Robert SEETHALER: Der letzte Satz#
Robert SEETHALER: Der letzte Satz / Roman, Hanser Berlin, 2020 / Rezension von Guenther Johann
SEETHALER, Robert: „Der letzte Satz“, München 2020 Seethaler stellt den Musiker und Komponisten Gustav Mahler am Ende seines Lebens dar. Es beginnt mit einer Schifffahrt über den Atlantik, bei der über verschiedene Dinge nachdenkt. So erfährt man als Leser, dass Mahler beim Komponieren Anleihen bei Vogelstimmen nahm. Vögel, die er gar nicht kannte und ihnen eigene Namen gab. „Er nannte sie Einsinger, Schwarzhäubchen oder Wilde Dirn.“ (Seite 17) Schöne Gedanken kamen auf, wie etwa sein Bezug zur Tochter und Ehefrau Alma, wenn es heißt „Aber ich habe Glück. Dort draußen läuft ein Glück im Gras herum, und hier drinnen sitzt ein anderes mit mir am Tisch. Ich habe alles, was ich mir wünsche. Ich bin ein glücklicher Mann.“ (Seite 19) Er liebte seine Alma, wusste aber nicht, wie es mit ihr aussah. „Sie ist mein Glück. Ich weiß nicht, ob ich sie verdient habe. Du kannst dir die Liebe nicht verdienen.“ (Seite 55) Alma war wesentlich jünger. Er lernte sie bei einem Wiener Gesellschaftsabend kennen. Vier Monate später heirateten sie in der Karlskirche. Nur sieben Personen waren anwesend. Ganz so glücklich war dieses Leben dann doch nicht. Seine Frau verliebte sich in einen Baumeister. Es kam zu Auseinandersetzungen. Mahler litt sehr darunter. Alma blieb aber bei ihm. Nun, für die Ehe blieb bei ihm, dem Workoholiker wenig Zeit. In seiner ersten Saison nach der Hochzeit leitete er 54 Aufführungen und an die hundert Proben. Daneben noch die Administration der Wiener Oper. 1907 demissionierte er in Wien und übersiedelte mit Familie nach New York um für die Metropolitan Opera zu arbeiten. In seiner Verzweiflung, die von ihm geliebte Frau zu verlieren, fuhr er nach Holland um Prof. Sigmund Freud zu treffen. Aber auch der konnte ihm nicht helfen. Nach einem vierstündigen Gespräch attestierte der Arzt Freud „An ihrer Persönlichkeit wurde vielleicht ein bisschen gerüttelt. Ansonsten sind sie putzmunter und vor allem kein kleines Kind mehr.“ (Seite 100) Mit auf der Schiffsreise neben seiner Frau Alma auch die Tochter Anna. Die ältere Tochter war früh gestorben. Auch daran dachte er bei dieser, seiner letzten Überfahrt über den Atlantik. Bei den vielen Fahrten über das Meer nützte er die Zeit, um sich für die bevorstehenden Konzerte vorzubereiten. Seine Frau ließ eine Büste von Rodin in Paris anfertigen. Mahler wollte das nicht und ließ es widerwillig über sich ergehen. Rodin drückte ihm zum Abschied die Hand. Sie erschien Mahler „so hart und trocken, als wäre sie selbst aus Stein gehauen.“ (Seite 40) Mahler plagten verschiedenste Schmerzen, die aber beim Dirigieren verschwunden waren. Zur Musik fand er schon als Kind, als man ihm Holzklötze auf die Klavierpedal schraubte, damit er sie beim Spielen erreichte. Ein Jahr vor seinem Tod dann die Uraufführung der 8. Symphonie in München. Dazu hatte man eine eigene Halle für 4000 Besucher gebaut. Diese Symphonie sollte das Größte werden. Seine Agentur nannte es „die Symphonie der Tausend“. Das Orchester umfasste 180 Musiker, dazu ein Chor mit 500 Sängern und ein Kinderchor mit 350. Eine Münchner Tageszeitung schrieb „Das Werk grenzt nicht nur an Größenwahn. Es will ihn auch übersteigen.“ Er setzt sich gedanklich zunehmend mit dem Tod auseinander. Dämonen erschienen ihm. „Ich hätte noch so viel mehr komponieren können. Es fühlt sich an, als hätte ich gerade erst angefangen, dabei ist es schon wieder zu Ende. So ist es also mit dem Sterben, dachte er. Stillhalten und warten.“ (Seite 30) Viele Erinnerungen kamen ihm beim Aufenthalt an Deck. Er hatte Fieber. Brach dann auch zusammen und wurde vom Schiffspersonal in die Kabine gebracht. Der Schiffsjunge, der ihn immer bediente tritt im letzten Kapitel des Buches wieder auf. Er arbeitete dann im Hafen als Arbeiter. Beim Besuch einer Gastwirtschaft stößt er auf eine Zeitung, die das Bild Mahlers trägt. Er kann nicht Englisch und bittet den Wirten ihm vorzulesen, worum es geht. Der Wirt berichtet: Mahler war gestorben. „Das Begräbnis fand am zweiundzwanzigsten Mai statt. Es war eine ganze Menge Leute da. Viele Berühmtheiten. Seine Frau war nicht dabei.“ (Seite 124) Robert Seethaler beschreibt die letzten Monate des Künstlers, lässt diesen aber in seine eigene Lebensgeschichte zurückblicken und gibt so dem Leser Einblick von der Kindheit bis zum Tod, wobei der Tod selbst erst durch den Schiffsjungen, der ihn auf der letzten Atlantikquerung betreute, ausgesprochen wird. Das Buch ist keine Biografie. Dazu wäre es zu lückenhaft. Es ist ein Roman, der sich auf ein Zeitfenster beschränkt.