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Barbi MARKOVIC: Die verschissene Zeit#

Barbi MARKOVIC: Die verschissene Zeit / Roman, Residenz Verlag, 2021 / Rezension von Guenther Johann

Barbi MARKOVIC: Die verschissene Zeit
Barbi MARKOVIC: Die verschissene Zeit

MARKOVIC, Barbi: „Die verschissene Zeit“, Salzburg Wien 2021

Miomir hat eine Zeitmaschine erfunden, mit der er auf der Zeitachse nach vorne und zurück springen konnte. In den 90er Jahre war Krieg. Serbien hatte den Kosovo bombardiert. Die Amerikaner haben dann als Rache Serbien bombardiert und in Belgrad, dem Ort der Handlung dieses Romans, gab es Fliegeralarme. Vanja, die zentrale Proponentin, ihr Bruder Marko und dessen Freundin Kasandra waren in der Nähe des Hauses des Zeitmaschinenerfinders. Sie wollten gerade einbrechen. Da kam es zu einer hellen Erleuchtung. Miomir erklärt den Dreien fünf Jahre später, dass seine Maschine sich überhitzte und die Zeit nicht zurückgedreht hatte – er wollte in die Zeit vor dem Krieg ins Jahr 1990 – sondern nach vorne: ins Jahr 1999. Das merkten die Drei bereits seit längerem, dass sie sich an Nichts zwischen 1995 und 1999 erinnern können. Schlimmer noch sei, dass der Fehler der Zeitmaschine die Welt oder die Region um Belgrad immer in den 90er Jahren pendeln lassen würde. Man würde nie aus der schlechten Zeit und dem Kriegsgeschehen herauskommen. Sie würden in einer Warteschleife hängen bleiben. „Menschen warten und protestieren. In den Supermärkten fehlen Produkte, im Essen fehlen Zutaten, in den Köpfen Informationen und Orientierungspunkte. Busfahrer*innen, Lehrer*innen, Ärzt*innen und alle anderen Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes sind fast immer im Streik. Die Schüler*innen warten auf ihren Unterricht, Staatsbürger*innen warten auf bessere Zeiten, die Wirtschaft wartet auf Aufhebung der Sanktionen, auf Öffnung der Grenzen. Menschen warten auf das Ende des Krieges, das Fernsehpublikum wartet auf die Klärung der Lügen (und versteckt sich zugleich davor). Eure Eltern, Großeltern, Verwandten stehen in langen, unkalkulierbaren Schlangen für Öl, Mehl, Geld, Dokumenten, Benzin, Zigaretten an.“ (Seite 63/64) Wann immer sie in einem anderen Jahr ankommen können sie sich an bestimmte Dinge erinnern, aber nicht an alles. „Man würde denken, in der eigenen Vergangenheit kennt man sich zumindest aus, da geht man hin, und alles wiederholt sich, so wie es war, aber es ist komplizierter. In einem Menschenleben gibt es viele Tage, bis zu 34675, sehr selten mehr, und an einen konkreten kannst du dich meistens nur ungefähr erinnern.“ (Seite 134)

Vanja hatte 1999 ein Tagebuch geschrieben, aus dem zitiert wird. Ein Tagebuch, das die Geschehnisse des Krieges, das Bombardement Belgrads schildert. Wie die Bevölkerung in den Kellern Zuflucht suchte.

Die Autorin beschreibt die Zeit von Jugendlichen in einem Belgrader Vorort. Eine Zeit und einen Ort, den andere Länder nicht kennen. Auch stilistisch geht sie eigene Wege. Sprachausdrücke, die woanders nicht verwendet werden (?). Eine harte Sprache, gespickt mit vielen Schimpfwörtern. Eine vulgäre Sprache, die die Situation aber beschreibt und unterstreicht.

Barbi Markovic gibt in diesem Roman den einfachen Leuten eine Stimme. „Ja, es geht NIE um uns! Wozu habt ihr unsere Generation in die Welt gesetzt, um uns zu vernachlässigen und zu ignorieren. In unseren Familien sind wir unwichtig, weil die Zeiten schwer sind. Das Land produziert unser Scheitern und nimmt unsere beschissenen Leben in Kauf, weil Armut und Krieg und Wahnsinn herrschen. Es geht nicht um uns in den Geschichten, weil unsere Lebenserfahrung eine Nischenerfahrung ist. In den Werbungen werden andere Leute angesprochen, in Filmen andere Schicksale gezeigt. Es GEHT tatsächlich NIEMANDEM UM UNS, ABER UNS, UNS GEHT ES EXTREM UM UNS.“ (Seite 216) Aber auch die Zukunft bringt keine Verbesserung für die einfachen Leute. Zwar ist der Krieg vorbei, aber die Brutalität und Armut bleibt.

Als die drei Jugendlichen das Spiel des „Alt Jugoslawischen“ Technikers durchschauen, schalten sie ihn aus und lassen sich durch die Maschine ins Jahr 2001 versetzen. Sie hoffen, dass die schlechte Zeit vorbei sei. Da kommen sie aber auf einem Platz in Belgrad an, wo ein Schwuler verprügelt wird, wo Brutalität wie in den 90ern herrscht.