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Evelyn GRILL: Der Nachlass#

Evelyn GRILL: Der Nachlass / Roman, Residenz Verlag, 2022 / Rezension von Guenther Johann

Evelyn GRILL: Der Nachlass
Evelyn GRILL: Der Nachlass

GRILL, Evelyn: „Der Nachlass“, Salzburg Wien 2022 Eine „alte Frau“ – im Romantext wird sie auch so anonym bezeichnet - erzählt aus ihrem Leben allein und während der COVID19 Pandemie. Sie ist eine alte Frau, die „nicht mehr weiß, ob sie sich jetzt in der Außen- oder in ihrer Innenwelt befindet.“ (Seite 8) Verordnungen sagen, dass sie als alter Mensch geschützt werden muss. Nicht verstehen kann sie, warum gerade alte Menschen als vulnerabel bezeichnet werden. Die jüngeren, die noch im Arbeitsprozess stehen, sind doch die wichtigeren einer Gesellschaft. Warum sind sie nicht oberste Priorität beim „Schützen“? „Es fragte, soviel sie wusste, niemand die Vulnerablen, ob sie so vorsorglich behandelt werden wollten, ob sie ganz keimfrei aufbewahrt werden wollten, und die Frage schien auch nicht nötig, weil es jedermann klar, unhinterfragbar klar war, dass jeder Mensch jeder Behandlung zustimmen würde, die ihn vor dem Tod bewahrte, und jeder Hundertjährige verstand, dass man nicht einen einzigen Keim, kein Virus in seine Nähe lassen durfte, auch keinen kühlen Luftzug.“ (Seite 18) Viele der staatlichen Verordnung versteht die alte Frau nicht. Die Geschichte hatte solche Situationen ja auch schon in früheren Zeiten gehabt. So siniert sie und mein: „In Pestzeiten half den Menschen damals wohl Musik und nicht ein Babyelefant.“ (Seite 21) Weiters meint sie – und damit sprach sie vielen Menschen aus der Seele – „Man hat ihr die Freiheit genommen, sich zu gefährden.“ (Seite 34) Das Wort „Lockdown“ erinnert sie an ein Gefängnis und an Eingesperrtsein. Im Laufe des Buches erlebt man die verschiedenen Stadien der Pandemie aus Sicht einer alten Frau. Etwa, wie es erste Lockerungen gibt und dann wieder schließen alle Geschäfte. Obwohl: „Wenn die Waffengeschäfte offen sind, dann sind die Buchhandlungen geschlossen, das ist hier so die Regel, die man nicht verstehen muss. Sie versteht sowieso vieles nicht mehr. Sie ist ja schon alt.“ (Seite 54) Sie erzählt aus einem 100 Jahre alten Lehnstuhl heraus, der einer Tante gehörte, die im Zweiten Weltkrieg als Jüdin alles zurücklassen musste und ins KZ transportiert wurde, wo sie umkam. Ein Beispiel dessen, wie es alten Menschen in der Einsamkeit geht. Eine Situation die durch staatliche Verwaltungen noch verstärkt wird. Sie vergleicht ihre Situation mit der während des Hitlerregimes. In den Zeiten der Quarantänen kramt sie in alten Unterlagen und findet eine Mappe mit Briefen ihrer Vorfahren aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. So auch einen Abschiedsbrief von ihrer Tante, von der sie diesen Lehnstuhl, in dem sie sitzt geerbt hat, bevor sie ins KZ übersiedelt. In einem Brief einer Bekannten aus dem Jahr 1946 – also nach dem Krieg – erfährtt sie, dass ihre Tante Paula vergast wurde und ihre Mutter verhungert ist. Daraus schließt sie, dass sie eine „Übriggebliebene“ ist. Am Ende träumt sie in ihrem Stuhl, „Dass es geheißen hat, dass wir wieder ins Kaffeehaus gehen dürfen und Zeitungen lesen und dass die Regierung zurückgetreten ist…“ (Seite 107) Die Autorin – selbst 80 Jahre alt – erzählt auch aus eigener Erfahrung und kann deswegen das Leben dieser Proponentin sehr gut beschreiben. Sie kann sich hineinfühlen in so ein Menschenleben. Kein wirklich spannender und schöner Roman, aber ein Zeitzeugnis einer alten Frau, die mit den staatlichen Regulierungen der COVID-Pandemie leben muss.