Peter HANDKE: Die Obstdiebin#
Peter HANDKE: Die Obstdiebin / oder einfache Fahrt ins Landesinnere, Suhrkamp, 2019 / Rezension von Guenther Johann
HANDKE, Peter: „Die Obstdiebin oder einfache Fahrt ins Landesinnere“, Berlin 2019 Die Handlung bezieht sich auf eine Reise im Umfeld von Paris. Die erzählende Person – der Autor selbst – verlässt sein Haus im Süden von Paris und fährt in eine nördliche Provinz. Detailgenau erzählt er seine Eindrücke. Als würde er mit einer ProCom Kamera reisen. Nur zeichnet er nicht ein Video auf, sondern erzählt und beschreibt das Gesehene. Bei seinen Beobachtungen werden in Personen Dinge hineininterpretiert, so als würde er sie alle kennen. „Eine Frau schlug ihren Hund, den Ersatz für den anderen, welcher, wegen Krebs oder Altersschwäche vor kurzem eingeschläfert worden war.“(Seite202) Zuerst geht er zu Fuß. Dann fährt er mit dem Zug ins Zentrum von Paris und weiter hinaus aufs Land. Irgendwann auf der Reise nimmt der Autor einen Tausch der Proponenten vor. Zuerst erzählt er selbst und nimmt nur Bezug auf die Obstdiebin. Beschreibt sie. Führt sie für den weiteren Teil des Buches ein, denn dann übernimmt sie die Erzählfunktion. Sie geht ein Stück mit einem Pizzaverkäufer. Alles – so scheint es in der Erzählung – ist dem Zufall überlassen. Wann es wo etwas zu essen gibt und wo sie eine Unterkunft finden. Drei Tage dauert die Wanderung, deren Ziel ein Familientreffen ist. In der Stadt, in der der jüngere Bruder arbeitet, treffen sie zusammen: Vater, Mutter, Bruder und sie, die Obstdiebin. Bei einem mittelmäßigen Dichter wäre es ein Reisetagebuch einer dreitägigen Wanderung durch die Provinz nördlich von Paris geworden. Bei Handke ist es ein literarisches Meisterwerk. Er sagt etwa nicht „Es sollte nicht dunkel, nicht Nacht werden“ sondern „Die Schwalben sollten den Fledermäusen nicht Platz machen.“ (Seite 550). Auf den 559 Seiten passieren wenige Handlungen, aber das Erzählerische, die Formulierungen sind Weltklasse. Ein verdienter Nobelpreisträger. Es ist wert ihn zu lesen.