war mir genauso geläufig wie der Hass auf die Juden, Russen und die Slowenen, die in Kärnten von Politik und Gesellschaft noch heute unterdrückt werden.“ Die schlüpfrigen und gotteslästernden Texte machen ihn im Dorf unbeliebt. Die Eltern genieren sich für ihren Sohn. Vieles hat er über sie geschrieben. Der Pfarrer des Dorfs meinte „Er ist ein Gotteslästerer! Man sollte ihm das Handwerk legen.“ (Seite 217) Der Vater meinte sogar, er solle nicht alleine im Dunklen durch den Wald gehen, denn er könnte überfallen und geschlagen werden.

Viel wird über den Tod und das Sterben geschrieben. Als er im Traum unzählige Hostien gegessen hatte, fand er, dass er viele Leiber Christi in sich trage. Letztlich betete er den Teufel an: „Ich bete zur Sichelfrau und zum Sichelmann, zum Tod und zur Tödin, dass sie kommen und mir helfen, die Gebeine der vielen Leiber Christi wegzuräumen.“ (Seite 311) Und so endet das Buch auch mit dem Satz „Als Wegzehrung nehme ich mein eigenes Fleisch mit“ (Seite 312)