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Robert Menasse: Die Erweiterung#

Robert Menasse: Die Erweiterung / Roman, Suhrkamp, 2022 / Rezension von GUENTHER Johann

Robert Menasse: Die Erweiterung
Robert Menasse: Die Erweiterung

MENASSE, Robert: „Die Erweiterung“, Berlin 2022

Mit großer Sachkenntnis beschreibt Menasse die Situation der Verwaltung der Europäischen Union und des Beitrittskandidaten Albanien, der stellvertretend für die Balkanländer steht. Es ist ein Roman und dementsprechend sind es handelnde Personen, anhand derer man die Situation erfährt. Diese handelnden Personen aus Brüssel, Polen, Österreich und Albaniens werden nicht nur in ihrer agierenden Funktion vorgestellt, sondern auch deren Hintergrund bis zur Kindheit zurück und erfährt damit auch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte. So etwa der Pressesprecher des albanischen Premierministers, dessen Eltern einflussreiche Menschen in der Zeit der Diktatur Enver Hoxhas waren. Als diese Diktatur zu Ende ging begingen sie Selbstmord und der Bub wurde zum Waisen. In einem Kinderheim ist er dann aufgewachsen. Er war nur mit Buben zusammen, worauf er seine fehlende Erfahrung mit Frauen zurückführt. Homosexuell wurde er aber nicht. Nachdem das neue Regime zu Ende ging tauchte seine Tante auf und holte ihn aus dem Kinderheim. Sie erzog ihn, dass er auch zu einem Hochschulabschluss kam, aber Liebe oder Mütterlichkeit konnte sie ihm nicht bieten.

So erfährt man auch von der Kindheit eines EU-Beamten, der in der Frühzeit der Solidarnosc im Untergrund aktiv war. Sein bester Freund aus dieser Zeit wurde Premierminister und verwarf alle Jugendtugenden. Enttäuscht musste der engagierte EU-Beamte das zur Kenntnis nehmen. Eigentlich wollte er sich revanchieren und den ehemaligen Freund bloßstellen. Diese detaillierten Beschreibungen waren dem Autor wichtig, wie er selbst sagte: „Der Erzähler aber zeigte nicht die Oberfläche, sondern setzte das Wesen ins Bild, hält nicht nur den Moment fest, sondern lasse ihn fließen, vom Grund zur Wirkung. Erst der Anspruch des Beschreibens habe das Unbeschreibliche zur Welt gebracht, während wir alles erzählen können, letztlich auch das Unbeschreibliche.“ (Seite 388)

Der Helm des albanischen Führers Skanderbeg ist ein Faktor, der sich durch den ganzen Roman zieht. Er wird aus dem Wiener Museum gestohlen. Der albanische Premierminister ließ sich unabhängig vom Kunstraub eine Kopie erstellen, die er sich aufsetzen wollte und sich so zum Oberhaupt aller Albaner zu machen. Auch jenen, die im Kosovo, in Nordmazedonien und Montenegro leben. Da Albaniens Aufnahme in die EU von Frankreich beeinsprucht wurde, will er sein kleines (unbedeutendes) Land größer machen, indem er „Großalbanien“ ins Spiel bringt. Der Premierminister meinte „Mit diesem Helm betteln wir nicht mehr um den Beitritt in die Europäische Union, sondern überlegen kühl und sachlich, ob wir die EU in ein geeintes Albanien eintreten lassen.“ (Seite 317)

Der Höhepunkt des Romans findet dann auf einem neuen Kreuzfahrtschiff, das Albanien in Betrieb nahm, statt. Es hatte den Namen SS Skanderbeg, nach dem Nationalheiligen Albaniens. Menasse klärt aber auch auf, dass es im Zweiten Weltkrieg in Albanien eine eigene SS-Einheit mit dem Namen Skanderbeg gab. „Im Kampf gegen die Jugoslawische Volksbefreiungsarmee, die Tito-Partisanen, war die Skanderbeg-Division nicht sehr erfolgreich.“ (Seite 171)

Der Stapellauf des Schiffs fand zum Nationalfeiertag Albaniens statt. Eingeladen wurden auch Vertreter aus den Nachbarländern und aus der EU. Man hielt am Schiff eine Konferenz über die Integration der Balkanländer in die EU ab, obwohl einige Wochen später eine solche in Polen geplant war. Da Polen gegen eine EU-Erweiterung ist, hat man diese Konferenz vorgezogen, um positive Stimmung zu erzeugen. Die Jungfernfahrt fand also mit allen Spitzenpolitikern der Europäischen Union statt.

Bis dahin fand ich es als sehr gutes Buch und wollte es schon Freunden zum Lesen empfehlen. Aber ab Seite 600 ändert es sich. Dann wird es chaotisch, abgehoben und irreal. Auch der Schreibstil ändert sich und wirkt wie ein Stakkato von kurzen Sätzen. Bei einem Kriminalroman nimmt man in der Beschreibung den Schluss nicht vorweg und so will ich es auch hier halten. Die Situation am Schiff eskaliert zu einer unvorstellbaren Form. Meiner Meinung leidet das Buch darunter. 50 Seiten machen die vorangegangenen 600 schlecht. Aber Menasse wollte mit diesem Stilwechsel und überhöhter Beschreibung die Situation der Europäischen Union kritisch beleuchten.

Ein großartiges Buch, in dem man die letzten 50 Seiten akzeptieren muss.