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Herbert W. Franke: Der Orchideenkäfig#

Herbert W. Franke: Der Orchideenkäfig, Goldmann, 1961 und 2015 / Rezension von Walter Vetter

Am 16. Juli 2022 starb 95jährig Herbert W. Franke, den man ruhigen Gewissens als einen der letzten österreichischen Universalgelehrten bezeichnen kann, im oberbayerischen Egling. Der Wiener Physiker, Philosoph, Computerkünstler, Zukunftsforscher und Autor widmete sich zeitlebens vor allem auch literarisch dem Science-Fiction-Genre. Rund 20 SF-Romane entstanden so, die international durchwegs große Beachtung fanden und einige von diesen genießen heute noch Kultstatus. Schon als Schüler hat mich sein Roman „Der Orchideenkäfig“, der 1961 in der damaligen Reihe „Goldmanns Weltraum Taschenbücher“ (welch biedere Bezeichnung damals!) erschienen war, dermaßen beeindruckt, dass ich mir im Laufe der Zeit eine ziemlich große SF-Sammlung zulegte. Bücher von Autoren wie Heinlein, Dick, Asimov, Bradbury, Pohl, Lem oder Ballard begannen allmählich ein ganzes Regal zu füllen, doch muss ich gestehen, dass ich die allermeisten bis auf einige wenige – u. a. auch Herbert W. Frankes „Orchideenkäfig“ - derzeit ausgelagert habe. Auf diesen Band stieß ich erst vor ca. einem halben Jahr beim üblichen, recht quälenden Suchen nach benötigten Büchern wieder und ich schwor mir neuerlich, die durch Übersiedlungen durcheinander geratene Bibliothek bald einer gründlichen Neuordnung zu unterziehen. Bei 97 Regalen ein ziemlich mühseliges Unterfangen, das ich vermutlich wohl für immer bleiben lassen werde.

Frankes zweiter SF-Roman kann durchaus als Menetekel für die Menschheit gelten. Gute SF-Schriftsteller haben sich stets als weltliche Propheten herausgestellt. Der Autor hat vor mehr als 60 Jahren eine düstere Dystopie geschrieben, deren Anfänge langsam Wirklichkeit werden wollen. Tröstlich zumindest ist, dass das Buch in einer Neuauflage (2015) wieder erschienen ist. Die Sprache darin ist nicht immer erste Sahne, gelegentlich spröde, kühl und sich manchmal wiederholend. Dafür sind Plot und die seherischen Botschaften mehr als brillant! Schon der Beginn des Romans ist ungeheuerlich genug. Drei Freunde suchen einen weit entfernten Planeten heim, um sozusagen in einem Wettbewerb eventuell eine noch lebende Zivilisation zu finden. Dies tun sie jedoch nicht physisch, sondern vermittels eines „Synchronstrahls“, der ihnen rein virtuell die dortige Anwesenheit gestattet und ihnen damit eine Art Narrenfreiheit gibt, sich dort mittels atomarer Zerstörung oder auch nur scheinbar persönlich umzutun. Hier ahnt der Autor bereits die rein virtuelle psychische Präsenz voraus, die uns im 21. Jahrhundert immer drängender präsentiert wird. Die zunächst leblos erscheinende Mega-Zivilisation wird schließlich durch Automaten und Roboter wach und die drei Erdenbewohner werden sogar für ihre Zerstörungen vor ein kafkaesk gesteuertes Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Zuletzt enthüllen ihnen die Automaten in tiefen Verließen die einstigen Bewohner des Planeten als erbärmlich degenerierte Fleischklöße ohne Gliedmaßen, verdrahtet und in Nährflüssigkeit schwimmend. Sie können nicht mehr reflektieren und werden nur mehr mit induzierten „Glücksgefühlen“ versorgt. Nur die Roboter bewachen deren Überleben im „Orchideenkäfig“. „Wozu sollten sie denken?“ fragt der Automat den erschrockenen Protagonisten Al. „Glück kommt nur durch das Gefühl. Alles andere stört.“ Die schwebenden Hirnlappen der ehemaligen extraterrestrischen und menschenähnlichen Bewohner werden mit Glückseligkeit und ewigem Leben eingehegt. Zuletzt legt Al entsetzt seinen Empfängerhelm ab und zerstört auch das Videogerät. Der Schluss des „Nachspiels“ geht so: „Er öffnete die Augen wieder und ging mühsam noch einige Schritte vor. Er stand auf einer grauen Betonfläche. Sie erstreckte sich bis zu drei Bungalows, die rechts, links und vor ihm lagen. Seine Füße wirbelten Staub auf. Sein Atem flog vor Anstrengung, sein Herz pochte ungestüm. Leicht schwankend und in Wellenlinien ging er weiter auf die Straße hinaus – ins Freie…“

Hier bleibt der Autor bewusst im Ambivalenten, nämlich ob die Erdenbürger einer solchen Zukunft entgehen können oder eben nicht. Denn der ganze dramatische Hergang des Romans ist natürlich nur eine parabelhafte Spiegelung der möglichen zukünftigen menschlichen Evolution, die derzeit ganz offenbar in Richtung eines angesteuerten Transhumanismus geht. Technizismus und Biologismus scheinen den Humanismus zunehmend an den Rand des Abgrunds zu drängen. Herbert W. Franke hat dies wohl klar vorausgesehen und uns mit seinem großartigen „Orchideenkäfig“ sowohl Warnung wie auch Vermächtnis hinterlassen. Die Lektüre sollte darum vielleicht gleichzeitig ein Ge- und Bedenken sein!